| # taz.de -- Prozess in Mecklenburg-Vorpommern: Dein Freund und Sammler | |
| > Ein Polizist wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er | |
| > Kriegswaffen zu Hause aufbewahrt hat. Er hortete auch Munition aus | |
| > Polizeibeständen. | |
| Bild: Vom Schießplatz mitgenommen: Gewehrpatronen | |
| Rostock taz | Sven J. hat das Bedürfnis zu reden. Er interessiere sich | |
| schon seit seiner Jugend für Militärgeschichte, sagt er. Er sei Sammler | |
| seit mehr als 40 Jahren und habe seither seine Schätze auch bei sich | |
| zuhause. Sein Spezialgebiet: russische Waffen. Er suche nach ihnen auf | |
| ehemaligen Truppenübungsplätzen, bekomme sie überlassen, kaufe oder tausche | |
| sie auf Trödelmärkten oder Messen in ganz Europa. „Kein Problem, ich kann | |
| alles beantworten zu dem Hobby“, sagt Sven J. im Saal 128 des Amtsgerichts | |
| Rostock und gibt zu: Für einen Außenstehenden sei das alles vielleicht | |
| schwierig nachzuvollziehen. | |
| Sven J. steht am Montag vor Gericht, weil er gegen das | |
| Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz | |
| verstoßen haben soll. Er ist 54 Jahre alt, Glatze, dunkelgraues Hemd, | |
| Polizeihauptkommissar bei der Wasserschutzpolizei in Rostock. In der DDR | |
| war er bei der Armee, zuletzt Leutnant, ein Hubschrauberpilot. Nach der | |
| Wende fing er bei der Polizei an, einige Jahre auch als Pilot, dann zehn | |
| Jahre Streifendienstleiter. Und parallel war er Schießtrainer. Derzeit ist | |
| er vom Dienst suspendiert. | |
| Dass die Ermittler*innen Sven J. auf die Spur kamen, war im Grunde | |
| Zufall. Sie werteten die Chats von Marko G. aus, dem Admin der | |
| rechtsextremen [1][Preppergruppe Nordkreuz]. Sie stießen dabei auf einen | |
| langen problematischen Chatverkehr mit Sven J. Das war die Grundlage für | |
| eine Hausdurchsuchung Ende November 2019. | |
| Die Ermittler*innen kamen am frühen Nachmittag in J.s Doppelhaushälfte | |
| in einem Rostocker Vorort und blieben fast bis Mitternacht. Sie trugen eine | |
| Menge nach draußen. Je nach Sichtweise Metallschrott, Schätze – oder eben | |
| illegale Kriegswaffen, zumal nicht ordnungsgemäß gelagert. | |
| Sie stellten auch eine Menge an Munition sicher, die teilweise auch unter | |
| das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt und teils offenkundig aus | |
| Polizeibeständen stammt. Wie er sich diese unter den Nagel riss, wird Sven | |
| J. überraschend offen zugeben. | |
| ## Problematische Verbindungen | |
| Aus den Chats des [2][verurteilten Ex-SEK-Polizisten Marko G]., der zu | |
| Hause zehntausende Schuss Munition und Waffen hortete, sind mindestens 13 | |
| Verfahren hervorgegangen. Er ist nicht die einzige problematische | |
| Verbindung von Sven J. Seine Nummer wurde auch beim damaligen KSK-Soldaten | |
| Philipp Sch. gefunden, der illegal Waffen, Munition und Sprengstoff bei | |
| sich versteckte und deswegen [3][Anfang des Jahres verurteilt wurde]. | |
| Den Chat versucht Sven J. herunterzuspielen. Er habe sich mit dem | |
| Gleichgesinnten Marko G. über alles Mögliche aus 2.500 Jahren | |
| Militärgeschichte unterhalten. Das Dritte Reich sei zwar sehr interessant, | |
| aber auch nur ein Teil. „Sie wissen ja selber, was Sie geschrieben haben“, | |
| sagt der Staatsanwalt. Etwa: „Treffen wir uns im Führerhauptquartier?“ | |
| Die Metaphern seien „teilweise grenzwertig, teilweise scheiße, schade“, | |
| antworte Sven J. Aber, betont er über sich in der dritten Person: „Es ist | |
| nicht hundertprozentig NS-Jargon bei Herrn J. zu finden.“ Er redet sich in | |
| Rage und führt aus, dass er nie Hitlerbilder verschickt habe, dass er fast | |
| eine dunkelhäutige Frau geheiratet habe und spricht von seinen jüdischen | |
| Freunden. Solle so jemand rechts sein? „Da müsste ich ja ein gutes | |
| Chamäleon sein.“ | |
| ## Inhalte mit NS-Bezug | |
