# taz.de -- Grün-rot-rote Annäherung: Der GRRdische Knoten | |
> Falls sie am Wahlabend zusammen eine Mehrheit haben, dürfte es erstmals | |
> zu Sondierungen zwischen Grünen, SPD und Linken kommen. Ein Szenario. | |
Bild: GRR… Wie bindet man Positionen von Grünen, SPD und Linken zusammen? | |
BERLIN taz | Anfang Oktober treffen sich in einem unscheinbaren roten Haus | |
in Berlin die Spitzen von SPD und Linkspartei zu einer Sondierung. Janine | |
Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, die Chefinnen der Linken, kommen mit | |
Leihrädern. Olaf Scholz, Kanzler in spe, in einer angemessen schweren | |
Limousine. | |
Man trifft sich nicht im Willy-Brandt-Haus, wo die Linkspartei Gast sein | |
darf, sondern in der Bremer Landesvertretung. Bremen wird geräuscharm von | |
einer rot-grün-roten Koalition regiert, ist also neutrales Terrain. Die | |
SPD-Spitze ist mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vertreten, die | |
sich für ein Mitte-links-Bündnis erwärmen können. | |
Die Linken bringen den regierungsaffinen Fraktionschef Dietmar Bartsch und | |
Bodo Ramelow, den linken Ministerpräsidenten eines Dreierbündnisses in | |
Thüringen mit. Nach 90 Minuten geht man auseinander: Ohne Knall, aber auch | |
ohne Annäherung. | |
Alles ist neu. Deutschland ist in der Post-Volksparteiära angekommen. Noch | |
nie gab es eine Bundesregierung aus drei Fraktionen. Noch nie haben SPD und | |
Linkspartei ernsthaft über eine Regierung im Bund geredet. | |
## Arbeitsaufträge aus der Linken-Zentrale | |
So kann es kommen. So soll es kommen, wenn es nach Susanne Hennig-Wellsow | |
geht. In der Berliner Parteizentrale der Linken bereitet sich ein kleines | |
Team um die Parteivorsitzende seit Monaten auf dieses Szenario vor. Harald | |
Wolf ist eingeweiht, der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator, und ihr | |
Büroleiter Tom Strohschneider, ein strategischer Kopf in der Partei. | |
Sie haben die Wahlprogramme von Linken, SPD und Grünen nebeneinander | |
gelegt, notiert, was zusammenpasst, was geklärt werden muss, was | |
unvereinbar ist, und Arbeitsaufträge verteilt. Katja Kipping, die frühere | |
Parteivorsitzende, etwa prüft, was im Bereich Sozialpolitik geht. | |
Hennig-Wellsow hat in Thüringen die erste und die zweite rot-rot-grüne | |
Koalition maßgeblich mit ausgehandelt. Sie weiß: Koalitionen ergeben sich | |
nicht irgendwie. Für den mittlerweile möglichen Fall, dass SPD, Grüne und | |
Linkspartei nach der Bundestagswahl eine rechnerische Mehrheit haben, will | |
sie gewappnet sein. Für Sondierungen. Geht da also doch was? | |
## Ablehnung hat nachgelassen | |
Sarah Ryglewski (38) sitzt in ihrem Abgeordnetenbüro und zögert kurz, ob | |
sie jetzt wirklich über Rot-Grün-Rot reden soll. Sie gehört zur SPD-Linken, | |
gehört zum Vorstand einer [1][Gruppierung von Abgeordneten, die sich | |
„Denkfabrik“] nennt. Darin ist ein Häuflein aufrechter Sozialdemokraten | |
organisiert, das sich mit Grünen und Linkspartei trifft, um die Tür für | |
Mitte-links einen Spalt breit offenzuhalten. | |
Als sie 2015 als Nachrückerin in den Bundestag kam, war sie verwundert, | |
„wie aggressiv manche Linken-Abgeordnete gegenüber der SPD waren“. Doch das | |
hat abgenommen. Ihr Eindruck: „Die Ablehnung hat von beiden Seiten aus | |
nachgelassen.“ Ein Regierungsbündnis sieht sie gelassen. „Die Vorbehalte in | |
der Öffentlichkeit gegen Rot-Grün-Rot sind weniger ausgeprägt als früher. | |
Aber es gibt auch kein wirkliches Momentum dafür, keine Bewegungen, die | |
diese Regierung tragen würden.“ | |
Ryglewski hat ein sensibles Verhältnis zu Olaf Scholz. Er ist ihr Chef. | |
Dass Scholz sie 2019 zur parlamentarischen Staatssekretärin im | |
Finanzministerium berief, war eine Dehnungsübung in Richtung SPD-Linke. | |
[2][Doch im Bund will Scholz die Ampel]. Wenn die FDP und Christian Lindner | |
mitspielen, würde er selbst dann nicht mit der Linkspartei koalieren, wenn | |
Janine Wissler zu Sondierungen im Bundeswehrtarnanzug erschiene. Die | |
SPD-Linke hat Scholz’ Linie akzeptiert und geht – wie Ryglewski – auf | |
Äquidistanz zu Linkspartei und FDP. Man habe „bei der Finanz- und | |
Sozialpolitik mehr mit der Linkspartei gemeinsam, bei der Außenpolitik mehr | |
mit der FDP“. | |
## Druckmittel gegen Lindner | |
Aber auch Scholz weiß, dass die FDP unberechenbar ist. Die SPD will nicht | |
