# taz.de -- Grüne in Baden-Württemberg: Steuermann im Shitstorm | |
> Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz führt ein | |
> Online-Hinweisportal für Steuervergehen ein. Dafür wird er im Netz wüst | |
> beschimpft. | |
Bild: Der grüne Finanzminister von Baden-Württemberg Danyal Bayaz | |
BERLIN taz | Es ist eher selten, dass Steuerpolitik zu heller Aufregung | |
führt. Anders an diesem Mittwoch: Die Bild-Zeitung titelte mit einer | |
„Steuer-Stasi“, die ein grüner Minister einführe. Die Grünen wollten | |
„Denunziantentum fördern und Misstrauen unter Nachbarn säen“, wetterte | |
CSU-Generalsekretär Markus Blume. Auch FDP-Chef Christian Lindner stimmte | |
in den Chor der Empörten ein. „Was wir nicht brauchen, ist eine staatliche | |
Aufforderung zu Denunziantentum unter Nachbarn.“ Was war passiert? | |
Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung hat ein | |
Online-Hinweisportal für Steuervergehen eingeführt. Es wurde am Montag | |
freigeschaltet und am Mittwoch präsentiert. Das Portal gibt BürgerInnen die | |
Möglichkeit, Hinweise auf Steuerbetrug anonym anzuzeigen. | |
Bisher nahm die Landesregierung anonyme Hinweise zu Steuervergehen bereits | |
telefonisch, schriftlich, persönlich oder per E-Mail entgegen. Nach ihren | |
Angaben fehlten aber oft wesentliche Einzelheiten. Über das neue Portal | |
kann die Steuerverwaltung demnach online und anonym mit den | |
HinweisgeberInnen kommunizieren. | |
Mehrere Politiker von CDU, CSU und FDP übten scharfe Kritik am neuen | |
Portal. Sie witterten die Gelegenheit, die [1][Grünen] im | |
Bundestagswahlkampf in die Defensive zu bringen. Hamburgs CDU-Chef | |
Christoph Ploß nannte es eine „staatliche Anstiftung zum Denunziantentum“. | |
In Baden-Württemberg reagierte man auf die wütende Kritik – und erläutert | |
das Vorhaben detaillierter. | |
## „In allen anderen Bundesländern anonyme Anzeigen möglich“ | |
„Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre | |
Steuern zahlen“, sagte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz | |
(Grüne) der taz am Donnerstag. Sie koste den Staat geschätzt 50 Milliarden | |
Euro im Jahr. „Das neue anonyme Hinweisportal ist ein ergänzendes | |
Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit.“ | |
Bayaz betonte, dass in allen anderen Bundesländern seit Jahren anonyme | |
Anzeigen per Telefon, Brief und Mail möglich seien. Bayern werbe ganz | |
offensiv dafür. „So was sollte im Jahr 2021 auch online gehen, deshalb das | |
Onlinesystem.“ | |
Alle großen Steuerskandale der vergangenen Jahre seien durch – meist | |
anonyme – Hinweisgeber aufgedeckt worden, sagte Bayaz. „Anzeigen müssen | |
selbstverständlich gut begründet sein, sonst werden sie von der | |
Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt | |
ausdrücklich nicht.“ Niemand müsse fürchten, dass künftig die | |
Steuerfahndung vor der Tür stehe, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt | |
habe. | |
In der Tat ist die baden-württembergische Initiative in der Form eines | |
Online-Briefkasten neu, nicht aber in der Sache. Das Bayerische Landesamt | |
für Steuern wirbt auf seiner Webseite dafür, Steuerhinterziehung – auch | |
anonym – anzuzeigen. „Mit einer Anzeige setzen Sie sich für mehr | |
Steuergerechtigkeit ein“, heißt es da. Entsprechende Formulare werden zum | |
Download angeboten. | |
## Verstöße, die der Allgemeinheit schaden | |
Jene könnten dann per E-Mail oder Post an das zuständige Finanzamt | |
übersandt werden. CSU-Generalsekretär Blume hätte sich bei den eigenen | |
Behörden informieren können, dass die Praxis durchaus üblich ist. | |
Louisa Schloussen, Whistleblowing-Expertin von Transparency Deutschland, | |
