# taz.de -- Menschen mit pädosexueller Neigung: Wenn der Partner pädophil ist | |
> Über zwei Jahre sind sie ein Paar, als er ihr sagt, was in ihm vorgeht. | |
> Warum Anna* trotzdem bei ihm bleibt und inzwischen über Kinder nachdenkt. | |
Sie verliebt sich in diesen Mann, und zwar so, dass sie überlegt – ist es | |
das, wovon alle sprechen, wenn sie Liebe sagen? Ist das jetzt dieses „Für | |
immer“-Gefühl, das „Wow, wird das gerade richtig ernst?“ im Sinne von: A… | |
ich wird wir und irgendwann Familie? Ja, sagt sie und er auch. Und dann | |
kommt alles anders, aber eigentlich auch nicht. | |
Dieser Mann wird zu jemandem, den sie so nicht kennt, zu jemandem, von dem | |
sie sich früher als Kind hätte fernhalten sollen, zu einer Person, die | |
eigentlich furchtbar alt aussehen müsste und ungepflegt mit dicker | |
Hornbrille hinter Schulzäunen lauernd. Zu jemandem, der fühlt, was niemand | |
zu fühlen sich vorstellen mag, den wir als Gesellschaft nicht haben wollen, | |
weil es nicht gut, weil es gefährlich ist, was er fühlen kann. Dieser Mann, | |
ihr Freund, erzählt ihr, er ist pädophil. Und er bricht vor ihr zusammen. | |
So beginnt die Geschichte von Anna*, die sich entscheidet zu bleiben, bei | |
ihrem Freund, der Kinder sexuell anziehend findet und sich selbst dafür | |
hasst. Der Kontakt zu Anna wird von einer Mitarbeiterin des | |
Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ der Berliner Charité vermittelt. | |
Diese Mitarbeiterin ist auch bei den Gesprächen mit Anna immer dabei. Ein | |
persönliches Treffen lehnt Anna ab, zu groß ist die Sorge, erkannt zu | |
werden. Sie fordert absolute Anonymität. Es ist ein erster Eindruck von dem | |
Stigma, mit dem sie sich zu leben entschieden hat. Aber reden will sie, am | |
Telefon. Patrick ist damit einverstanden, dass Anna die gemeinsame | |
Geschichte erzählt. Er redet hier nicht. | |
Wie kann Anna mit einem pädophilen Mann zusammen sein, ihn kennen und | |
lieben lernen? Wie kann sie sich sogar Kinder mit ihm vorstellen? Wie ist | |
es, mit niemandem sonst darüber reden zu können? Und ist ihr Freund nicht | |
gefährlich? Wie kann sie sich so sicher sein, dass ihr Freund nicht | |
heimlich zum Täter wird? | |
Als Anna Patrick* vor sechs Jahren auf der Arbeit kennenlernt, führen sie | |
zweieinhalb Jahre lang eine unbeschwerte Beziehung. Sie wollen schließlich | |
den nächsten Schritt gehen: Zusammenziehen. Zuvor passiert aber das, was | |
Anna einen „echt heftigen Moment“ nennt. Ihr Freund kann in der Nacht nicht | |
schlafen, bittet Anna am Morgen zu ihm zu kommen, er müsse dringend mit ihr | |
reden. Sie fährt sofort zu ihm. Er outet sich als pädophil. Anna ist der | |
erste Mensch, dem Patrick davon erzählt. | |
Anna empfindet zuallererst Mitleid für ihren Freund, es tut ihr weh, ihn so | |
zu sehen. Er sitzt vor ihr, leidet, ist verzweifelt. „Patrick ist extrem | |
verwundbar gewesen“, erinnert sie sich. „Weil ich ihn so sehr liebe, ist | |
die Sorge um ihn menschlich. Meine erste Reaktion war deshalb: Das kriegen | |
wir hin.“ In dem Moment gibt Anna ihm Halt – ihre Angst, ihre Zweifel und | |
Verzweiflung kommen erst später. Noch am gleichen Tag sucht sich Patrick | |
das erste Mal in seinem Leben Hilfe bei einem Therapeuten, der ihn an „Kein | |
Täter werden“ verweist. | |
Patrick vertraut sich Anna an. Das Outing vor einer vertrauten Person kann | |
eine wichtige Schutzmaßnahme gegen tatsächlichen Missbrauch sein, weil der | |
Betroffene dann nicht mehr allein damit ist. Laut „Kein Täter werden“ hat | |
ein Prozent aller Männer eine pädophile Neigung. Dass ihr Partner pädophil | |
ist, trifft Anna vollkommen unvorbereitet. | |
Sie fragt sich, warum passiert das uns? Warum er? Warum ich? Plötzlich | |
scheint er ein ganz anderer Mensch zu sein. „Ich hatte Angst, war | |
enttäuscht, wenig hoffnungsvoll. Ich wusste nicht, was Pädophilie wirklich | |
