| # taz.de -- Oper über die Erfinder Tesla und Edison: „Sie werden dem Moll gl… | |
| > In Weimar wird Stewart Copelands Oper „Electric Saint“ uraufgeführt. Ein | |
| > Gespräch über Akkorde, Angst und die Bedeutung großer Erfinder. | |
| Bild: Geniale Funken: „Electric Saint“ dreht sich um die Erfinder Nikola Te… | |
| taz: Herr Copeland, am Deutschen [1][Nationaltheater in Weimar] wird am | |
| Sonntag Ihre Oper „Electric Saint“ uraufgeführt. Im Mittelpunkt stehen | |
| dabei der Physiker und Erfinder Nikola Tesla, sein Kollege und Konkurrent | |
| Thomas Alva Edison und der Bankier J. P. Morgan, der Tesla erst finanzierte | |
| und dann in den Ruin trieb – drei Charaktere voller Widersprüche. Was hat | |
| Sie an dieser Konstellation gereizt? | |
| Stewart Copeland: Die Bedeutung dessen, was sie taten. Diese drei | |
| glorreichen Halunken haben unsere moderne Welt hervorgebracht. In | |
| Philosophie, Literatur und Religion dauert es jeweils Jahrhunderte, bis | |
| sich Dinge so weit entwickelt haben, damit man durch sie die Welt verändern | |
| kann. | |
| In der Wissenschaft kann man das auf drei oder vier Leute einer bestimmten | |
| Ära eingrenzen. In nur wenigen Jahren, Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang | |
| des 20. Jahrhunderts haben Tesla, Edison und Morgan alles verändert. Ihre | |
| Erfindungen waren, was die Automatisierung anbelangt, dramatischer als die | |
| Ideen der Reformation und die Renaissance. Sie haben immer noch | |
| Auswirkungen darauf, wie wir unseren Alltag bewältigen. | |
| Und wie drücken Sie das in Ihrer Komposition aus? | |
| Meine Aufgabe ist es, die Charaktere und Szenen von dem Librettisten und | |
| Regisseur Jonathan Moore in Gefühle zu übertragen. Ich möchte die Zuschauer | |
| dadurch misstrauisch machen. Ich möchte sie zugleich lieben lassen, und ich | |
| möchte ihnen Angst machen. Zum Lachen bringen möchte ich sie auch. Mit | |
| meiner Musik erzähle ich auch meine eigene Geschichte. | |
| In meinen 20 Jahren als Filmkomponist habe ich viele Tricks gelernt, wie | |
| man Gefühle manipuliert. Das eine Mal lügt uns Musik an, das andere Mal | |
| erzählt sie uns die Wahrheit. Aber wem wird man mehr glauben – den Augen | |
| der Zuschauer oder meinem Moll-Akkord? Sie werden meinem Moll-Akkord | |
| glauben! Egal, was Ihre Augen Ihnen sagen, Sie werden meiner Botschaft | |
| glauben. Mein böser Job ist es, und dafür entschuldige ich mich, Ihre | |
| Gefühle zu manipulieren. | |
| An welcher Stelle manipulieren Sie denn in „Electric Saint“ die Gefühle des | |
| Publikums? | |
| Ich finde es reizvoll, wenn Thomas Edison ein bisschen sympathisch | |
| rüberkommt. Wenn Sie Empathie für ihn haben, können Sie den Konflikt | |
| zwischen ihm und seinem kurzzeitigen Angestellten Tesla besser verstehen. | |
| Zum Beispiel, wenn Edison beschreibt, dass er einen Elefanten durch einen | |
| Stromschlag getötet hat – bloß um Tesla zu diskreditieren. Meine Musik | |
| schlachtet diese Szene komödiantisch aus. Erst viel später merkt man, wie | |
| schrecklich das eigentlich ist. | |
| Und das verdanken Sie Ihrer Tätigkeit und Erfahrung als Filmkomponist? | |
| Ja, ich glaube nicht, [2][dass Mozart jemals] das Publikum mit Musik | |
| angelogen hat. Richard Wagner auch nicht. Wenn es einen guten Kerl gibt, | |
| war ihre Musik heroisch. Punkt. Es gab keine Täuschung mithilfe der Musik. | |
| Aber Mozart macht ja oft das Gegenteil: Da, wo der Text Figuren oder das | |
| Publikum täuscht, erzählt die Musik die Wahrheit. | |
| Das tut sie auch in „Electric Saint“. Sie erklärt die moderne Welt, in der | |
| wir heute leben und wie sie über Nacht entstanden ist. Das Publikum wird | |
| hoffentlich davon inspiriert sein, wie einflussreich die Errungenschaften | |
| jener Zeit und ihre Erfinder waren. Und natürlich möchte ich, dass die | |
