| # taz.de -- Expert*innen über Resilienz: „In die Ursprungsform zurückkehren… | |
| > Psychotherapeutin Isabella Helmreich und Stressforscher Omar Hahad | |
| > erklären, was Resilienz mit einem Schwamm zu tun hat. Und warum sie so | |
| > wichtig ist. | |
| Bild: Zusammenquetschen oder an die Wand werfen: der Schwamm kehrt immer wieder… | |
| taz am wochenende: Frau Helmreich, Herr Hahad, Resilienz scheint das | |
| Zauberwort unserer Zeit zu sein. Warum? | |
| Isabella Helmreich: In der Pandemie haben wir gemerkt, wie sehr es unsere | |
| psychische Gesundheit beeinträchtigt, wenn wir nicht mehr so leicht unsere | |
| Freunde sehen und positive Erfahrungen machen können. Wir versuchen, | |
| Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen. Resilienz meint die | |
| Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung der psychischen Gesundheit während | |
| oder nach stressvollen Lebensereignissen. | |
| Omar Hahad: Die Menschen waren schon vor der Pandemie mit zunehmenden | |
| Lebenswidrigkeiten konfrontiert. Es gibt immer mehr Leistungsansprüche, | |
| immer mehr psychische Erkrankungen. Deshalb will man herausfinden, warum | |
| manche Menschen dabei stark und gesund bleiben, oder schnell wieder | |
| funktionieren und andere schon aus kleinen Krisen nicht mehr herauskommen. | |
| Das Wort Resilienz ist so nichtssagend, haben Sie einen besseren Namen | |
| dafür? | |
| Helmreich: Kein Wunder, denn ursprünglich ist es ein Fachwort aus der | |
| Materialkunde für Werkstoffe. Ich empfehle immer, an einen Tafelschwamm aus | |
| der Schule zu denken. Den kann man zusammenquetschen, an die Wand werfen, | |
| auf ihm herumtreten, aber er kehrt immer wieder in seine ursprüngliche Form | |
| zurück. Abprallen, zurückspringen – das bedeutet Resilienz. | |
| Alles Negative prallt einfach von mir ab, wenn ich resilient bin? | |
| Helmreich: Das denken viele, aber resistent zu sein und Stress abprallen | |
| lassen zu können, ist nur ein Teil von Resilienz. Es geht darum, sich wie | |
| der Schwamm verformen zu lassen. Uns passieren schwierige Dinge, vielleicht | |
| entwickeln wir psychische Krankheiten, durchleben negative Emotionen, aber | |
| durch interne und externe Ressourcen regenerieren wir uns wieder. | |
| Hahad: Resilienz bedeutet nicht, dass das Stressniveau auf einer Geraden | |
| bleibt. In einer stressigen Situation gibt es einen Ausschlag nach unten. | |
| Jeder Mensch ist stressreaktiv und das ist notwendig. Menschen, die | |
| resilienter sind, schaffen es aber, nach dem Tief schnell wieder auf das | |
| Ausgangsniveau zurückzukommen. Es gibt sogar Menschen, die es schaffen, | |
| nach einer Krise ein höheres Funktionsniveau zu erreichen, an ihr zu | |
| wachsen. | |
| Nehmen wir ein Beispiel: Ich habe mich auf meinen Traumstudienplatz | |
| beworben, der genau das versprach, was ich in meinem Leben machen wollte, | |
| doch dann werde ich abgelehnt. Wie hilft mir Resilienz? | |
| Helmreich: Es ist normal, dass Sie erst mal traurig oder verzweifelt sind. | |
| Aber als resilienter Mensch schaffen Sie es, eine Chance darin zu sehen. | |
| Sich ein Jahr Zeit für Praktika zu nehmen, neue Ideen zu entwickeln, oder | |
| wenn Ihnen das Ziel so wichtig ist, zu überlegen, wie Sie sich | |
| weiterqualifizieren können, um den Platz doch noch zu bekommen. | |
| Und wenn ein mir sehr nahe stehender Mensch stirbt? | |
| Helmreich: Auch da ist es wichtig, eine Phase der Trauer und des Abschieds | |
| zu haben. Das gehört dazu. Negative Emotionen sollen durch Resilienz | |
| nicht weggemacht werden, sie gehören zum Leben dazu und sind wichtig und | |
| nützlich. Resilient sein bedeutet nicht, sich gegen alles zu wappnen und | |
| keine Schwäche mehr zu zeigen. Aber es ist natürlich auch wichtig, | |
| irgendwann wieder aus der Trauer herauszukommen. | |
| Was gehört zu den Ressourcen, die mir dabei helfen? | |
