# taz.de -- Hungrig im Supermarkt: Voller Bauch kauft nicht gern ein | |
> Hungrig durch den Supermarkt zu wandern, halten die meisten Menschen für | |
> anstrengend. Für unseren Autoren ist es das Paradies auf Erden. | |
Bild: Man muss seine Lustströme über das persönliche Mühlrad leiten, sie f�… | |
Ob sie zuerst die Nägel der linken oder der rechten Hand schneiden, | |
besprechen Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård in Lars von Triers | |
Fickfilm „Nymphomaniac“ – also ob sie zuerst die Arbeit oder das (natürl… | |
auch mit viel Schmerz verbundene) Vergnügen wählen. Aber was ist mit den | |
Fußnägeln? Dem Ohrenschmalz? Dem Kniekehlenschorf? | |
Sie sehen: Ich bin ein – wenn auch der Entropie zugeneigter – Vertreter der | |
protestantischen Arbeitsethik. Aber auch mein Tag hat nur 1.440 Minuten. | |
[1][Zur Lebensmittelbesorgung komme ich kaum], und wenn, dann spätabends. | |
So spät ist es manchmal, dass man schon hört, wie Bärchen und Stärchen | |
gähnen und überlegen, ob sie vor dem Schlaf noch mal streiten sollen. In | |
der Ferne surrt der Diamantschleifer, der neue Geflügelwurstscheiben aus | |
Johannes B. Kerners Gehirn schneidet. Der Mond geht auf. | |
Gegessen habe ich da natürlich auch noch nichts. Wann auch? Es ist ja immer | |
was los. Und doch brauche ich geeignetes Material zur Stopfung meiner | |
inneren Gans. Nudeln, Öl, Gemüse, Paprika, Schnaps, viel Salz und etwas | |
Erde. Die Körperpflanze soll schließlich gedeihen; die Proteasen brauchen | |
Stoff; der Magengletscher kalbt. Auf geht’s in den Supermarkt. | |
Ich schlendere rein, kann vor Tageserschöpfung kaum mehr einen Gedanken | |
davon abhalten, schwindelig durch den Kopf zu rasen, und werde geflutet mit | |
Food. Hungrig einzukaufen halten die meisten Menschen für anstrengend, | |
dumm, ja geradezu ungenießbar. Für mich ist es das Paradies auf Erden! So | |
ziemlich alles sieht gut aus, anregend, lecker! | |
Ich lade mir den Wagen voll, errichte Erbsenberge, greife zu fiesen | |
Trickangeboten, als wäre ich Sparkassen-Vorstand auf spending spree, lecke | |
teure Jogurts an, setze mich in Meeresfrüchte-Eimer, und mir wird wieder | |
flackernd klar, wie toll das Leben ist. Ungefähr siebzig Käses schwerer | |
stehe ich vor der Kasse, bezahle und tapere glücklich nach Hause. Fressung | |
folgt auf den Punkt. Danach nie wieder aufstehen; nach einer Stunde: | |
[2][Lanz]; nach zwei Stunden: Bett. Und das Beste: Der Kühlschrank ist | |
voll. | |
Es ist ein immer wieder von den Sozialkundelehrern und | |
Verhaltensforscherinnen dieser Welt verbreiteter Irrtum, man müsse dem | |
Warenfetisch irgendwas entgegensetzen und versuchen, sich möglichst | |
rational mit den Angebotsmassen auseinanderzusetzen, die uns niederwalzen. | |
Kauft nur, was ihr braucht, Kinder! Zählt euer Wechselgeld, Kinder! Wascht | |
eure Brotscheiben, Kinder! | |
Ich dagegen denke: Man muss seine Lustströme über das persönliche Mühlrad | |
leiten, sie für sich selbst produktiv machen. Und die Nägel? Gibt’s zum | |
Nachtisch. | |
15 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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