| # taz.de -- Bücher über Nikola Tesla: Tanzen mit dem Strom | |
| > Nikola Tesla, einer der bedeutendsten Erfinder des 20. Jahrhunderts, | |
| > starb verarmt im Hotel. Wurde er lange vergessen, weil er aus dem Balkan | |
| > stammte? | |
| Bild: Nikola Tesla an seinem 78. Geburtstag. Lederhandschuhe und Hüte warf er … | |
| Lautet die Quizfrage, was Robert Bosch, [1][Albert Einstein] und Thomas | |
| Edison gemeinsam haben, wird eine qualifizierte Mehrheit nicht Klempner | |
| oder [2][Automarke] ankreuzen, sondern Erfinder. Würde Albert Einstein | |
| durch [3][Nikola Tesla] ersetzt, ergäben sich sehr wahrscheinlich | |
| wesentlich mehr Kreuze bei Automarke. | |
| Auch wenn in den vergangenen Jahren die Beschäftigung mit Nikola Tesla | |
| einen kleinen Boom erlebt, im Vergleich zu der Bedeutung seiner | |
| Erkenntnisse und Entwicklungen steht das in keinem Verhältnis. | |
| Übers Jahr verteilt erschienen 2023 im Zuge seines 80. Todestages in | |
| Deutschland immerhin zwei Bücher: der Roman „Tesla oder die Vollendung der | |
| Kreise“ von der kroatisch-deutschen Autorin Alida Bremer und die Biografie | |
| „Die Wechselströme des Geistes“, verfasst vom Philosophen Manfred Geier mit | |
| Schwerpunkt auf Teslas Ideen und Experimenten zwischen Magie und | |
| Wissenschaft. | |
| Nikola Tesla hatte schon zu Lebzeiten das Zeug zu einem millionenschweren | |
| Bio-Pic. Dass es den bis heute nicht gibt, ist ein Rätsel. Denn der 1856 im | |
| kroatischen Hinterland geborene und nach New York emigrierte Erfinder der | |
| elektrischen Energieübertragung wurde wegen seines Genies, seiner Exzentrik | |
| und seines Stils zu Lebzeiten wie ein Popstar gefeiert. | |
| ## Dandy im Luxushotel | |
| Er legte außerordentlichen Wert auf teure Kleidung, warf Lederhandschuhe | |
| und Hüte weg, wenn er sie mehr als eine Woche getragen hatte, ernährte sich | |
| strikt vegetarisch und lebte ausschließlich in Luxushotels wie dem „New | |
| Yorker“, in dem er 1943 auch starb. Seine Miete zahlte er nie selbst, da | |
| die Hotelbetreiber froh waren, sich mit dem prominenten Gast schmücken zu | |
| können und Bankiers wie JP Morgan seine Rechnungen und die Finanzierung | |
| seiner Forschung übernahmen. | |
| Tesla war einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, weil er seine | |
| wissenschaftlichen Vorträge zu Spektakeln machte. Er stellte sich selbst in | |
| den Mittelpunkt und ließ den nach ihm benannten Wechselstrom auf seiner | |
| Kleidung und auf seinen Haaren entladen, was irre Effekte erzeugte. | |
| Dafür, dass Elon Musk seine Elektroautos nach dem Erfinder vom Balkan | |
| benannte, würden ihn Kroaten und Serben sofort zum Präsidenten auf | |
| Lebenszeit wählen. | |
| Warum aber ist Nikola Tesla trotzdem bei Weitem kein so großer Name | |
| geworden wie etwa sein Lehrer Thomas Edison? Am Mangel an durchschlagenden | |
| Erfindungen kann es nicht gelegen haben – neben Elektromotor und Generator | |
| hat Tesla über 700 Patente angemeldet und gilt als Erfinder der drahtlosen | |
| Energieübertragung nicht nur als Wegbereiter der Funktechnik, sondern auch | |
| als Vordenker des Smartphones und des Internets. | |
| Auch an seinem Namen dürfte es nicht gelegen haben: Weder hat er einen | |
