# taz.de -- Aktivist:innen über „Marsch für das Leben“: „Wir stehen auf… | |
> Samstag marschieren wieder Abtreibungsgegner:innen durch Berlin. | |
> Das What-the-Fuck-Bündnis organisiert ungemütliche Gegenproteste. | |
Bild: Bunte Demo am 19. September 2020 gegen den sogenannten „Marsch für das… | |
taz: „Blut Kot Glitzer“ ist das Motto der diesjährigen Proteste des | |
[1][What-the-Fuck-Bündnisses]. Wie kam es denn zu diesem Slogan, Frau | |
Nowak? | |
Ella Nowak: Der kommt von einem Berliner Polizisten. Vielen Dank noch mal | |
dafür! | |
Tatsächlich? Erzählen Sie mal bitte! | |
Wir haben im vergangenen Jahr die Menschen unterstützt, die sich 2019 nach | |
einer Sitzblockade beim Marsch für das Leben gegen den Vorwurf der Nötigung | |
verteidigen mussten. Bei einem dieser Prozesse hat ein Zeuge von der | |
Polizei behauptet, dass bei unseren Protesten mit Blut, Kot und Glitzer | |
geworfen würde. Das war ein absurdes Beispiel dafür, wie überzogen die | |
Bilder von uns gezeichnet werden. Da werden die Fundis vom Marsch als alte, | |
gebrechliche Opfer dargestellt, die wir nötigen, stehen zu bleiben. Und wir | |
sind dann die völlig perversen, mit Fäkalien schmeißenden Wilden. Das ist | |
so einschlägig als Bild, dass wir uns das aneignen und zunutze machen | |
mussten. | |
Wer genau ist dieses „Wir“? Aus wem besteht das „What-the-Fuck“-Bündni… | |
Wir sind ein Berliner Bündnis aus verschiedenen linksradikalen, | |
queerfeministischen Gruppen und Einzelpersonen. Die interventionistische | |
Linke ist zum Beispiel dabei und die Gruppe „Andere Zustände ermöglichen“. | |
Wir organisieren jedes Jahr die Gegenproteste zum Marsch für das Leben, der | |
immer im September in Berlin stattfindet. Dieses Jahr planen wir am | |
Vorabend eine eigene Demo, wo wir unsere Anliegen auf die Straße bringen, | |
und dann am Samstag rund um den Marsch Störaktionen. | |
Wie lange gibt es [2][diese Gegenproteste] schon? | |
Wir haben vor elf Jahren angefangen, uns gegen den Marsch zu organisieren. | |
Die Notwendigkeit war klar: Zum einen sind natürlich das Recht auf | |
Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung grundsätzlichste feministische | |
Themen. Das Ganze bekommt aber noch einmal eine andere Brisanz durch deren | |
Verbindungen zu den extremen Rechten. Das hat vielen Menschen enorme | |
Motivation gegeben zu sagen: Das können wir nicht zulassen, dass die jedes | |
Jahr ungestört ihr Hauptvernetzungstreffen in Berlin-Mitte abhalten. | |
Wie viel von diesen rechten Verbindungen ist sichtbar beim Marsch für das | |
Leben? | |
Denen ist über die Jahre natürlich auch klar geworden, dass das kein | |
besonders positives Bild ausstrahlt, wenn Neo-Nazis in der ersten Reihe | |
mitlaufen. Man kann also schon beobachten, dass die inzwischen einen | |
größeren Aufwand betreiben, damit das Bild nach außen schöner wird und sie | |
ein bisschen bürgerlicher daherkommen. Aber im Hintergrund sind die | |
Strukturen noch die gleichen. | |
Was findet denn nicht mehr auf der Straße statt? | |
Da läuft dann Beatrix von Storch nicht mehr in der ersten Reihe mit, | |
sondern etwas weiter hinten. Das Grußwort sprechen unbekanntere | |
Kirchenleute. Es wird also kaschiert, wer da eigentlich alles dabei ist. | |
Früher konnte auch jeder von denen seine eigenen Transpis mitbringen, jetzt | |
verteilen die Organisator:innen die Schilder. Seitdem sieht man die | |
Hardcoresachen wie den direkten Vergleich zwischen Abtreibung und Shoah nur | |
noch ganz selten. | |
War in den vergangenen Jahren der Marsch größer oder der Gegenprotest? | |
Ich würde sagen, die Zahlen beim Marsch stagnieren so bei 5.000 | |
Teilnehmer:innen. Bei uns ist das etwas schwerer zu schätzen, weil wir | |
dezentral unterwegs sind und außer uns auch das Bündnis für sexuelle | |
Selbstbestimmung und andere Personen gegen den Marsch mobilisieren. Letztes | |
Jahr haben wir so 6.000 Protestierende geschätzt. Ich bin da natürlich | |
überhaupt nicht objektiv, aber ich würde schon sagen: Wenn man an dem Tag | |
in Mitte unterwegs ist, dann nimmt man doch mehr den Gegenprotest wahr. | |
Auch in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien ist es mehr und mehr | |
gekippt, sodass die Deutungshoheit dieses Tages eher bei uns liegt. Das | |
