# taz.de -- Prozess zu Neonazi-Angriff in Fretterode: Mit dem Messer gegen Jour… | |
> 2018 attackierten Rechtsextreme zwei Journalisten in Thüringen. Nun | |
> beginnt der Prozess. Der DJV warnt vor einer „Bagatellstrafe“. | |
Bild: Noch während der Tat dokumentiert: Das Foto soll einen der Angreifer von… | |
BERLIN taz | Die beiden Fotografen wollten ein Neonazitreffen auf dem | |
Anwesen der NPD-Größe Thorsten Heise im Thüringer Fretterode dokumentieren, | |
als plötzlich Nordulf H. und Gianluca B. vom Grundstück aus auf sie | |
zugelaufen seien. Die Journalisten flüchteten in ihr Auto, die | |
Rechtsextremen seien nach ihrer Schilderung mit einem BMW hinterhergefahren | |
und hätten versucht, sie von der Straße zu drängen. Als sie sich nach | |
mehreren Kilometern in einem Straßengraben festfuhren, sollen Nordulf H. | |
und Gianluca B. hinausgestürmt und sie [1][mit einem Schraubenschlüssel, | |
Baseballschläger, Messer und Reizgas attackiert], die Autoscheiben | |
zertrümmert und Reifen zerstochen haben. | |
Am Ende sollen die Angreifer noch eine Kamera geklaut haben, dann fuhren | |
sie davon. Die Opfer blieben mit einer Stichverletzung am Oberschenkel, | |
einer blutenden Kopfwunde und Prellungen zurück, ihr Pkw war ein | |
Totalschaden. | |
Der Angriff ereignete sich bereits Ende April 2018, nun – dreieinhalb Jahre | |
später – stehen Nordulf H. und Gianluca B., 22 und 27 Jahre alt, dafür ab | |
Dienstag vor dem Landgericht Mühlhausen. Die Attacke sorgte damals | |
bundesweit für Entsetzen – weil sie ein Angriff auf die Pressefreiheit war, | |
ausgeführt mit äußerster Brutalität. Vor Gericht müssen sich die beiden | |
Rechtsextremen nun wegen Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung, | |
schweren Raubs und Sachbeschädigung verantworten. Angesetzt sind elf | |
Verhandlungstage bis Mitte Oktober. | |
## „Tote in Kauf genommen“ | |
Laut Rasmus Kahlen, Anwalt eines der Fotografen, verfolgt die Tat die | |
Angegriffenen bis heute. Die Mittzwanziger aus Göttingen hätten als freie | |
Journalisten gearbeitet, seien zur Recherche vor Ort gewesen. Einer habe | |
diese Tätigkeit danach aufgegeben, beide seien bis heute über die | |
Brutalität der Attacke geschockt. Für Kahlen müsste die Tat härter als | |
angeklagt verurteilt werden: als versuchter Totschlag. „Der Schlag mit dem | |
Schraubenschlüssel führte zu einem Schädelbruch, von dem Messerstich hätte | |
der Betroffene auch verbluten können. Hier wurden Tote in Kauf genommen.“ | |
Das [2][Ermittlungsverfahren] gestaltete sich dagegen zäh. Zwar konnte | |
einer der Journalisten die Angreifer selbst auf Fotos festhalten und die | |
Speicherkarte in einer Socke verstecken. Die Staatsanwaltschaft zweifelte | |
aber zunächst, ob die Bilder echt sind. Dann wurde erst gegen einen anderen | |
Verdächtigen ermittelt. Am Ende verzögerte sich der Prozessauftakt wegen | |
des vorzeitigen Ruhestands eines Richters und der Pandemie. | |
Unterstützer:innen der Journalisten kritisieren zudem, dass die | |
Angreifer nicht in U-Haft sitzen. Sie wollen zum Prozessauftakt eine | |
Kundgebung vor dem Gericht abhalten. Auch die Thüringer Opferberatung Ezra | |
übt Kritik: Schon zuletzt habe die Justiz [3][Verfahren gegen Neonazis | |
verschleppt], auch im Fall Fretterode fehle eine konsequente | |
Strafverfolgung. „Das ist hochgefährlich und verkennt die Dimension | |
militanter Neonazistrukturen.“ | |
Die Staatsanwaltschaft sah dagegen bisher keine Haftgründe wie Flucht- oder | |
Verdunklungsgefahr. Anwalt Kahlen wundert sich darüber. „Bei diesen | |
schweren Vorwürfen drohen Haftstrafen von fünf Jahren und aufwärts. Da wäre | |
eine U-Haft eigentlich üblich.“ Einzig Nordulf H. könnte milder | |
davonkommen, weil er zur Tatzeit Heranwachsender war. | |
## Einschlägig bekannt | |
Die Angeklagten selbst schweigen bisher zu den Vorwürfen. Aber sie sind | |
keine Unbekannten. Nordulf H. ist der Sohn des NPD-Bundesvize [4][Thorsten | |
Heise], auch Gianluca B. soll zur Tatzeit auf dessen Grundstück gewohnt | |
haben. Der 27-Jährige war früher ebenfalls für die NPD aktiv. Erst jüngst | |
wurde er zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten | |
verurteilt, weil er sich 2016 an einem Neonaziangriff auf den [5][Leipziger | |
Alternativstadtteil Connewitz] beteiligt hatte. Thorsten Heise wiederum ist | |
zentrale Figur der [6][militanten rechtsextremen Szene], sein Haus ein | |
bundesweiter Treffpunkt und Sitz eines einschlägigen Versandhandels. | |
Anwalt Kahlen dringt auch deshalb darauf, alle Hintergründe der Tat | |
„komplett aufzuklären“. Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) | |
verfolgt den Prozess. „Wir erwarten, dass das Gericht die Neonaziattacken | |
als das bestraft, was sei waren: ein Angriff auf das Grundrecht der | |
Pressefreiheit und damit auf die Verfassung“, sagt Sprecher Hendrik Zörner. | |
„Am Ende darf es nicht zu einer Bagatellstrafe kommen, sondern zu einem | |
gerechten Urteil.“ | |
7 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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