| # taz.de -- Schwierige Solidarität mit Nicaragua: Gegen die Wand reden | |
| > Die umgestülpte Geschichte: Geflohene Nicaraguaner bekommen Hilfe | |
| > von Gruppen, die einst die Revolution des heutigen Diktators | |
| > unterstützten. | |
| Bild: Ein umstrittener Präsident: Daniel Ortega in einem Graffiti | |
| Berlin taz | Solidarität mit Nicaragua hatte in der west- und ostdeutschen | |
| Linken immer einen guten Klang. Wer wollte nicht gern die erfolgreiche | |
| Befreiungsbewegung FSLN unterstützen, die 1979 mit wehenden schwarz-roten | |
| Fahnen in die nicaraguanische Hauptstadt Managua einzog und den verhassten | |
| Diktator Anastasio Somoza Debayle aus dem Land jagte? Auch als die | |
| Regierungsjunta unter Daniel Ortega selbst an der Macht kam, erhielt sie | |
| weiterhin Unterstützung von deutschen Linken. | |
| Unzählige Solidaritätsgruppen wurden damals gegründet, so etwa die | |
| „Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael del Sur“. Seit gut 35 Jahren | |
| macht der Verein Projektarbeit vor Ort, unterstützt bei der Trinkwasser- | |
| und Gesundheitsversorgung, organisiert Menschenrechtsarbeit und Schulungen | |
| für die Zivilgesellschaft. | |
| Und das ist nicht gerade einfacher geworden in den vergangenen Jahren, denn | |
| inzwischen gleicht Ortega für viele immer mehr dem Diktator Somoza, den er | |
| einst mit stürzte. | |
| Seit 2007 haben der Dauerpräsident und seine Ehefrau und Vizepräsidentin | |
| Rosario Murillo sämtliche staatliche Instanzen – vom Parlament über die | |
| Justiz bis hin zu Armee und Wahlrat – [1][unter ihrer Kontrolle]. | |
| Spätestens seit 2018 wird dagegen breit demonstriert. Auch gegen weitgehend | |
| friedliche Proteste lässt die Regierung neben der Polizei immer wieder auch | |
| die Armee und neue paramilitärische Einheiten aufmarschieren. Die bisherige | |
| Bilanz des nicaraguanischen Menschenrechtszentrums Cenidh: 328 Tote, viele | |
| gezielt bei Demonstrationen erschossen oder außergerichtlich hingerichtet. | |
| Über 2.000 Verletzte und 1.614 Gefangene. Heute sind noch rund 140 | |
| politische Gefangene in Haft. | |
| Über 100.000 Nicaraguaner*innen sahen sich seitdem gezwungen, ins | |
| Exil zu gehen, die meisten leben heute in Costa Rica. Aber mehr als 200 | |
| Exilant*innen aus Nicaragua haben auch in Deutschland Anträge auf Asyl | |
| gestellt. Von ihnen hat allerdings erst eine Einzige das Recht auf | |
| politisches Asyl in Deutschland erhalten. Inzwischen lebt sie in der | |
| Schweiz. Zwei weitere Nicaraguaner*innen werden aus humanitären | |
| Gründen zumindest geduldet. | |
| Eine davon heißt Valeria und lebt in Berlin. Die 27-jährige Studentin aus | |
| der Hauptstadt Managua hatte bereits seit April 2018 an den Massenprotesten | |
| teilgenommen, sie gab Interviews, war sichtbar in den Medien. Bald darauf | |
| erhielt sie Drohungen und wurde verfolgt, wie die meisten anderen | |
| Protestierenden auch. Wenige Monate später, im Juli 2018, flüchtete sie aus | |
| ihrer Heimat, im August beantragte sie Asyl in Berlin. | |
| „Es gibt staatliche Verfolgung in Nicaragua“, betont Valeria, „aber wir | |
| müssen diese Verfolgung beweisen.“ Das Bundesamt für Migration und | |
| Flüchtlinge (Bamf) informiere sich nur über offizielle staatliche | |
| Webseiten, „wo nur von Liebe und Frieden die Rede ist“, so Valeria. Die | |
| Behörden würden die Realität in Nicaragua nicht verstehen: „Man redet gegen | |
| eine Wand.“ | |
| Bis zur Duldung waren es zehn lange Monate, die sie noch immer prägen. | |
| „Ohne offiziellen Status war es für mich sehr hart“, erzählt Valeria: „… | |
| Asylsystem gibt die Wege vor, kontrolliert das Leben. Im Heim gibt es keine | |
| Freiheiten, keine Besuchsmöglichkeiten. Ich war allein, konnte mit | |
| niemandem sprechen.“ Aber sie berichtet auch von Willkommensaktionen für | |
| Geflüchtete und Deutschkursen im Mehringhof-Theater. Ein wichtiger | |
| Anlaufpunkt für sie war etwa das Refugio Café in Neukölln. Über eine | |