haben wir schon gut geschafft. | |
Kommt es zu inhaltlichen Begegnungen zwischen den Leuten vom Marsch und den | |
Protestierenden? | |
Die Demos selber sind ja total abgeriegelt. Aber der Weg dahin kann schon | |
ungemütlich sein für die Leute vom Marsch. 2019 kam es zu einer | |
unmittelbaren Begegnung. Da hatten sich Aktivistinnen von uns verkleidet in | |
den Marsch begeben und von dort aus die Sitzblockade gestartet. Da kamen | |
dann Rufe wie „Wir beten für euch, ihr werdet auch noch gerettet“. Aber das | |
würde ich jetzt nicht als inhaltlichen Austausch bezeichnen. Die Positionen | |
sind einfach zu weit auseinander, um überhaupt noch reden und diskutieren | |
zu können. Wenn man aus Süddeutschland für so eine Demo nach Berlin fährt, | |
ist es schwer, noch irgendwas zu verhandeln. | |
Wie heterogen ist denn Ihr Bündnis? | |
Bei uns machen verschiedenste Leute mit. Man könnte aber sagen, dass wir | |
eher jünger, queer und weniger institutionalisiert sind. Wir sind relativ | |
divers, was Herkunft, Bildung, Klasse, Krankheit und Behinderung betrifft. | |
Mit älteren feministischen Organisationen haben wir eher Konfliktpunkte, | |
zum Beispiel, dass nicht nur Frauen schwanger werden können; dass Sexarbeit | |
Arbeit ist. | |
Hat der Anteil queerer Themen in den vergangenen Jahren zugenommen? | |
Es ist eher so, dass mit den Jahren mehr und mehr in den Fokus gerückt ist, | |
dass wir auch eigene Themen setzen wollen. Am Anfang ging es vor allem | |
darum, sich am Marsch abzuarbeiten und zu zeigen, dass wir echt nicht | |
einverstanden sind mit denen. Das ist immer noch ein großer Teil unserer | |
Proteste und kostet viel Zeit und Kraft. Aber je länger wir im Bündnis | |
zusammenarbeiten, desto mehr wollen wir diese Proteste auch nutzen, um der | |
Gesamtgesellschaft zu zeigen: Wir sind nicht nur gegen etwas, sondern wir | |
haben auch Forderungen. Für das Thema Abtreibung heißt das, dass | |
Schwangerschaftsabbrüche endlich legalisiert werden und dass | |
Gynäkolog:innen nicht mehr bestraft werden können, wenn sie | |
Informationen dazu bereitstellen. Aber der Marsch ist ja noch mehr, er | |
steht für den totalen Fokus auf die Hetero-Kleinfamilie. Auch da wollen wir | |
Inhalte setzen und zeigen, es gibt viel mehr als das. Und das dritte große | |
Thema ist der Bereich Pränataldiagnostik. Die Fundis versuchen immer | |
wieder, dieses Thema für sich zu beanspruchen und die Legalisierung von | |
Schwangerschaftsabbrüchen mit Behindertenfeindlichkeit gleichzusetzen. Wir | |
kämpfen aber gegen eine behindertenfeindliche Gesellschaft und haben eigene | |
Positionen zu Pränataldiagnostik. | |
Es gibt zwischen Ihnen und Behindertenrechtsaktivist:innen keine | |
Bruchlinie? | |
Das ist ein sehr komplexes Thema und es hat auch bei uns Jahre gedauert, | |
bis wir uns eine Position dazu erarbeitet haben. Wir haben verschiedene | |
Einzelpersonen, die selbst betroffen sind im Bündnis und wir werden dieses | |
Jahr auch Redebeiträge zum Thema haben. Ich finde es wichtig, da keine | |
Gegenüberstellung aufzumachen zwischen | |
Behindertenrechtsaktivist:innen und Feminist:innen, als wären das | |
unvereinbare Positionen. Und wir überlassen es auch nicht dem Marsch, sich | |
als Sprachrohr behinderter Menschen darzustellen. | |
Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Wie viel Blut, Kot und Glitzer wird es | |
in den kommenden Tagen bei Ihren Protesten geben? | |
Mit dem Motto ist uns in diesem Jahr wichtig, darauf aufmerksam zu machen, | |
wie sehr wir von staatlicher Repression betroffen waren und wie viel Kraft | |
das gekostet hat. Da steht ja die große Frage dahinter: Warum wird | |
feministischer Protest so kriminalisiert und abgewertet, in so eine | |
Ekelecke gerückt?! | |
Müssen sich die Berliner Polizist:innen jetzt tatsächlich auf fliegende | |
Fäkalien einrichten? | |
Das scheint uns eher unwahrscheinlich, weil es ja auch in den letzten | |
Jahren nicht passiert ist. Aber vielleicht hat der besagte Beamte auch der | |
einen oder anderen Aktivist:in die Idee nun schmackhaft gemacht … Haha. | |
Nein. Wir stehen dann doch eher auf Glitzer und die besseren Argumente. | |
17 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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