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# taz.de -- Album „Donda“ von Kanye West: Neuer Gospel, alte Rochaden
> Wieder fokussiert, aber erratisch: Kanye Wests Album „Donda“ ist
> musikalisch interessant. Nur: Leider stimmen die Begleiterscheinungen
> nachdenklich.
Bild: Diesmal fast die Klappe gehalten: US-Sänger Kanye West
In den Wochen vor Veröffentlichung seines zehnten Studioalbums machte sich
unter den Fans von Kanye West ein Gefühl breit, das ihnen seit Jahren
verwehrt blieb: Hoffnung. Die Aussicht auf „Donda“ fühlte sich an, als
feiere der Rapper aus Chicago ein großes Comeback. Speziell nach „Jesus Is
King“, seinem letzten, äußerst halbgaren Album, auf dem der US-Superstar
uninspirierte Texte mit kitschig klebrigem Plastikgospel koppelte, war die
Sehnsucht nach guter Musik groß.
Welche Zeichen stimmten die Fans diesmal optimistisch? Zunächst: Kanye West
hatte in letzter Zeit endlich mal seine Klappe gehalten. Fast. Der einzige
nennenswerte Vorfall war – bis Ende August – ein eher zahm ausgetragener
Beef mit seinem ewigen Rivalen, dem kanadischen Rapper Drake. Kein
Vergleich zu früheren Kommunikationskatastrophen, wie das im Mai 2018
veröffentlichte Interview, in dem der 44-jährige Afroamerikaner
[1][Sklaverei] als eine „Entscheidung“ abtat. Und West verzichtete 2020
trotz Androhung auch auf eine seinem Busenfreund Donald Trump in die Hände
spielende US-Präsidentschaftskandidatur.
Stattdessen wirkte der Künstler erstaunlich fokussiert auf seine Musik.
Also auf das, was er in Höchstform so gut gemacht hat wie wenige andere.
Schließlich steht der Name Kanye West nicht nur für [2][PR-Desaster und
Kuschelei] mit der extremen US-Rechten, sondern auch für visionäre Kunst.
2008 lieferte West mit seinem Album „808s & Heartbreaks“ die Blaupause für
melatoninschwangeren [3][Autotune-R & B], einen Sound, mit dem Drake bis
heute die Streaming-Charts blockiert.
Mainstream-HipHop klang zuvor nicht so majestätisch wie auf dem epischen
Nachfolger „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ – und nie wieder so
avantgardistisch wie beim nächsten Werk, dem elektronischen Albtraum
„Yeezus“. Der Zeitpunkt, an dem Kanye West zuletzt mit „The Life Of Pablo…
annehmbare Musik veröffentlicht hat, liegt schließlich fünf Jahre zurück
## Listening-Session im Stadion
Wer weiß – vielleicht hat er nun frisch fokussiert noch so ein Meisterwerk
in petto? Wobei das Wort „Fokus“ im Fall Kanye West mit Vorsicht zu
genießen ist. Bereits im Juli kündigte er erstmals das neue Album „Donda“
an. Ein Tag vor dessen geplanter Veröffentlichung lud West zur
Listening-Session ins Mercedes-Benz-Stadion in Atlanta.
Die dort gehörten Songs klangen gut, sehr gut sogar. Nur offensichtlich
nicht gut genug für Kanye West – denn er verschob den VÖ-Termin prompt um
einige Wochen. Ein Vorgang, der sich ein weiteres Mal wiederholte. Bei der
dritten Listening-Party am 26. August, einen Tag vor der anvisierten
Veröffentlichung, löste sich die bekanntlich zuletzt sterbende Hoffnung
dann endgültig in Luft auf.
Kanye West ruinierte sich mal wieder selbst, bevor seine Musik überhaupt zu
hören war. Denn diesmal lud er zwei kontroverse Kollegen zum Finale der
Show ins Rampenlicht: den wegen homophober Bühnenansagen in der Kritik
stehenden US-Rapper Dababy und den von mehreren Frauen des sexuellen
Missbrauchs beschuldigten US-Horrorrocker Marilyn Manson.
## Stumpfe Macker
Wests impliziertes Statement: Nieder mit der Cancel-Culture! Ein Move, noch
lauwarmer als die Musik auf seinem letzten Album. Dieses ominöse
„Canceling“ scheint den drei Künstlern hart zuzusetzen. Als wäre ihre
Trotzreaktion noch nicht fragwürdig genug, setzt sich die stumpfe
Mackersolidarität auch in den Songs des Albums fort. In „New Again“ singt
der wegen schwerer Körperverletzung verurteilte Rapper Chris Brown den
Refrain.
Die mittlerweile auf Streaming-Portalen verfügbare Version (schließlich ist
West dafür bekannt, Alben auch nach Veröffentlichung noch zu ändern) von
„Donda“ präsentiert kurz vorm Ende zudem den Song „Jail 2“, bei dem so…
Manson als auch Dababy mitsingen. So endet „Donda“ genau wie seine
Promokampagne: in einem Desaster mit sehr unangenehmem Nachgeschmack.
Doch das ist gleich auf mehreren Ebenen bedauerlich. Denn musikalisch ist
es Wests stringentestes Album seit Jahren. Mit 108 Minuten Spieldauer wirkt
es zwar um einiges zu lang, dennoch klingen erstaunlich viele dieser 27
Tracks gelungen. Wests Gospel-HipHop-Vision hat inzwischen deutlich
schärfere Konturen bekommen: Auf den mit Chören ausgeschmückten Highlights
„Hurricane“ und „Jesus Lord“ erreicht er damit ungeahnt sakrale Höhen.
Auch die Tiefen sind faszinierend: An anderen Stellen wie „Of The Grid“
demonstriert er einen fast schon manischen Flow, den man so lange nicht
mehr von ihm gehört hat. Auch die abgesehen von den bereits erwähnten
Figuren bemerkenswert umsichtig kuratierte Gästeliste lässt aufhorchen:
Junge Tastemaker wie Playboy Carti und Roddy Rich und Popstars wie The
Weekend und Profis wie Jay Electronica legen sich für Kanye West ins Zeug.
Sie hätten allemal Besseres verdient als die Rochaden des durchgeknallten
Superstars. Schade drum!
6 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Marius Magaard
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