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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Komplexe Spiegelungen
> Simon Mullans Installationen würdigen die Arbeitskultur, auch bei
> Alexander Basil ist das Badezimmer Schauplatz künstlerischer
> Auseinandersetzungen.
Bild: Alexander Basil: „Claustrophobia“, Ausstellungsansicht, Galerie Nagel…
Ein Fliesenleger ist Simon Mullan – allerdings der besonderen Art. Denn die
überdimensionierten Badezimmerfliesen, die der Berliner Künstler an die
Wände der großen Ausstellungshalle bei Dittrich & Schlechtriem installiert
hat, muss man sich imaginieren. Hilfe bietet dabei eine Art Minimal
art-Installation: 58 Kreuze aus Granit, in strenger Ordnung an die Wände
montiert, sodass ihr Raster das Negativbild einer gekachelten Wand
evoziert. Die Steinkreuze, handgefertigt aus Restposten von Steinplatten,
[1][geben der Ausstellung auch ihren Namen] “Spacers“, entsprechend ihrer
Funktion als Abstandshalter.
Simon Mullan funktioniert gerne Baustoffe, Arbeitsgeräte und -kleidung zu
künstlerischem Material um. So hat er zum Beispiel 2018 die große Halle bei
Dittrich & Schlechtriem mit blauen Monochromen bestückt. Vollkommen [2][zu
Recht hieß die Ausstellung „Blaumann“], denn die Monochrome waren aus
alten, abgetragenen und entsorgten Blaumännern, also Arbeitsbekleidung,
zusammengenäht.
Nun lässt sich ein verwaistes Stück Betonröhre, das Simon Mullan in den
Galerieraum gestellt hat, als seine Version des „Fountain“ interpretieren.
Eines Brunnens freilich, der ausgetrocknet ist und aus dessen
Abflussöffnung inzwischen ein kleines Bäumchen wächst. Irgendwie würde man
darauf tippen, irgendwo im Raum sei das Tier zu entdecken, das in dieser
wundersamen Plastik lebt.
## Umsatz, Schotter, Einkauf
Denn so merkwürdig es klingt, Simon Mullan hat viel mehr aus dem zum
Kulturpark umfunktionierten Baustoffwerk Stolpe nach Berlin transportiert,
als nur dessen Firmenschild, das nun gleich zu Beginn der Ausstellung an
der Wand hängt. Mehr als die Steinkreuze, das riesige Stück Abflussrohr und
das Video mit Bildern von den Hinterlassenschaften des Stolper Betonwerks,
wie etwa schwerem Gerät, aber auch nur ein paar Elektroleitungen, über die
er von Zeit zu Zeit Begriffe wie Umsatz, Schotter oder Einkauf blendete.
Er hat darüber hinaus viel Atmosphärisches von einer Industrie- und
Arbeitskultur mitgebracht, die in großen Teilen im Verschwinden begriffen
ist, eine Wertschätzung für die dort erbrachten Anstrengungen, die
gegenüber dem großen Bild der Globalisierung fälschlicherweise gering
geschätzt werden. Seine künstlerische Auseinandersetzung mit ihren lokalen
Folgen ist unbedingt sehenswert (bis 28. August, [3][Dittrich &
Schlechtriem], Linienstr.23, Mo-Sa 11-18 Uhr).
## Komplexe Selbstbespiegelung
Das Badezimmer ist auch bei Nagel Draxler zentraler Schauplatz einer
[4][komplexen künstlerischen Selbstbespiegelung]. Alexander Basil, 1997 in
der russischen Weißmeer-Hafenstadt Archangelsk geboren, begegnet sich dort
in einem beängstigendem bis komischen Ausmaß selbst.
Der Künstler, der als Protagonist seiner Bilder immer nackt auftritt, sieht
sich gleich dreifach in der Waschtischbatterie widergespiegelt, er
zerfließt unter Dusche während seine Mini-mes wie kleine Äffchen auf ihm
hocken. Es nicht sicher, ob sie sich gemeinsam im Wasser vergnügen oder ob
er sich von ihnen verfolgt fühlt und er sich auflösen möchte.