| Nach taz-Informationen wurden im Chat auch weitere Inhalte mit NS-Bezug | |
| verschickt, ein Bild mit Hakenkreuz oder eine verfremdete Hitler-Rede etwa. | |
| Strafrechtlich ist all das nicht relevant, weil die Kommunikation in einem | |
| Eins-zu-Eins-Chat erfolgte, also nichtöffentlich. | |
| Seit 2010 war Sven J. als Polizeiausbilder fünfmal in Afghanistan, | |
| insgesamt mehr als 20 Monate. Er habe das interessant gefunden, auch als | |
| Militärhistoriker. Und er habe den afghanischen Kollegen gerne beigebracht, | |
| „dass sie vielleicht einen Monat länger überleben“. [4][Viermal war er au… | |
| für Frontex auf dem Mittelmeer im Einsatz.] | |
| Es ist vor Gericht unstrittig, dass bis auf eine Ausnahme alle der | |
| sichergestellten Waffen nicht schussfähig waren und dass Sven J. auch nicht | |
| versucht hat, sie wieder funktionsfähig zu machen. Bei vielen bestreitet | |
| er, dass das überhaupt möglich sei und klingt dabei wie ein | |
| Sachverständiger in eigener Sache. Weil im Falle von den Start- und | |
| Zielrohren von sowjetischen Flugabwehrgeschützen auch beauftragte Gutachter | |
| sich nicht so richtig festlegen wollten, wurden die Vorwürfe vor Gericht | |
| teils fallengelassen. | |
| Einige der insgesamt ein Dutzend Gewehre und Pistolen waren zwar als | |
| Dekowaffen unbrauchbar gemacht, aber nicht auf die vorgeschriebene Art und | |
| Weise. Und zumindest im Falle von zwei Maschinengewehren muss Sven J. | |
| zugeben, dass man sie wohl wieder in Gang hätte setzen können, auch wenn | |
| sie stark korrodiert waren. Damit fallen sie klar unter das | |
| Kriegswaffenkontrollgesetz. | |
| Er habe auch gewusst, dass die Gewehrpatronen illegal waren, sagt Sven J. | |
| Aber das seien Raritäten, immer nur eine pro Typ, die er in seinem | |
| Sammlerwahnsinn mitgenommen habe – und bei Vorträgen als Beispiele | |
| vorgezeigt. Er antwortet bereitwillig auf Fragen, wo er sie jeweils her hat | |
| – und kann sich oft im Detail daran erinnern. | |
| ## Patronen vom Schießplatz in Güstrow | |
| Zwei Waffen hat Sven J. legal besessen, darunter eine Pistole, mit der er | |
| rund 800 Patronen aus Polizeibeständen verschießen konnte, die bei ihm | |
| gefunden wurden. Die Patronen habe er vom Schießplatz in Güstrow | |
| mitgenommen, sagt er. Er habe dort mehrfach am so genannten Special Forces | |
| Workshop teilgenommen, vom LKA Munition bekommen, auch mal 500 auf einmal | |
| und sie dann eingesteckt. „Normalerweise ist es so, dass man darüber Buch | |
| führt“, sagt der Richter ungläubig. [5][Recherchen der taz haben gezeigt, | |
| dass bei dieser Veranstaltung aber sehr lasch mit Regeln umgegangen wurde.] | |
| Nach einem halben Verhandlungstag verurteilt das Schöffengericht Sven J. zu | |
| zehn Monaten auf Bewährung, es sieht einen minderschweren Fall. Daneben | |
| muss er 2.000 Euro an einen gemeinnützigen Verein bezahlen. Das Gericht | |
| folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, dem sich J.s Verteidiger | |
| angeschlossen hat. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, weil sowohl die | |
| Staatsanwaltschaft als auch Sven J. auf Rechtsmittel verzichteten. | |
| Sven J. verzichtet auch auf die Herausgabe der Waffen und Munition, seine | |
| Waffenbesitzkarten wurden ihm entzogen. Sein Verteidiger betont, dass sich | |
| auch die Sammelleidenschaft seines Mandanten nun klar ändern werde. | |
| Dass die Strafe unter einem Jahr blieb, ist für Sven J. von entscheidender | |
| Bedeutung, weil er dann nicht automatisch aus dem Polizeidienst entlassen | |
| wird. Sein ruhendes Disziplinarverfahren wird nun wieder aufgenommen. Darin | |
| spielt dann auch das eine Rolle, was er im Chat mit Marko G. besprochen und | |
| ausgetauscht hat. | |
| 24 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sebastian Erb | |
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