begrüßte die Initiative aus Baden-Württemberg. Begriffe wie | |
„Denunziantentum“ und „Blockwartmentalität“ seien absolut fehl am Plat… | |
„Es geht beim Whistleblowing um Hinweise auf Verstöße, die der | |
Allgemeinheit schaden und deren Aufdecken im Interesse der Gesellschaft | |
liegt.“ | |
Wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in der Praxis zeigten ganz | |
klar, dass absichtliche Falschmeldungen kaum vorkämen. „Statt die | |
Verdunkelung von Straftaten weiter zu ermöglichen, ist es daher gut, dass | |
die Politik Schritte unternimmt, um für Licht im Dunkeln zu sorgen.“ | |
Die Möglichkeit, Finanz- und Korruptionsdelikte anonym zu melden, gebe es | |
seit Langem, etwa bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht | |
(Bafin) und bei Landeskriminalämtern. Bei solchen Delikten gebe es oft ein | |
enormes Machtgefälle zwischen zwischen meldender und gemeldeter Person, | |
betonte Schloussen. | |
## Wüste Beschimpfungen seit Bild-Aufmacher | |
„Die Anonymität ist ein wichtiger Faktor, dieses Missverhältnis | |
auszugleichen.“ Auch der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, | |
Thomas Eigenthaler, wies die Kritik zurück. „Das ist zu einem großen Teil | |
Wahlkampfgetöse“, sagte er dem Handelsblatt. | |
Bayaz, in Heidelberg geborener Sohn einer deutschen Mutter und eines | |
türkischen Vaters, wird seit dem [2][Bild]-Aufmacher wüst im Netz | |
beschimpft. „Was soll man bei dem Namen schon erwarten?!“, postete ein | |
Nutzer auf Instagram. „Der Menschen Händler der grünen wird bald vom | |
Militär aufgehängt“, schrieb ein anderer. Und: „Stasi Dreck brauchen wir | |
nicht.“ Bayaz kündigte gegenüber der taz an, sich gegen Drohungen und | |
rassistische Beleidigungen zu wehren. | |
„Strafbare Kommentare werden wir konsequent zur Anzeige bringen“, sagte er. | |
Mit Blick auf manche Äußerungen von Wettbewerbern und Medien betonte er: | |
„Es stimmt mich auch nachdenklich, wie einige Stimmen aus dem politischen | |
und publizistischen Raum jeden politischen Anstand vermissen lassen.“ Auch | |
ein Wahlkampf legitimiere keine geschichtsvergessenen Stasi- oder | |
Nazi-Vergleiche. | |
2 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlkampf-die-Gruenen-und-Rezo/!5794068 | |
[2] /Bild-im-linearen-Fernsehen/!5794124 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Steuerhinterziehung | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
GNS | |
Unternehmen | |
Briefkastenfirmen | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Umfragewerte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Studie zu Whistleblowing: Schutz für Hinweisgebende löchrig | |
Im Dezember treten für Unternehmen neue Regeln zum Whistleblowing in Kraft. | |
Eine Studie zeigt nun: Viele Firmen in Deutschland sind nicht vorbereitet. | |
Vorwürfe gegen Tschechiens Premier: Leben wie Babiš in Frankreich | |
Recherchen investigativer Journalisten zeigen, wie Tschechiens | |
Regierungschef mit Briefkastenfirmen ein Schloss bei Cannes erwarb. Nun | |
sind Wahlen. | |
taz-Community über Klimakoalitionen: „Keine Zeit für Experimente“ | |
Welche wäre die beste Regierungskoalition für den Klimaschutz? | |
taz-LeserInnen schreiben über ihre Wunschkoalitionen zur Klimawahl. | |
Grünen-Wahlkämpferin Baerbock: Irgendwie dabei | |
Grünen-Co-Chefin Baerbock will Kanzlerin werden. Sagt sie. Doch | |
SPD-Kandidat Scholz führt die Umfragen an, Baerbock steht nur auf Platz | |
drei. Und nun? | |
Studie vor der Bundestagswahl: Grüne bei Queers klar vorn | |
Fast zwei Drittel der LSBTIQ-Wähler*innen wollen für Parteien links der SPD | |
stimmen. Union und AfD kommen bei ihnen nicht einmal auf 5 Prozent. |