Dass die ambivalent zu deutenden Szenarien großartig und ergreifend sind,
liegt nicht zuletzt an seinem malerischen Können. Mit dem fein
gezeichneten, gekräuselten Körperhaar und dem unwiderstehliche Blick seiner
Mandelaugen hat er visuell für sich einen Charakter entwickelt, der ähnlich
einem dieser unsterblichen Comic-Charaktere, in jeder Situation unsere
Aufmerksamkeit hat und unsere Gefühle. Es braucht also nicht vieler Worte
für seine Kunst (bis 14. August, [5][Nagel Draxler], Weydinger Str. 2/4,
Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr).
Nur ein Bild zeigt den bekannten Jason Martin: Für „Untitled (Mixed
white/Brilliant yellow deep/Caribbean blue)“ von 2020 hat der britische
Künstler Ölfarben auf eine Aluminiumplatte aufgetragen und wellenartige
Muster in die noch feuchte Farbe gezogen. Für vier andere Arbeiten hat er
Aquarellpapier benutzt, auf das er je eine Farbe wässrig auftrug, sodass
hellere und dunklere Flächen entstanden, mit Schlieren und Wirbeln dort, wo
sie aufeinander treffen.
## Rhetorik des Farbauftrags
Eigentlich ist es ja ein Kinderspiel, dieses „mal schauen, was ich mit der
Farbe machen kann, wenn ich da noch ein bisschen mehr Wasser drauflaufen
lasse“. Aber so funktioniert Malerei, das Kinderspiel handelt von der
Rhetorik des Farbauftrags und seinen Folgen für die Wahrnehmung eines
Bildes.
Jason Martin ist Teil der Gruppenschau „Reise ans Mittelmeer“ [6][der
Buchmann Galerie]. Der Titel leuchtet sofort ein, angesichts der Arbeit
„Westwind – travail situé“ (2010) von Daniel Buren. Wie immer sehen wir
Streifen, wie immer exakt 8,7 cm breit. Doch weil die sechs schmalen
Stoffbahnen mit ihren hellblauen Streifen auf weißem Canvas an der Wand
über sechs Ventilatoren angebracht sind, die sie fröhlich in die Luft
heben, erinnert man sich an sommerliche Markisen und den eleganten
Schatten, in dem sie Platz bieten.
Die Welle, die Balthasar Burkhard (1944-2010) fotografiert und Schwarzweiß
als großes Tableau gedruckt hat, trägt nun den Titel „Normandie“ (1995) u…
passt daher nicht so recht ans Mittelmeer. Und doch ist sie ein so
grandioser Ausdruck von Sommer und strahlendem Sonnenlicht, dass sie
unbedingt unter „Mittelmeer“ zu verbuchen ist.
Noch eine zweite Fotografie des Berner Fotografen ist ausgestellt, wieder
ein großes Schwarzweißformat mit dem schlichten Titel „Himmel“ (2003) und
hier nun ist die Rhetorik der Farbe so ambivalent, dass man den Dunst und
die Schleier eines sommerlichen Sonnentags am Himmel zu erkennen meint,
aber auch schon das Dunkel eines drohenden Gewitters (bis 14. August,
[7][Buchmann Galerie], Charlottenstr. 13, Di-Sa 11-18 Uhr).
17 Jul 2021
## LINKS
[1] https://dittrich-schlechtriem.com/spacers/
[2] https://dittrich-schlechtriem.com/blaumann/
[3] https://dittrich-schlechtriem.com/
[4] https://nagel-draxler.de/exhibition/claustrophobia/
[5] https://nagel-draxler.de/exhibition/claustrophobia/
[6] https://buchmanngalerie.com/
[7] https://buchmanngalerie.com/
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
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