| Helmreich: Ich vergleiche sie gern mit einem Blumenstrauß. Manche | |
| Ressourcen fallen direkt ins Auge, manche sind tief unten in meinem Strauß | |
| versteckt oder müssen erst noch ausgebildet werden. Resilienz entsteht im | |
| Zusammenspiel von Umwelt und persönlichen Faktoren. Das kann ein gutes | |
| soziales Netzwerk sein, eine optimistische Einstellung, dass man | |
| selbstbewusst ist, gut für sich sorgt oder schnell neue Lösungen findet. | |
| Wir erforschen außerdem übergeordnete kognitive und neuronale | |
| Resilienzmechanismen im Gehirn. Zum Beispiel die [1][Amygdala], eine | |
| Struktur im Gehirn, die für Emotionen verantwortlich ist oder einen | |
| positiven Bewertungsstil, der bewirkt, dass jemand Dinge in einem positiven | |
| Licht sehen kann. | |
| Wie erklären Sie, dass manche Menschen mehr von diesen Ressourcen haben als | |
| andere? | |
| Helmreich: Studien haben gezeigt, dass es wichtig ist für Kinder, Krisen zu | |
| durchleben und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Menschen, die ein mittleres | |
| Ausmaß an kritischen Lebensereignissen in ihrem Leben bewältigt haben, sind | |
| resilienter als die, die weniger Krisen oder zu viele Krisen hinter sich | |
| haben. Sogenannte [2][Helikoptereltern] tun ihren Kindern also keinen so | |
| großen Gefallen. | |
| Hahad: Auch der sozioökonomische Status hat etwas damit zu tun, ob Menschen | |
| resilienter sind oder nicht. Menschen, die weniger Zugang zu Bildung, | |
| Kultur und sozialen Netzwerken haben, sind beim Aufbau von körperlicher und | |
| mentaler Gesundheit eingeschränkt. Das sehen wir gerade in der Pandemie. | |
| Helmreich: Es gibt keinen Menschen, der nicht resilient ist. Jeder Mensch | |
| hat Fähigkeiten und Ressourcen, die ihm im Umgang mit schwierigen | |
| Situationen helfen, der eine mehr, der andere weniger. Hier spielt auch die | |
| Genetik eine Rolle. Dennoch kann jeder Mensch seine Resilienz stärken. Laut | |
| Studien sogar bis ins hohe Alter und egal wie resilient, jeder Mensch kann | |
| davon profitieren. | |
| Wie mache ich das? | |
| Helmreich: Es hilft leider nichts, wenn Sie nur ein Buch lesen. Sie müssen | |
| üben. In Resilienztrainings schaut man sich zum Beispiel Grundannahmen an, | |
| die man schon als Kind gelernt hat. Wenn man als Kind beigebracht bekommen | |
| hat, alles allein zu schaffen, kann man sich vornehmen, Hilfe holen zu | |
| dürfen. Es gibt auch eine einfache Übung, die den Blick für die schönen, | |
| kleinen Dinge trainiert, den resiliente Menschen häufig haben. Man steckt | |
| sich Kichererbsen oder kleine Steine in die Tasche, und jedes Mal, wenn man | |
| etwas Schönes sieht, wechselt man die Tasche. Am Abend geht man durch, was | |
| man am Tag Schönes erlebt hat. Es gibt allerdings nicht die eine Anleitung | |
| für alle. | |
| Das bedeutet aber, dass ich aktiv werden, Zeit und vielleicht auch Geld | |
| investieren muss. Sollte nicht die Welt besser werden, als dass ich als | |
| Individuum daran arbeite, mich für kommende Krisen zu wappnen? | |
| Hahad: Das wäre natürlich der anzustrebende Idealfall. Leider ist es aber | |
| häufig so, dass wir nur eingeschränkt etwas an der Ursache eines Problems | |
| ändern können, und da hilft Resilienz, das Stressempfinden subjektiv zu | |
| gestalten. | |
| Wir werden immer irgendwie mit Stress umgehen müssen, und deswegen ist es | |
| gut, wenn wir weiter an unserer Resilienz arbeiten? | |
| Hahad: Genau. Stress ist ein täglicher Begleiter des Lebens und das Konzept | |
| der Resilienz deshalb immer relevanter. Aber natürlich sollte man es nicht | |
| nutzen, um Menschen zu sagen, ihr müsst nur an eurer Resilienz arbeiten, | |
| dann wird alles gut. Es muss sich in erster Linie natürlich etwas an den | |
| objektiven Gegebenheiten ändern. Und erst im zweiten Schritt sollte die | |
| Arbeit an der individuellen Resilienz kommen. | |
