# taz.de -- Razzia bei „La Prensa“ in Nicaragua: Zensur vor der Wahl | |
> Bei der letzten landesweiten Tageszeitung von Nicaragua hat die Polizei | |
> Akten und Datenträger beschlagnahmt. Der Herausgeber wurde festgenommen. | |
Bild: „La Prensa“ existiert seit 1926 und war seither immer eine Opposition… | |
WIEN taz | Am Freitag, kurz nach Mittag, marschierte die Polizei in die | |
Redaktionsräume von Nicaraguas Tageszeitung La Prensa ein. Die mit | |
automatischen Waffen ausgerüsteten Polizisten kappten die | |
Internetverbindung, durchsuchten die Räumlichkeiten und beschlagnahmten | |
zentnerweise Computer, Datenträger und Archivmaterial. Den anwesenden | |
Mitarbeitern wurde der Gebrauch ihrer Mobiltelefone untersagt. Bereits am | |
Tag zuvor hatte die Redaktion mitgeteilt, [1][dass die Regierung die | |
Papierzufuhr blockiere und die aktuelle Ausgabe nicht erscheinen könne]. | |
Als die Polizisten nach fast 16 Stunden am frühen Samstagmorgen abzogen, | |
nahmen sie den Geschäftsführer Juan Lorenzo Holmann Chamorro mit. Er solle | |
„Dokumente unterzeichnen“. Doch bis Redaktionsschluss am Montag war er | |
nicht entlassen. | |
Anlass für die polizeiliche Aktion sind Vorwürfe von Zollbetrug und | |
Geldwäsche „zum Nachteil des Staates und der nicaraguanischen Bevölkerung�… | |
Staatspräsident [2][Daniel Ortega, der am 7. November zu seiner dritten | |
Wiederwahl in Folge antritt], verteidigte den Schlag gegen die | |
Pressefreiheit noch am Freitagabend. Die Polizei habe im Lager „große | |
Mengen von Papier entdeckt“, obwohl die Leitung der konservativen | |
Traditionszeitung tags zuvor ihre Druckausgabe eingestellt habe, weil | |
Papier und Druckertinte vom Zoll nicht freigegeben worden seien. Für Ortega | |
eine schamlose Lüge und Beweis für eine falsche Anschuldigung gegen den | |
Staat. Vonseiten der Redaktion heißt es, das gefundene Papier sei für | |
Plakate, Bücher und Broschüren geeignet, nicht aber für eine Zeitung. | |
Die 1926 gegründete Prensa ist die älteste Tageszeitung Nicaraguas und war | |
die letzte landesweit erscheinende. La Prensa war sowohl während der | |
Diktatur der Somoza-Dynastie (1936–1979) als auch während der | |
sandinistischen Revolution (1979–1990) ein Bollwerk der Opposition. Die | |
Somozas ließen Herausgeber Pedro Joaquín Chamorro 1978 ermorden. Die | |
Sandinisten unterwarfen das Blatt einer strengen Zensur. Einige Jahre war | |
die Zeitung geschlossen. | |
## Einst vielfältige Presselandschaft | |
Chamorros Witwe Violeta Barrios de Chamorro löste 1990 als Kandidatin eines | |
breiten, von den USA finanzierten Oppositionsbündnisses Daniel Ortega als | |
Präsidenten ab. Ihre Tochter [3][Christiana Chamorro], die im November für | |
eine geeinte Opposition gegen Ortega antreten wollte, sitzt seit Anfang | |
Juni in Hausarrest. Weitere sechs Kandidaten wurden seither unter | |
verschiedenen Vorwürfen festgenommen und gelten als verschwunden, weil | |
ihnen jeder Kontakt nach außen verwehrt wird. Mehrere Oppositionsparteien | |
wurden verboten. | |
In Nicaragua blühten einst Medien unterschiedlicher politischer | |
Ausrichtung. Die sandinistische Tageszeitung Barricada wurde schon in den | |
1990er Jahren mangels kommerziellen Erfolges eingestellt. Das unabhängige | |
El Nuevo Diario, 1980 aus einer prorevolutionären Strömung in der | |
Herausgeberfamilie Chamorro aus La Prensa hervorgegangen, wurde [4][vor | |
zehn Jahren vom Ortega-nahen Banker Ramiro Ortiz aufgekauft], der es | |
schrittweise auf Linie brachte und vor zwei Jahren schließlich einstellte. | |
Die elektronischen Medien werden großteils von der Präsidentenfamilie | |
Ortega-Murillo kontrolliert. First Lady und Vizepräsidentin Rosario Murillo | |
betreibt den staatlichen Canal 6 als Propagandainstrument, die meisten | |
privaten Kanäle werden von ihren Kindern geleitet. Der digitale Kanal 100% | |
Noticias des Evangelikalen Miguel Mora, der während des mehrmonatigen | |
Aufstandes gegen Ortega 2018 live berichtete, wurde konfisziert. Auch die | |
Räumlichkeiten der oppositionellen Online-Zeitung confidencial.com.ni | |
wurden beschlagnahmt, Herausgeber Carlos Fernando Chamorro ins Exil nach | |
Costa Rica vertrieben. Von dort berichtet er weiter. | |
Nach der Schließung von La Prensa sprach Vilma Núñez von der verbotenen | |
Menschenrechtsorganisation CENIDH von einer „Besetzung manu militari“. Die | |
Interamerikanische Menschenrechtsorganisation CIDH warf dem Regime in | |
Managua vor, „all seine polizeilichen, justiziellen und | |
Strafvollzugsmöglichkeiten einzusetzen, um seinen flagranten | |
Machtmissbrauch und offene Zensur mit einem Mäntelchen der Legalität zu | |
verkleiden“. | |
16 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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