ist, was sie psychologisch bedeutet und was nicht.“ Sie will die Bilder | |
loswerden, die sie aus dem „Tatort“ kennt: „Das ist nicht mein Freund!“ | |
Anna beginnt, sich intensiv mit dem Thema Pädophilie zu beschäftigen, liest | |
alle Zeitungsartikel und Fachliteratur, die sie findet, sucht nach | |
Angeboten, die ihr und ihrem Freund helfen können. Es dauert ein paar Tage, | |
bis sie zu dem Schluss kommt: Ich bleibe bei ihm. | |
Einige Wochen später ziehen sie zusammen. Auf die Frage, warum sie bleibt, | |
antwortet Anna ganz selbstverständlich und ohne Zögern: „Ja, weil ich ihn | |
liebe.“ Reicht das, mehr nicht? | |
Patrick beginnt die Therapie an der Berliner Charité. Seitdem sprechen Anna | |
und Patrick sehr viel darüber, was die Pädophilie mit ihm macht. Sie habe | |
gesehen, dass er leidet, dass ihn das beschäftigt, aber eben auch, dass er | |
an sich arbeite. Und trotzdem wird es ihr manchmal zu viel. Sie müssen | |
Regeln treffen, damit das Thema Pädophilie im Beziehungsalltag nicht | |
überhandnimmt. | |
Für Anna ist das Jahr, in dem Patrick zur Therapie geht, eine | |
Belastungsprobe, ein Auf und Ab für die Beziehung. Wenn sie jeden Tag | |
darüber reden, versaut ihnen das nicht nur den Abend, sondern raubt ihnen | |
auch den Schlaf. Sie einigen sich darauf, nur an dem Tag, an dem auch die | |
Therapie einmal die Woche stattfindet, darüber zu sprechen. | |
Mittlerweile hat Patrick seine Therapie beendet. „Das Thema ist jetzt nicht | |
mehr vorherrschend in unserer Beziehung. Wir haben unsere Routinen | |
gefunden, wann wir darüber sprechen, unsere Grenzen, wie sehr wir ins | |
Detail gehen. Unsere Beziehung hat sich durch die Therapie verändert. Sie | |
ist dadurch stärker geworden, hat uns zusammengeschweißt.“ | |
In der Therapie hat Patrick gelernt, sich selbst zu akzeptieren, seine | |
sexuelle Neigung zu kontrollieren und damit umzugehen, den Leidensdruck, | |
der pädosexuelles Verhalten beziehungsweise Kindesmissbrauch auslösen | |
könnte, zu minimieren. Bisher gelingt ihm das ohne den Einsatz von | |
Medikamenten. Medikamente können die Libido senken und die | |
Verhaltenskontrolle erleichtern. Sie sind aber auch mit erheblichen | |
Nebenwirkungen verbunden, etwa Unfruchtbarkeit oder | |
Fettstoffwechselstörungen. Sie machen müde, träge und können den Charakter | |
verändern. | |
Angst vor solchen Nebenwirkungen für ihren Partner hat Anna nicht. Sollte | |
der Leidensdruck bei Patrick steigen, seien Medikamente eine Option, die | |
sie durchaus in Betracht ziehen. „Ich mache mir keine Sorgen, dass einem | |
Kind wegen ihm etwas passieren wird“, sagt Anna. „Wenn es je zu einer | |
kritischen Situation für ihn kommt, vertraue ich darauf, dass er mir das | |
sagt. Dass er, wenn ich gerade nicht für ihn da sein kann, seine | |
Verhaltensregeln beachtet, sich der Situation entzieht.“ | |
Selbst wenn Anna und ihr Freund mit ihrer Familie und deren Kindern einen | |
Tag am See verbringen, denkt sie gar nicht daran, dass etwas passieren | |
könnte. Erst im Nachhinein fragt sie ihn manchmal, wie er sich fühlt, wenn | |
die Kinder um ihn herumspringen. | |
Anders als Pädophilie ist pädosexuelles Verhalten eine Straftat. Auch sich | |
Missbrauchsabbildungen im Netz zu beschaffen und anzuschauen, fällt | |
darunter und wird in jedem Fall strafrechtlich verfolgt. Ein missbrauchtes | |
Kind ist schwer traumatisiert und wird ein Leben lang unter dieser | |
Erfahrung leiden. Reicht eine abgeschlossene Therapie wirklich aus, um | |
Kinder sicher zu schützen? | |
In der Beziehung zu Patrick geht es nicht nur darum, was nicht sein darf. | |
Es geht auch darum, was sein kann. Kann er mich attraktiv finden? Wie ist | |
der Sex mit mir für ihn? Auch Anna hat Zweifel, meistens eher | |
Selbstzweifel: „Wenn ich mit mir nicht zufrieden bin, können die Gedanken, | |