| Ist die Welt stressiger geworden oder Menschen weniger resilient? | |
| Hahad: Man kann nicht sagen, dass die Resilienz immer gleich bleibt, denn | |
| sie reagiert auf Krisen. Es gibt Schwankungen im Stresserleben, in Angst | |
| und Depressivität. | |
| Helmreich: Wir beobachten, dass die Menschen sich im Alltag schneller aus | |
| der Bahn bringen lassen. Aktuell vermischt sich Privates und Arbeit. Wir | |
| sind jederzeit erreichbar, checken abends noch die Mails, schauen etwas im | |
| Internet nach. Das macht es vielen Menschen schwer, Ruhephasen einzubauen | |
| und sich abzugrenzen. Das verursacht viel Stress. | |
| Wäre irgendwann eine Pille für mehr Resilienz praktisch? | |
| Helmreich: Die Pille danach für traumatische Erlebnisse wäre sicher | |
| praktisch. Aber eine Pille generell für Resilienz würde sehr viel | |
| wegnehmen, weil Negatives auch zum Leben gehört und ihm Tiefe gibt. Wir | |
| brauchen das Auf und Ab für unsere persönliche Entwicklung. | |
| Wie können ganze Gesellschaften resilienter werden? | |
| Hahad: Beim Konzept der gesellschaftlichen Resilienz geht es darum, wie | |
| Gesellschaften agieren, wenn sie von Krisen wie der Pandemie betroffen | |
| sind. Momentan beobachten wir, dass manche Länder besser mit dem | |
| Infektionsgeschehen umgehen, Maßnahmen klarer umsetzen und mehr Akzeptanz | |
| in der Bevölkerung generieren als andere. Das liegt wie auf der | |
| individuellen Ebene an bestimmten Faktoren. Bei gesellschaftlicher | |
| Resilienz sind das zum Beispiel kollektiver Zusammenhalt und grundsätzliche | |
| Normen und Werte, die wiederum mit der sozioökonomischen Balance oder mit | |
| strukturellen Diskrepanzen zusammenhängen. Es kommt auch darauf an, ob | |
| Entscheidungsträger in Krisen angemessen und sachgerecht kommunizieren | |
| können, die Probleme weder überbewerten noch bagatellisieren, auch mal Mut | |
| machen. | |
| Das reicht schon? | |
| Hahad: Ein besonders wichtiger Faktor ist auch die kollektive Intelligenz, | |
| Infrastrukturen in der Gesellschaft, die es ermöglichen schnell und | |
| zielgerecht Kompetenzen jedes einzelnen Bürgers zu sammeln. Die Pandemie | |
| ist nicht nur ein medizinisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches | |
| Problem, deshalb ist es wichtig, dass Politiker gerade Gremien aus | |
| verschiedenen Fachdisziplinen zusammenstellen. Mit Medizinern, Psychologen, | |
| Pädagogen, Soziologen, Physikern und Menschen aus der Kultur. | |
| Kommt es auch auf die Regierungsform an? | |
| Hahad: Natürlich hat es etwas mit der Art der Regierung zu tun, den | |
| demokratischen Strukturen innerhalb einer Gesellschaft, wie offen und wie | |
| transparent der Austausch zwischen Entscheidungsträgern und Bevölkerung | |
| ist. Ich kann aber nicht sagen, dass eine demokratisch geordnete | |
| Gesellschaft per se unbedingt resilienter ist als autoritär geführte | |
| Gesellschaften. Ein solches Labeling von Staats- und Regierungsformen ist | |
| mittlerweile eher wenig aussagekräftig, auch in westeuropäischen | |
| Demokratien beobachten wir ein systemisches Auseinanderdriften der | |
| Gesellschaften und eine wachsende Ungleichheit zwischen | |
| Bevölkerungsschichten. Fest steht, dass Entscheidungen nur nachhaltig | |
| akzeptiert werden, wenn man die Bevölkerung mitnimmt und Akzeptanz schafft. | |
| Legt man Pflichten und Zwänge auf, gibt es viel Gegenwind. Diktatorische | |
| oder autoritäre Strukturen zerfallen oft langfristig gesehen, die | |
| Bevölkerung ist unzufrieden, es gibt innergesellschaftliche Konflikte und | |
| eine hohe Diskrepanz zwischen Eliten und der restlichen Bevölkerung. | |
| Helmreich: Es hängt auch vom Stressfaktor ab, der das Land trifft. | |
| Untersuchungen haben Hurrikanregionen in den USA und auf Kuba verglichen. | |
| Kuba wird wesentlich öfter von den Stürmen getroffen und hat somit mehr | |
| Erfahrungen im Umgang damit. Dort konnte man auf diesen Stress resilienter | |