| Dschungel über den Buchstaben seines Namens, noch knausert er mit Vokalen | |
| wie sonst auf dem Balkan üblich (Kinder gehen in den vrt, Geizige nennt man | |
| škrt und ein Insel heißt Krk). Dass aber Nikola Teslas Urne und sein | |
| Nachlass nicht in einem New Yorker, sondern einem Belgrader Museum stehen | |
| und nicht der New Yorker, sondern der Belgrader Flughafen nach ihm benannt | |
| ist, könnte schon eher ein Grund sein. | |
| ## Seiner Zeit voraus | |
| Liegt es also am Ende doch daran, dass ein Erfinder vom Balkan auch heute | |
| noch weniger zählt als einer, der aus Westeuropa oder den USA stammt? Oder | |
| lag es vielleicht doch an Teslas Persönlichkeit, die man für nicht ganz | |
| seriös hielt? Er machte ja nicht nur unerhörte Prophezeiungen, was die | |
| Technik, sondern auch was die Gesellschaft betraf, und sagte beispielsweise | |
| voraus, dass Frauen „die Zivilisation mit ihrem Fortschritt aufschrecken | |
| würden“. | |
| Alida Bremers Roman „Tesla oder die Vollendung der Kreise“ bearbeitet unter | |
| anderem die Frage danach, ob es Einwanderer aus dem Balkan im Vergleich zu | |
| anderen schwerer haben. | |
| Die Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin Bremer hat sich | |
| jahrzehntelang unermüdlich für die Vermittlung kroatischer Literatur in | |
| Deutschland eingesetzt. Mit der Schwierigkeit, hierzulande Aufmerksamkeit | |
| für die Erzählungen aus dem Balkan zu generieren, kennt sie sich also | |
| bestens aus. Ihren Roman hat sie sehr geschickt konzipiert. Anstatt nämlich | |
| den berühmten Erfinder als Hauptfigur zu installieren, wählt sie einen | |
| anderen Kroaten: Ante Matijaca. Auch er ist eine historische Figur, ein | |
| Arzt, der aus der Nähe des kroatischen Geburtsortes von Tesla stammt, den | |
| er sehr bewundert und den er in New York persönlich kennenlernt. | |
| Die erste Enttäuschung, dass der Roman gar nicht zentral von Tesla handelt, | |
| verfliegt äußerst schnell. Denn Alida Bremer erzählt anhand des | |
| welthistorisch viel unbedeutenderen Ante Matijaca anschaulich, mitreißend | |
| und dicht die selten erzählte Geschichte kroatischer Auswanderung in die | |
| USA. Zahlenmäßig war die zwar kleiner als die anderer Nationen, im | |
| Verhältnis zur Einwohnerzahl aber riesig. | |
| Ante Matijaca ist dabei einer von denen, die es vom Tellerwäscher zwar | |
| nicht zum Millionär, aber dennoch zu einem Studium, zu Ansehen, Geld, | |
| Familie und einem insgesamt guten Leben gebracht haben. Im Jahr 1905 fährt | |
| er als Teenager mit dem Schiff allein nach New York, wo ihn ein mit den | |
| Eltern befreundeter Arzt abholen soll. Der aber kommt nicht und so bleibt | |
| Ante in der Immigrantensammelstelle auf Ellis Island. Ihm droht, wieder in | |
| die Heimat abgeschoben zu werden, ohne je amerikanisches Festland betreten | |
| zu haben. Doch ein Junge aus Triest, den er auf der Überfahrt kennengelernt | |
| hat, überzeugt die italienische Community davon, für ihn zu bürgen, und das | |
| Abenteuer USA beginnt auch für Ante. | |
| ## Geschichte des kroatischen Erfindergeistes | |
| Wir durchleben fortan mit ihm das ganze 20. Jahrhundert: Als Arzt des Roten | |
