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# taz.de -- Zirkus auf Brachfläche: Manege frei für alle
> Der Zirkus Mond ist ein alternatives Artist:innenkollektiv in
> Prenzlauer Berg. Bei den Shows gibt es Akrobatisches, Ulkiges und
> Surreales.
Bild: Marlen Voigt, Max Mohr, Juan Magima Martinez und Zirkusastronaut Mau Agui…
Berlin taz | „Is Circus Art? Is Art Circus? Let’s Find Out!“ – Kreativ …
die Show des Zirkus Mond unter dem Motto „Was ist Kunst?“ auf jeden Fall.
Im bunten Zelt auf der [1][verwunschenen Brachfläche nahe des S-Bahnhofs
Greifswalder Straße] gibt es jedes Wochenende eine furiose Mischung aus
Akrobatischem, Ulkigem und Surrealem zu bestaunen.
Den Auftakt zur vergangenen Vorstellung macht ein Akrobatikduo, dessen
Figuren von Slapstick Sounds aus dem Off begleitet werden. Danach führt
eine wunderschöne Prinzessin einen einhörnigen Zentaur in die Manege. Er
wiehert und bäumt sich auf, sein Horn, ein rosafarbener Gummidildo, wippt
dabei auf und ab. Ein tollpatschiger Clown fängt Gabeln mit einem Apfel im
Mund und ein Paar Roboterbeine, die einem Mad Max Film entsprungen sein
könnten, tanzen stotternd übers metallene Parkett. Die Menge lacht und
staunt, die Stimmung ist ausgelassen.
Das Kollektiv „Kinder des Mondes“ ist vor über 11 Jahren als loser
Zusammenschluss aus Artist:innen, Kreativen und Freiheitsliebenden
entstanden, die in unregelmäßigen Abständen die Bühnen und leeren
Fabriketagen im Dunstkreis der Berliner Partyszene bespielten. Als sich vor
drei Jahren die Möglichkeit bot, gemeinsam mit dem gerade aus Kreuzberg
verdrängten Club und Kulturort Johnny Knüppel auf das Gelände des
neugegründeten Vereins Disco Babel umzuziehen, schlug man zu. Ein Zelt
wurde gekauft und der Zirkus Mond war geboren.
Zirkusdirektor Max Mohr erinnert sich, was für eine Arbeit es war, die
Brache entsprechend herzurichten, 50 Tonnen Sand aufzuschütten, den aus
einer Commerzbank recycelten Aluminiumboden zu verlegen. Als der
Mitbegründer des Kollektivs sich nach dem Studium an einer Zirkusschule
verletzte, wandte er sich mehr dem Organisatorischen zu. Heute fungiert er
als Moderator, handelt Verträge aus, kümmert sich um den TÜV, der das
Zirkuszelt abnimmt. Er ist so etwas wie die Mutter des Hauses.
## Klassisches Varieté und Moderner Zirkus
Auch Mohrs langjähriger Partner, Creative Director Juan Migama Martinez,
hat die Anfänge noch genau vor Augen: „Max rief mich damals an und sagte
‚Wir kaufen ein Zelt!‘“ Zu dieser Zeit befand sich der Spanier gerade in
Kanada, war jedoch sofort Feuer und Flamme.
Heute wird im Zirkus Mond, zusätzlich zu zwei Gastshows, [2][zwei Mal im
Monat ein komplett neues Programm auf die Beine gestellt] – das eine
klassisches Varieté, moderiert vom Direktor, das andere moderner Zirkus mit
Theatereinlagen und Skript von Martinez. Thematisch verarbeitet der
professionelle Clown, der in Barcelona Soziologie studierte, politische und
soziale Themen, interpretiert sie humoristisch.
In den Vorstellungen geht es zum Beispiel um „Digital Detox“, „Interview
with the Atoms“ oder auch „Conspiracies“ – eine Satire auf
Verschwörungserzählungen. Diese erlangte während der vergangenen Lockdowns,
wohl auch wegen der tragikomischen Aktualität, erneute Beliebtheit als
Stream. Das Onlineformat traf genau den Nerv der Zeit. 1.000
Zuschauer:innen zählte die erste Livesendung – und das auf einem beinahe
unbekannten Youtube-Channel.
Trotzdem war die Coronapandemie, wie bei allen Kulturbetrieben, auch bei
den Zirkusleuten ein Balanceakt auf dem dünnen Drahtseil der öffentlichen
Unterstützung und privaten Zuwendungen. Jedoch ermutigten besonders
Letztere zum Weitermachen.
## Einer von Berlins verbliebenen Freiräumen
Im Zirkus Mond dürfen sowohl eingefleischte Profis als auch blutige
Anfänger:innen zeigen, was sie können. Während der Zauberer Timon Timon
seine ersten Liveauftritte hier bestreitet, blickt die Schlangenfrau
Anaelle Molinario schon auf Engagements beim Cirque Plume, einem der
größten Zirkusse Frankreichs zurück. Ziel des bunten Teams ist,
größtmögliche Qualität bei maximaler Inklusion zu erreichen. Der Zirkus
lebt von Spontanität, Improvisation und einer guten Portion Selbstironie.
Da macht es wenig, wenn beim Jonglieren mal ein Kegel daneben geht.
Marlen Voigt, die sich um den Empfang und alles was sonst so anfällt
kümmert, ist eigentlich frisch gebackene Ärztin. Was sie am Zirkus Mond
besonders schätzt ist die Freiheit, die der offene Raum allen
Teilnehmer:innen und Besucher:innen bietet. „Hier dürfen die
Menschen sein, wer sie wollen und tun, was sie wollen“, sagt sie. Voigt
wünscht sich, dass dieser Ort mehr Berlinerinnen und Berlinern zugänglich
wird. Denn ob Kunst, Kabaret oder wahrscheinlich beides, in jedem Fall ist
der Zirkus Mond [3][einer von Berlins wenigen verbliebenen Freiräumen für
alternative Kultur.]
Nach einer Schwertschluckerin und Klamauk am Trapez endet die Vorstellung
mit spektakulärer Seilakrobatik. Anschließend sitzen Schausteller:innen
und Publikum gemütlich beim Bier zusammen, man tauscht sich aus, es wird
sogar ein wenig getanzt, die Grenze zwischen Manege und Rängen verschwimmt.
Hier hat jeder das Gefühl mitzugestalten.
Für die Zukunft planen Voigt, Mohr und Martinez, das Programm weiter zu
professionalisieren. Gerade wurde eine Förderung für eine neue Tribüne
bewilligt. Außerdem sagen die drei, wäre es schön, die Artist:innen noch
etwas besser entlohnen zu können. Doch vor allem wünschen sie sich eines:
so weitermachen zu können, wie bisher.
31 Jul 2021
## LINKS
[1] /Gueterbahnhof-Greifswalder-Strasse/!5785778
[2] http://www.zirkusmond.de
[3] /Ueberlebenskampf-der-Clubs-in-Berlin/!5650104
## AUTOREN
Fabian Schroer
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