| reagieren als die Regionen in den USA. | |
| Deutschland ist also eher nicht so resilient? | |
| Hahad: Resiliente Gesellschaften müssen nicht erst direkt mit den | |
| Stressfaktoren konfrontiert werden, um gut gewappnet zu sein. Sie können | |
| von Krisen anderer lernen oder vorausschauend sein. Natürlich gibt es | |
| Aspekte, die Deutschland in der Pandemiebekämpfung besser und schlechter | |
| bewältigt hat. Vor allem wenn man an das Impfstoffmanagement denkt, ist | |
| vieles schief gegangen. Aber grundsätzlich glaube ich, dass im Vergleich zu | |
| anderen Ländern teilweise auch adäquat und gut reagiert wurde. Aber es gibt | |
| Luft nach oben, ja. | |
| Was können wir aus der Pandemie für die Klimakrise mitnehmen? | |
| Hahad: Wir haben erlebt, dass Politiker handeln können, wenn sie wollen. | |
| Wenn ein Problem wirklich akut ist und es eine Gesellschaft unmittelbar | |
| betrifft, dann können sie etwas bewegen und die Gesellschaft komplett | |
| umwerfen. Die Klimakrise ist aber eine Krise, die ein viel höheres Ausmaß | |
| für die menschliche und planetare Gesundheit hat. Grundsätzlich können die | |
| Maßnahmen im Zuge der Pandemie auch hierfür von Relevanz sein. | |
| Eingeschränktes Verhalten, was Reisen, Transport und bestimmte | |
| wirtschaftliche Zweige angeht etwa. Das heißt, die Bevölkerung sollte jetzt | |
| die Akzeptanz und das Verständnis entwickeln, dass diese Maßnahmen auch in | |
| Zukunft in irgendeiner Art und Weise notwendig werden. Gleichzeitig müssen | |
| unsere Politiker die Notwendigkeit von ihnen anerkennen und maßgebliche | |
| Revolutionen in der Art, wie wir leben, wie wir wirtschaften und wie wir | |
| arbeiten, einführen. | |
| Helmreich: An der Pandemie zeigt sich schön, wie das Individuelle mit dem | |
| Kollektiven zusammengreift. Früher dachten wir, am Klima können wir nichts | |
| verändern, was sollen wir als einzelne, kleine Menschen schon ausrichten. | |
| Durch die Pandemie haben wir plötzlich gesehen, wie viel Einfluss wir aufs | |
| Klima haben, wenn wir gemeinsam unser Verhalten verändern. | |
| Hahad: Dieser Prozess kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. So, wie es | |
| keine Zeit mehr vor dem Internet geben wird, wird es auch keine Zeit mehr | |
| vor der Pandemie geben. Es ist die Aufgabe der Politik, diesen Wandel so | |
| gut und einfach wie möglich für die Gesellschaft zu gestalten. Mit | |
| Innovationen, mit Perspektivwechseln, mit Ausblicken, mit Infrastrukturen, | |
| die diesen Übergang ermöglichen. Umweltbewusstsein darf kein Elitenprojekt | |
| für gut situierte Menschen sein, die sich das leisten können. Die, die es | |
| sich nicht leisten können, dürfen nicht noch mehr verzichten. | |
| Wir müssen den Stress, der uns bevorsteht, also irgendwie fair aufteilen? | |
| Hahad: Am Ende des Tages hat jede Krise etwas mit Verteilung von Ressourcen | |
| zu tun. Die Pandemie hat offenbart, dass wir in Deutschland nicht so weit | |
| sind, wie wir glaubten. Es gibt viele Interessengruppen, die sich offenbar | |
| gegen eine gewisse Gleichheit in der Bevölkerung stellen. | |
| Wie stehe ich als Individuum diese Zeit durch, die uns noch bevorsteht? | |
| Helmreich: Achten Sie gut auf sich, bewahren Sie sich eine gute | |
| Tagesstruktur mit ausreichend Schlaf, Bewegung, Entspannung und sozialen | |
| Kontakten. Und haben sie viel Optimismus. Denn Leute, die optimistisch in | |
| die Zukunft blicken, kommen besser durch die Pandemie, handeln aktiver und | |
| fühlen sich dadurch nicht so ausgeliefert. Und das wird ihnen auch in der | |
| Klimakrise helfen. | |
| 11 Jul 2021 | |
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| [1] https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/amygdala/565 | |
| [2] /Kolumne-Nach-Geburt/!5492696 | |
| ## AUTOREN | |
| Stella Schalamon | |
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