von Lindner erpressbar sein, wenn der seinen Preis ins Unermessliche treibt | |
und auf Finanzministerium, Abschaffung des Soli und Steuersenkungen | |
beharrt. Deshalb hat Scholz Rot-Grün-Rot nicht ausgeschlossen. Er braucht | |
es als Druckmittel, das aber nur funktionieren kann, wenn es wirklich | |
möglich scheint und keine leere Drohung ist. Die Koalitionsbildung kann so | |
zum Halmaspiel werden, bei dem SPD, Union, FDP, Grüne und Linkspartei | |
abwarten, wer den ersten Fehler macht. | |
Das heikelste Kapitel für Rot-Grün-Rot ist die Außenpolitik. Die | |
Linksfraktion hat im August im Bundestag erneut demonstriert, wie | |
binnenzentriert sie agiert. Die Mehrheit der Fraktion hat sich beim Mandat | |
zur Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan enthalten, einige sogar mit | |
Nein gestimmt. | |
Seitdem steht für SPD und mehr noch für die Grünen fest: In Krisen, in | |
denen akut gehandelt werden muss, ist auf die Linkspartei kein Verlass. | |
Scholz und Baerbock verlangen ein Bekenntnis zur Nato. Auch die SPD-Linke | |
Ryglewski sagt: „Ohne klares Bekenntnis zur Nato und erst recht zur EU | |
macht eine Regierung keinen Sinn.“ Aber kann die Linkspartei ein Bekenntnis | |
abgeben? | |
## Irgendwas mit Nato | |
Fraktionschef Bartsch hat mehrfach betont, ein Nato-Austritt sei ja gar | |
keine Bedingung für Rot-Rot-Grün. Damit räumt er eine Position, die es nie | |
gab. Denn im Wahlprogramm fordert die Linke ja gar nicht den sofortigen | |
Austritt aus der Nato, sondern deren Auflösung und ein kollektives | |
Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands. Zeitfaktor: unbestimmt. „Das | |
kann dann auch Nato heißen“, so Bartsch flapsig. | |
Der Kompromiss in einem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag könnte so lauten: | |
Alle drei Parteien bekennen sich zum völkerrechtlich bindenden | |
Nordatlantikpakt, mithin zur Nato. Sie bekennen sich aber auch zu Abrüstung | |
und Entspannungspolitik. Das sind wichtige Trigger für die Linken. Nichts | |
anderes hat übrigens SPD-Außenpolitiker Gernot Erler jahrelang gepredigt, | |
der unter Angela Merkel Russlandbeauftragter war. | |
Die Positionen von Linken und SPD liegen bei diesem Thema also nicht so | |
weit auseinander, wie es derzeit scheint. Die Grünen sind gegenüber | |
Russland viel misstrauischer. Aber auch sie fordern im Wahlprogramm einen | |
„Schub für Abrüstung“. | |
## Einige Missionen muss auch die Linke mittragen | |
Bleibt der schwierigste Punkt: die Auslandseinsätze. Hier kommt die | |
aktuelle Situation den Linken, die alle Kampfeinsätze der Bundeswehr sofort | |
beenden möchten, entgegen. Der Afghanistan-Einsatz ist krachend | |
gescheitert. Nun, da russische Söldner in Mali auftauchen, stellt selbst | |
die CDU-Verteidigungsministerin diesen großen Bundeswehreinsatz infrage. | |
Sekundiert wird sie von SPD-Politikern wie Fraktionschef Rolf Mützenich, | |
der am Freitag forderte, das Mandat schnell neu zu bewerten. | |
Über die verbliebenen neun Auslandseinsätze wird es harte Verhandlungen | |
geben. Einigen Missionen müsste die Linke wohl zustimmen. Aber soll eine | |
Erhöhung der Hartz-IV-Sätze wirklich daran scheitern, dass noch ein | |
Verbindungsoffizier in Darfur sitzt? Eine deutliche Mehrheit der eigenen | |
Wähler:innen will, dass die Linke regiert. Das wissen auch orthodoxe | |
Neinsager. Die Stimmung an der Linkspartei-Basis, so ein Spitzenfunktionär, | |
sei eher ruhig. Die üblichen Warnmails, bloß keine Prinzipien für die Macht | |
zu verkaufen, blieben diesmal aus. | |
SPD-Frau Sarah Ryglewski glaubt: „Wenn man sich an einen Tisch setzt, kann | |
man Kompromisse finden.“ Sie hat in Bremen den Koalitionsvertrag in Sachen | |
Wirtschaft mit verhandelt. Rot-Grün-Rot in der Hansestadt hält sie „für | |
eine ziemlich normale Regierung, die wohl auch vier Jahre halten werde. | |
Würde das auch für den Bund gelten? „Ich finde die Mystifizierung von | |
Rot-Grün-Rot nicht glücklich“, sagt sie vorsichtig. So eine Koalition wäre | |
weder Heilsversprechen noch Untergangsdrohung. | |
„Eine Mitte-links-Regierung wäre normaler als viele denken“, sagt | |
Ryglewski. | |
18 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vorbereitung-auf-moegliches-Buendnis/!5797160 | |
[2] /Moegliches-Buendnis-aus-SPD-Gruenen-FDP/!5794253 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Anna Lehmann | |
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