| Besucher*innen danach voller Emotionen nach Hause gehen. | |
| Durch die Musik im Überschwang der Gefühle zu sein – ist es das, worauf es | |
| nach einem Opernabend ankommt? | |
| Ich bin ein hoffnungsloser Fall, was Gefühle und Musik angeht. Es ist ein | |
| bisschen peinlich: Jonathan Moore, der Librettist, und ich teilen eine | |
| Charaktereigenschaft, nämlich dass er während der Proben, wenn es wirklich | |
| etwas Lustiges gibt, hysterisch lacht. Ich sage dann immer: Hey Kumpel, du | |
| lachst gerade über deinen eigenen Witz. Und zehn Minuten später heule ich, | |
| weil ich von meiner eigenen Musik emotional so überwältigt bin. | |
| Ich vermute, dass ich das brauche, um Musik mit einer emotionalen Wirkung | |
| schreiben zu können. Ich muss meiner Musik ja selbst glauben. Es ist mir | |
| unangenehm, das zu sagen, aber es ist wahr. Ich nehme zu jeder Probe | |
| Taschentücher mit. | |
| Bei welchen Szenen weinen Sie in „Electric Saint“? | |
| An den schmerzhaften Stellen in Nikola Teslas Biografie. Ich will, dass die | |
| Leute seine Enttäuschungen nach Tiefschlägen spüren, wenn er wegen Edison | |
| oder Morgan betrübt ist. Das Publikum soll das nachempfinden, um zu | |
| verstehen, was ihm den Antrieb gegeben hat weiterzumachen. Oder, wenn J. P. | |
| Morgan seine Philosophie erklärt, in der sich alles ums Geld dreht. Auch | |
| wenn es nicht gerade ein ungewöhnlicher Dreh der Handlung ist, dass er | |
| reich sein will. | |
| Nikola Tesla und Thomas Edison waren als Erfinder zwei Pioniere auf dem | |
| Gebiet der Elektrotechnik. Tesla hat etwa den Zweiphasenwechselstrom | |
| entwickelt. Edison hat seine Erfindungen zu einem System von Stromerzeugung | |
| und -verteilung verbunden. Wie setzen Sie das klanglich um? | |
| Die musikalische Textur ist sehr elektrisch, nicht elektronisch, da ja ein | |
| Sinfonieorchester spielt. Obwohl auch eine echte Tesla-Maschine zu sehen | |
| und zu hören sein wird, der Tesla-Transformator. | |
| Letztendlich liefert die Idee der Elektrizität das musikalische Konzept. | |
| Die Musik ist sehr schnelllebig, sprudelnd und oft in den hohen Registern. | |
| So würde ich Strom akustisch definieren. Seine Energie taucht aber auch in | |
| der Klanggestalt der Figuren auf, zum Beispiel in der tiefen Kraft von J. | |
| P. Morgans Basso profondo. In dieser Musik steckt Strom. | |
| Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber 300 Kilometer von Weimar entfernt | |
| [3][baut Elon Musk,] der reichste Mann der Welt und CEO des | |
| E-Autoherstellers Tesla, gerade eine gigantische Fabrik. | |
| Oh, wirklich? | |
| Ja, die Gigafactory hat sogar ihre eigene Autobahnausfahrt und eine | |
| Bahnstrecke. Dafür wird Wald gerodet, in dem Munition aus dem Zweiten | |
| Weltkrieg im Boden lagert. Die Fabrik will zwar Tausende Arbeitsplätze | |
| schaffen, aber könnte auch die Wasserknappheit in Brandenburg verstärken. | |
| Das alles nicht zu thematisieren – ist das nicht verschenktes Potenzial? | |
| Oder anders gefragt: Spielt es eine Rolle, ob diese Oper in Weimar oder | |
| sonst wo uraufgeführt wird? | |
| Das müssen Sie Jonathan Moore fragen. Ich glaube aber, dass er nicht an die | |
| Sensibilitäten in Deutschland gedacht hat, sondern als Künstler mit | |
| proletarischen Wurzeln eher an die von Südlondon. Aber Elon Musk, Jeff | |
| Bezos und Richard Branson sind wie ein Echo von Tesla, Edison und Morgan – | |
| Genies, die alle um einen Preis konkurrieren. Das bringt das Beste und das | |
| Schlechteste in Ihnen zum Vorschein. | |
| Was wünschen Sie sich von Ihrer Oper? | |
| Ich hoffe, dass auch diejenigen hingehen, die nicht unbedingt Opernfans | |
| sind. Und dass sie danach aus dem Theater kommen und in die Oper verliebt | |
| sind, so wie ich. | |
| 3 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophie Emilie Beha | |
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