| Kreuzes kehrt er im Ersten Weltkrieg zurück nach Europa und hilft in | |
| Montenegro den Verletzten. Während des Zweiten Weltkriegs landet er in | |
| England im Gefängnis, weil man ihn für einen Spion hält, da er in Kontakt | |
| mit Nikola Tesla ist, der wegen seiner Erfindung der drahtlosen | |
| Informationsübertragung unter Verdacht steht, den Nazis zu helfen. | |
| Antes Erfolgsrezept sind Disziplin und der unbedingte Wille zu beweisen, | |
| dass es einer vom Balkan zu was bringen kann. Sein bester Freund, der aus | |
| Triest stammende Ernesto, dem er zu verdanken hatte, überhaupt in der Neuen | |
| Welt bleiben zu können, schafft das nicht. Während Ante von Teslas | |
| technischem Verstand fasziniert ist und sich davon in seiner medizinischen | |
| Arbeit inspirieren lässt, sieht Ernesto Teslas Genie in der Verbindung aus | |
| Wissenschaft und Poesie. Während Ante sich an der Wissenschaft orientiert | |
| und Karriere macht, stirbt Ernesto ähnlich wie am Ende Tesla als | |
| mittelloser Künstler, ohne je ein Gedicht veröffentlicht zu haben. | |
| Alida Bremer erzählt die Geschichte des kroatischen Erfinder- und | |
| Pioniergeistes, aber auch eine Jahrhundertgeschichte kroatischer | |
| Borniertheit, Rückständigkeit und Minderwertigkeitskomplexe. Den Beweis, | |
| dass die Leistungen des Balkans ignoriert werden, liefert in den Debatten | |
| der kroatischen Exilanten auch der zweitberühmteste Naturwissenschaftler | |
| und Philosoph aus Kroatien: der 1787 in Mailand verstorbene Ruđer Josip | |
| Bošković. Auf Bošković gehen grundlegende Erkenntnisse im Rahmen der | |
| Astronomie zurück und er gilt als Begründer der Atomphysik. Doch sein Name | |
| ist anders als der seiner französischen Zeitgenossen wie d’Alembert nur den | |
| Leuten vom Fach ein Begriff. | |
| Ob es bei Bošković an der Herkunft oder tatsächlich am Namen liegt (man | |
| findet ihn in Dutzenden verschiedenen Schreibweisen), können auch die im | |
| Roman diskutierenden Kroaten und Italiener nicht beantworten. Im Fall Tesla | |
| scheint es aber eine zu geben: Der hochintelligente Dandy war schlicht und | |
| ergreifend kein guter Geschäftsmann. Einem windigen Unternehmer verkaufte | |
| er für wenig Geld seine Patente, die diesem Milliarden einbrachten. Und | |
| auch sonst ließ sich Tesla allerlei wichtige Erfindungen von Konkurrenten | |
| klauen. | |
| Es gibt derzeit in Kroatien einen neuen Elektroauto-Erfinder, der einer | |
| großen Öffentlichkeit völlig unbekannt ist, in der Welt der | |
| Autointeressierten aber als Wunderkind und Genie gefeiert wird: Mate Rimac. | |
| Er hat längst etliche von Elon Musk und dessen Tesla gehaltene Rekorde | |
| eingestellt. Im Unterschied zu Bošković, Tesla oder Matijaca musste Rimac | |
| nicht auswandern, um Erfolg zu haben: Der Firmensitz der ehemaligen | |
| französisch-italienisch-deutschen Marke Bugatti ist jetzt in der | |
| kroatischen Hauptstadt Zagreb. So lange Rimac allerdings bei seinen Leisten | |
| bleibt und keine Social-Media-Firma kauft, wird der andere Zampano der | |
| Elektroautos natürlich der Bekanntere bleiben. | |
| 7 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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