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# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Die Dinge im neuen Kreislauf
> Isabell Heimerdingers Keramiken channeln Salvo. Jonathan Monk redefiniert
> den Tisch und Inga Danyszs Wasserleitungen durchleuchten die Architektur.
Bild: Installationsansicht: Isabell Heimderdinger, „Skies of Intense, Unconta…
Man hätte sich Isabell Heimerdinger und Jonathan Monk auch gut in einer
gemeinsamen Ausstellung vorstellen können. Wie beide der Produktion, dem
Zeigen und letztlich der Tradierung von bestehenden Kunstwerken nachgehen,
das wirft gerade in der Gegenüberstellung ein Licht auf die medialen und
intellektuellen Kreisläufe zeitgenössischer Kunst.
Doch Heimerdinger und Monk – übrigens Partner im richtigen Leben –
entschieden sich mit Galerist Mehdi Chouakri für zwei Einzelausstellungen
[1][an jeweils einem seiner zwei Galeriestandorte] in Charlottenburg. Den
Vergleich kann man nun per Fahrrad vornehmen.
Heimerdinger, die eigentlich aus dem Film kommt und für „Skies of Intense,
Uncontaminated Beauty“ ganz handwerklich arbeitet, stellt mit einer Reihe
von Keramiken die Frage nach der Übersetzung von einem künstlerischen
Medium in ein anderes. Ausgangspunkt sind Stillleben von Salvo, ganz schön
aus der Zeit gefallene Malereien mit einer Farbpalette der Siebzigerjahre
und Motiven des Barock: Früchte, Blumensträuße. Die besonders intensiven
Farbtöne von Gelb bis Lila des 2015 verstorbenen Malers, Konzeptkünstlers
und Vertreters der italienischen Arte Povera tauchen nun auf Heimerdingers
Vasen, Tellern und Schüsseln wieder auf.
Diese Objekte platzierte sie auf gestapelten objets trouvés aus Marmor und
Schaumstoffplatten. Jede der über den Galerienboden verteilten
Installationen ist eine Dekomposition von Salvos Malereien und gleichsam
ihre vom Zufall der verschiedenen Materialien bestimmte Neukomposition aus
Naturstein, Handwerksobjekt und argem Industrieprodukt.
## Tischplatten voll Kunstgeschichte
Hartschaumstoff gibt es auch bei Jonathan Monk, obwohl unter der poppigen
Farbschicht seiner zehn „Henry Moore Section Tables“ kaum zu erkennen. Der
Schaumstoff ist das 3D-Produkt einer zunächst digitalen Kopie, die Monk von
einer tatsächlichen Henry Moore-Bronzeplastik machte. Die Geschichte um
Moores originale „Two Piece Reclining Figure No. 1“ ist, wie häufig bei
Monk, persönlich. Bei seiner Bewerbung um die Aufnahme am Londoner Chelsea
College of Art and Design soll der damals 19-jährige Monk die Arbeiten
seiner Bewerbungsmappe durch einen Zufall auf dem originalen Moore im
Innenhof der Kunsthochschule ausgebreitet haben. Bekanntlich studierte er
dann an der Glasgow School of Art.
Bei Mehdi Chouakri arbeitet sich Jonathan Monk noch einmal an der „Two
Piece Reclining Figure No. 1“ ab, misst sie ab, kopiert sie in Schaumstoff,
zerschneidet sie in Scheiben, färbt sie und wandelt die Fragmente zu
Tischplatten um. Die poppigen Farbtöne extrahiert Monk aus einzelnen Pixeln
der Digitalaufnahmen von der Bronzeoberfläche der originalen Plastik in
London. Produktion und Reproduktion vom Werk des in Europa wohl
berühmtesten Minimal Artist vermengt Monk hier zu einem Gebrauchsobjekt.
Dabei öffnet er das sonst verborgene, schon fast mythisch aufgeladene
Innere der Bronzeplastik und bricht es zur gewöhnlichen Tischoberfläche
herunter. Diese Tische müssen also unbedingt auch als solche genutzt
werden, liebe Sammler:innen.
## Im Dünndarm der Architektur
Ein Gebrauchsobjekt taucht auch im [2][Projektraum Goeben] auf. Und zwar
eines, das sonst hinter Badezimmerkacheln, Gebäudemauern und Kellern
verschwindet. Für ihre Installation „Remedies for Vertigo“ zog Inga Danysz
diejenigen Wasserleitungen heran, deren DIN-genormte Einzelteile wir auch
in der Variante aus grauem Hartplastik in jedem Baumarkt finden können.
Solche Leitungen sind, wenn man sich den Kreislauf von Wasser und Abwasser
in unseren Häusern und Städten vorstellt, eine Art Dünndarm der
Architektur.
Und Inga Danysz lässt dieses bauliche Verdauungsorgan einmal um die
Betonwand des Goeben winden. Allerdings sind ihre Abwasserrohre aus Glas,
aus fragilem, transparentem Glas. Und wenn das nicht schon vulnerabel ist,
so ist das Glasrohr sogar noch an einer Stelle mit Steinen gefüllt. Das zu
funktionieren habende Objekt trotzt seiner Funktion, der Organismus
blockiert, so wie auch wir als empfindsame Wesen einfach mal nicht
funktionieren wollen (oder können).
29 Jun 2021
## LINKS
[1] https://mehdi-chouakri.com/
[2] https://goeben.berlin/
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
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