Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nicraguanische Geflüchtete in Hamburg: Nicas ausgebremst
> Menschenrechtsorganisationen zufolge ist die nicaraguanische Regierung
> zur Diktatur mutiert. Bei den Behörden in Hamburg scheint das nicht
> anzukommen.
Bild: „Heroes de Abril“, April-Helden: Das Demoschild erinnert an die Aufst…
Hamburg taz | Vor genau drei Jahren kam Lillíam Joaquín Rodríguez nach
Hamburg. Die 34-jährige Nicaraguanerin floh nach der [1][brutalen
Niederschlagung der Studentenproteste im April 2018] aus der kleinen
Hafenstadt Corinto nach El Salvador und von dort aus über Spanien weiter
nach Deutschland.
„Der Bruder meines Mannes war in der Alianza Cívica aktiv“, erzählt sie.
„Deshalb haben sie gedroht, uns das Haus über den Köpfen anzuzünden – sie
wollten uns zwingen, ihn auszuliefern.“ Rund um die Uhr sei das Haus von
der Polizei überwacht worden, bis die Familie sich entschloss, wie mehr als
hunderttausend andere ins Exil zu gehen. „Wir haben alles verkauft, sind
nachts geflohen“, berichtet die Mutter zweier Kinder.
Nach Einschätzung internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Human
Rights Watch hat sich die Situation in Nicaragua seither weiter verschärft.
[2][Unabhängige Medien wurden dichtgemacht], mehrere bekannte Journalisten
sitzen genauso wie eine Handvoll Präsidentschaftskandidaten der Opposition
in Haft.
Die für den 7. November angesetzten Präsidentschaftswahlen bezeichnete der
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell als „Fake“, weil der [3][Urnengang allein
dem Machterhalt von Diktator Daniel Ortega diene]. Ungewohnt deutliche
Worte für einen Diplomaten.
Die stehen im krassen Gegensatz zu den Erfahrungen, die Lillíam Joaquín
Rodríguez mit den Sachbearbeiter*innen des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge (Bamf) machten. „Dort ist Nicaragua immer noch als ein Land
mit einer linken Regierung geführt, wo die Menschenrechte akzeptiert
werden“, sagt sie.
Das bestätigt auch Peter Borstelmann vom Nicaragua- Verein, einem
Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus Nicaragua in Hamburg. Borstelmann, der
mehrere Jahre in Hamburgs Partnerstadt León lebte, kritisiert, dass selbst
auf der Homepage des Auswärtigen Amtes Informationen zu den anstehenden
Wahlen, über Angriffe auf die Pressefreiheit und Verletzungen der
Menschenrechte kaum zu finden sind. „Das ist wenig hilfreich, denn woran
sollen sich die Sachbearbeiter*innen orientieren?“, fragt
Borstelmann.
Folgerichtig werden Asylsuchende wie Lillíam Joaquín Rodríguez mit Fragen
gelöchert, die aus ihrer Sicht respektlos sind. „Ich wurde gefragt, ob ich
nicht zurückgehen wolle“, berichtet sie. Es gebe doch eine Amnestie. „Das
ist schockierend, denn ich habe Familienangehörige, die aus Panama
zurückgingen und nun in Haft sind“, sagt sie und deutet auf das Transparent
hinter ihrem Rücken. „Asyl ist ein Recht, kein Privileg“, steht darauf.
Genau das fordern die knapp dreißig Nicaraguaner*innen ein, die sich
am vergangenen Sonntag mit einer Kundgebung im Hamburger Stadtteil Altona
auf ihre schwierige Situation aufmerksam machten. „Mit meiner Duldung habe
ich hier in Hamburg auch drei Jahre nach meiner Ankunft kaum eine
Perspektive“, schildert Lillíam Joaquín Rodríguez ihr Grundproblem.
Das geht vielen der bundesweit über zweihundert Nicaraguaner*innen
so, die von den Behörden in Hamburg zusammengezogen werden, wo deren
Asylanträge vom Bamf bearbeitet werden. Nur einer der bisher rund 160
bearbeiteten Anträge wurde positiv entschieden. Alle anderen Asylanträge
seien mit zum Teil fragwürdigen Begründungen abgelehnt worden, sagt
Borstelmann.
Diese Einschätzung teilt auch der auf Migrationsrecht spezialisierte
Hamburger Anwalt Claudius Brenneisen. „Selbst ein Mandant, der auf einer
Demonstration angeschossen wurde, ist abgelehnt worden“, sagt Brenneisen.
„Der Schuss sei nicht gezielt abgegeben worden, hieß es in der Begründung.�…
Brenneisen vertritt rund ein Dutzend Mandant*innen aus Nicaragua,
darunter eine Journalistin und eine Ärztin, die verfolgt wurde, weil sie
Verletzten am Rande einer Demonstration geholfen hatte. Fälle, für die das
Asylrecht einst geschrieben wurde. Doch Asyl zu erhalten, sei für
Lateinamerikaner*innen generell schwierig, sagt Brenneisen. Defizite
gebe es auch in den Anhörungen, kritisiert Borstelmann. Unzumutbar sei es,
dass bei den Anhörungen nicht ausreichend qualifizierte
Übersetzer*innen zur Verfügung stünden.
Das bestätigt auch Lillíam Joaquín Rodríguez, deren erste Anhörung auf
Englisch stattfand, obwohl die Muttersprache, also Spanisch, verbindlich
ist. Daraufhin hat sie sich rechtlichen Beistand gesucht. Sie will eine
Perspektive für sich und ihre Familie. An eine Rückkehr sei schließlich
nicht zu denken.
6 Nov 2021
## LINKS
[1] /Repression-in-Nicaragua/!5511870
[2] /Razzia-bei-La-Prensa-in-Nicaragua/!5789663
[3] /Opposition-in-Nicaragua/!5790520
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Nicaragua
Mittelamerika
Daniel Ortega
Lateinamerika
Asylsuchende
Nicaragua
Nicaragua
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schwierige Solidarität mit Nicaragua: Gegen die Wand reden
Die umgestülpte Geschichte: Geflohene Nicaraguaner bekommen Hilfe von
Gruppen, die einst die Revolution des heutigen Diktators unterstützten.
Autor Sergio Ramírez über Nicaragua: „Es herrscht die nackte Angst“
In Nicaragua wird die Luft für Oppositionelle und Künstler immer dünner.
Der frühere Vizepräsident und Schriftsteller Sergio Ramírez über das Regime
Ortega und sein Exil.
Nicaraguas Regierung blockiert Zeitung: Keine Oppositionspresse mehr
Weil Nicaraguas Regierung unter Daniel Ortega das Druckpapier im Zoll
zurückhält, kann die Zeitung La Prensa nur noch online erscheinen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.