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# taz.de -- Wildtierverbot im Zirkus: Klöckner scheitert im Bundesrat
> Agrarministerin Klöckner wollte die Haltung von Wildtieren wie Elefanten
> im Zirkus verbieten. Doch sie hat die Rechnung ohne den Bundesrat
> gemacht.
Bild: Artistische Elefanten im Zirkus Krone in München
Berlin taz | Es war eine Rekordsitzung: 135 Tagesordnungspunkte hatte der
Bundesrat am Freitag in seiner 1006. Sitzung abzuhandeln – so viele wie nie
zuvor in seiner 72-jährigen Geschichte. Irgendwo in der Mitte kam auch
Punkt 85 zur Abstimmung: die Verordnung zum Schutz von Tieren bei der
Haltung und dem Zurschaustellen an wechselnden Orten, kurz:
[1][Tierschutz-Zirkusverordnung], noch kürzer: TierSchZirkV. Zentraler und
umstrittenster Bestandteil dieser Verordnung ist das Verbot der Haltung
bestimmter Wildtierarten im Zirkus.
Lange schien es wie eine Formsache, dass die Länderkammer die Verordnung
aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium durchwinken würde. Schließlich
entsprach das Papier von Ressortchefin Julia Klöckner (CDU) ziemlich genau
dem, was der Bundesrat [2][in der Vergangenheit selbst oft gefordert]
hatte. Es sah neben einigen höheren Anforderungen an die
Haltungsbedingungen ein Verbot einiger Wildtierarten vor: Elefanten,
Giraffen, Nashörner, Flusspferde, Primaten und Großbären hätten demnach
nicht mehr neu angeschafft werden dürfen.
Doch daraus wird nun vorerst nichts. Als TOP 85 am Freitagmittag
schließlich aufgerufen wird, stimmen die Ländervertreter plötzlich
überraschend gegen die Verordnung. Sie findet nicht die erforderliche
absolute Mehrheit von 35 Stimmen und kann nun nicht in Kraft treten.
Anderthalb Minuten dauert das Ganze. Nächster Tagesordnungspunkt.
Hintergrund ist, dass das Klöckner’sche Papier einigen der grünen
Länderkollegen nicht weit genug ging. Sie wollten insbesondere noch weitere
Tiere wie Großkatzen, Robben und Reptilien mit aufnehmen. Über den
federführenden Agrarausschuss hatten sie im letzten Moment noch
entsprechende Änderungsvorschläge eingebracht, die nun auch zur Abstimmung
standen.
## Unambitioniert und ungenügend
Der vorgelegte Entwurf sei unambitioniert und ungenügend, so die Kritik. Da
dem Votum des Ausschusses wiederum die Bundesratsmehrheit nicht folgen
wollte, kam es zum Patt – mit der Folge, dass die Verordnung für diese
Legislaturperiode ganz vom Tisch ist.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte zur Begründung der Verordnung –
ganz auf der Linie zahlreicher Tierrechtsorganisationen wie [3][Peta], Vier
Pfoten oder der Deutsche Tierschutzbund – mit konkreten Missständen
argumentiert, die es in der Zirkustierhaltung gibt, oder auch mit dem
Europavergleich: Viele EU-Staaten hätten bereits Wildtierverbote
beschlossen, also dürfe Deutschland nicht Schlusslicht sein. Häufig wird
auch die These ins Feld geführt, der Umgang mit Menschen bedeute per se
permanenten Stress für Wildtiere.
Weitgehend unstrittig ist, dass es viele Missstände in der Haltung von
Zirkustieren – wie auch in vielen anderen Haltungsformen – gibt. Auch die
Ansicht, dass sich nicht jede Tierart für eine Haltung im Zirkus oder für
regelmäßige Transporte eignet, hat viele Anhänger. So geht es etwa bei der
Frage nach der Haltung von Elefanten in Zirkusbetrieben in der Realität nur
noch darum, wie mit den wenigen verbliebenen Tieren verfahren wird, da
Neuanschaffungen oder eine Nachzucht für Zirkusse in der Praxis ohnehin
nicht mehr möglich sind.
Viele Tierschutzorganisationen fordern, die Politik müsse die Zirkusse
zwingen, die Tiere umgehend in Auffangstationen abzugeben. Ob es für die
einzelnen Elefanten jedoch tatsächlich ein besseres Leben darstellt, wenn
sie aus ihrer seit Jahrzehnten gewohnten Umgebung gerissen und von den
vertrauten Menschen getrennt würden, daran hegen aber nicht nur deren
naturgemäß recht befangene Halter große Zweifel.
## Missstände wirklich systemimmanent?
Heikel ist bei der Bewertung von Haltungsbedingungen aber vor allem die
pauschale Einteilung in Wild- und domestizierte Tiere sowie in reisende und
nichtreisende Betriebe, also die Frage, ob Tierquälerei im Zirkus
tatsächlich „systemimmanent“ ist, wie die Verbotsbefürworter argumentiere…
Diese Einteilung wird jedoch den einzelnen Tierarten und Individuen wenig
gerecht wie auch den sehr großen Haltungsunterschieden in den verschiedenen
Unternehmen. So stützen sich Klöckner und die meisten
Tierschutzorganisationen bei ihrer Argumentation auffällig oft auf
wissenschaftliche Arbeiten, die sich gar nicht mit der eigentlichen Materie
befassen, sondern beispielsweise ganz andere Haltungsformen zum
Untersuchungsgegenstand haben.
Gerade bei der Raubkatzenhaltung verweisen Experten wie der
US-Verhaltensforscher Ted Friend oder sein deutscher Kollege Immanuel
Birmelin darauf, dass es tatsächlich sehr vorbildliche Haltungen von Löwen
und Tigern in Zirkussen gebe, die mit der Haltung in zoologischen Gärten in
Sachen Tierwohl zumindest konkurrenzfähig seien. Als Positivbeispiel wird
dann oft der britische Raubtierlehrer Martin Lacey Jr. genannt, der mit
seiner Frau den Münchner Circus Krone leitet.
Einen interessanten Vorschlag machte unlängst die ehemalige Berliner
Tierschutzbeauftragte Diana Plange, eine vehemente Gegnerin von
Wildtierzirkussen: Sie könne sich Ausnahmegenehmigungen für Tierlehrer
vorstellen, die eine besonders vorbildliche Haltung nachweisen könnten,
sagte sie dem „SZ-Magazin“ eine Art Zirkustier-TÜV. Martin Lacey Jr. wäre
in ihren Augen ein solcher Tierlehrer.
26 Jun 2021
## LINKS
[1] /Wildtiere-im-Zirkus/!5764063
[2] /Verbot-von-Wildtieren-im-Zirkus/!5730176
[3] https://www.peta.de/themen/zirkus-hintergrundwissen/
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Zirkus
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Bundesrat
Wildtiere
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Tierschützer
Tierschutz
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