| Freundin kam sie zur KuB, der Kontakt- und Beratungsstelle für Geflüchtete | |
| und Migrant*innen in Kreuzberg, wo man ihr schließlich weiterhalf. Im | |
| Mai 2019 erhielt sie ihre Duldung. | |
| „Die Geflüchteten aus Nicaragua „sind hier nicht gewollt“, konstatiert | |
| Valeria nüchtern. Sie seien ratlos und fragten sich, was mit ihnen | |
| passieren werde. „In ganz Europa wollen sie keine Geflüchteten.“ Doch | |
| während Geflüchtete in Spanien immerhin ihren Beruf anerkennen lassen | |
| könnten, müssten hier ausgebildete Anwält*innen und Ärzt*innen auf | |
| Erzieher*in umschulen oder bei Amazon jobben, weil sie Geld bräuchten. | |
| Am Schlimmsten seien jedoch die Unsicherheit und die Angst vor Abschiebung. | |
| Man gehe nicht einfach so ins Exil, sagt ein junger in Costa Rica lebender | |
| Menschenrechtsaktivist auf einer Onlineveranstaltung über „Perspektiven von | |
| Nicaraguaner*innen im Exil“, die unlängst vom Verein | |
| Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael del Sur und dem Informationsbüro | |
| Nicaragua organisiert wurde. Die Bilanz: Die politische Situation in | |
| Nicaragua verschlechtere sich, die Repression steige an, Rückkehr sei daher | |
| nicht in Sicht. Asyl sollte ermöglicht werden. | |
| Weil zunächst alle nicaraguanischen Asylsuchenden vom Bamf in Hamburg | |
| zusammengezogen werden, gibt es hier inzwischen eigene Hilfsstrukturen, wie | |
| die Nicaragua Hilfe. Hier ist Peter Borstelmann tätig. Er sagt, die | |
| Asylsuchenden müssten in förmlichen Anhörungen ihre Asylgründe darlegen und | |
| dass sie mit zahlreichen alltäglichen Hürden konfrontiert seien. Die | |
| Nicaragua Hilfe bereitet die Asylsuchenden auf die Anhörungen vor und | |
| begleitet sie bei den Terminen. Fast alle bisher vom Bamf entschiedenen | |
| rund 160 Asylanträge wurden mit haarsträubenden Begründungen abgelehnt. Die | |
| Nicaragua Hilfe unterstützt auch bei Klagen dagegen. Der Zeitpunkt der | |
| ersten Gerichtsverhandlungen ist ungewiss und wird wohl frühestens 2022 | |
| stattfinden. Abschiebungen nach Nicaragua hat es bislang nicht gegeben. | |
| Dort hat Ortega inzwischen seine Konkurrent*innen bei der am 7. | |
| November anstehenden Präsidentschaftswahl unter Hausarrest stellen oder ins | |
| Gefängnis werfen lassen. Seit Ende des vergangenen Jahres hat die von der | |
| Regierung kontrollierte Nationalversammlung zudem repressive Gesetze | |
| verabschiedet, die bestimmte oppositionelle Aktivitäten als Terrorismus | |
| definieren. | |
| Dies ist einer der Gründe, warum das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg | |
| und die Stadtverwaltung von San Rafael del Sur keine gemeinsamen Projekte | |
| mehr durchführen. Doch auf zivilgesellschaftlicher Ebene gehe die | |
| Zusammenarbeit weiter, betont Rosa López, die Projektkoordinatorin der | |
| Städtepartnerschaft. Dennoch herrsche viel Wehmut, wie etwa bei der Feier | |
| zum 35-Jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft Ende August. Viele der | |
| langjährigen Mitglieder könnten „das alles eigentlich gar nicht glauben“, | |
| so López. | |
| Inzwischen ist die Städtepartnerschaft Teil der Kooperationsgruppe | |
| Solidarität mit Nicaragua, zu der auch das feministische Kollektiv La | |
| Marimba aus Deutschen und Exilnicaraguanerinnen besteht. Dort engagiert | |
| sich auch Valeria, die inzwischen ihren Master an der Alice Salomon | |
| Hochschule macht. Mit La Marimba beteiligt sie sich an Kundgebungen und | |
| Demos, vernetzt sich mit der nicaraguanischen Diaspora-Community und den | |
| alten Soli-Netzwerken wie der Städtepartnerschaft, schreibt offene Briefe | |
| an Politiker*innen, übersetzt Nachrichten aus der Heimat und wirbt um | |
| praktische Solidarität – vier Jahrzehnte nach der gefeierten Revolution. | |
| 17 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Darius Ossami | |
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