dass ich selbst nicht in dem Körperschema bin, das mein Partner sexuell | |
präferiert, die eigene Psyche ziemlich runterziehen. Ich habe gelernt, dass | |
er mit mir zusammen ist, weil er mich toll findet, weil er mich liebt, wie | |
ich bin.“ | |
Weil Patrick nicht ausschließlich Kinder sexuell anziehend findet, ist | |
Annas erwachsener Frauenkörper Teil der gemeinsam erlebten Sexualität. | |
Anna beschreibt die Beziehung, die sie führt, als „eine Beziehung wie | |
andere auch“. Sie sagt: „Wenn sich unsere Beziehung von anderen Beziehungen | |
unterscheidet, dann darin, dass wir unsere sexuellen Neigungen und | |
Interessen, unsere Vorlieben und Dinge, die wir gemeinsam ausprobieren | |
möchten, offen aussprechen – weil wir uns damit auseinandersetzen müssen.“ | |
In den Angeboten der Berliner Charité lernen Betroffene und ihre | |
Partner:innen, ihre Beziehung zu fokussieren und zu vertiefen. Eine | |
gegenseitige Akzeptanz der sexuellen Neigungen soll die Paaridentität | |
stärken. Emotionale Stabilität soll einen verantwortungsvollen Umgang | |
mit der pädophilen Neigung begünstigen. Kein Täter werden. | |
Auch Anna hat sich für eines der Angebote entschieden. Ihr fehlte der | |
Austausch über das Thema, über das sie mit niemandem sonst sprechen kann. | |
Regelmäßig geht sie deshalb zur Angehörigengruppe, wo sie sich mit anderen | |
Partner:innen von Männern mit pädophiler Neigung austauscht. Begleitet | |
wird die Gruppe von einer Therapeutin. | |
Immer wieder tauchen dieselben Fragen auf: Was mache ich in einer | |
Situation, in der Kinder um uns herum sind? Muss ich auf meinen Partner | |
aufpassen? Muss ich dafür sorgen, dass er sich der Situation entzieht? Muss | |
ich ihn ständig fragen, ob es ihm gutgeht? | |
Am Anfang fühlt auch Anna sich verantwortlich, achtet in Situationen mit | |
Kindern besonders darauf, wie Patrick sich verhält. Durch die | |
Angehörigengruppe und Patricks Therapie sagt Anna mittlerweile, dass die | |
Verantwortung für das Risiko allein bei Patrick liegt. Dass sie keine | |
Mitschuld trifft. „Ich kann und muss meinen Partner nicht unter Kontrolle | |
haben. Das ist ihm nicht zuträglich, das ist mir nicht zuträglich und vor | |
allem nicht unserer Beziehung.“ | |
Laut des kanadischen Sexualwissenschaftlers und Psychologen Michael C. Seto | |
geben die meisten pädophilen Männer an, Missbrauchsabbildungen sexuell | |
erregend zu finden und solches Material auch schon konsumiert zu haben. | |
Etwa die Hälfte aller Männer, die tätliche Übergriffe an Kindern begehen, | |
sind pädophil. Die andere Hälfte der wegen Kindesmissbrauch verurteilten | |
Täter begeht ihre Tat aus anderen Motiven. | |
Die Frage, ob Anna davon weiß, ob Patrick je eine Sexualstraftat begangen | |
hat, bleibt auch nach mehrmaligen Nachfragen offen. Sie wisse, sagt Anna, | |
„so gut, wie es jemand wissen kann: Mein Freund wird kein Täter. Und das | |
ist das Ziel.“ | |
Sie ist sich so sicher, dass sie sich jetzt mit Anfang dreißig gemeinsame | |
Kinder mit Patrick wünscht. Auch weil Patrick ein familiärer Mensch ist, | |
der erste in ihrem Leben, mit dem sie ernsthafte Zukunftspläne hat, sonst | |
würden sie diese Beziehung nicht führen. „Ich hatte nie wirklich Zweifel | |
daran, dass wir Kinder in die Welt setzen können. Ich habe mich eher | |
gefragt, ob wir uns wirklich so sehr binden, unsere Flexibilität aufgeben | |
wollen, ob Kinder ein Bestandteil unserer Lebensplanung sind.“ Wegen des | |
besonderen Zusammenhalts in einer Familie und der bedingungslosen Liebe, | |
die sie nur für ein eigenes Kind empfinden kann, möchte Anna Kinder. | |
Die Gespräche in der Angehörigengruppe haben ihr schon früh dabei geholfen, | |
sich mit dem Kinderwunsch in der Konstellation auseinanderzusetzen. Dort | |
haben manche Paare bereits Kinder. Bei einigen sei das problematisch | |
gewesen. Anna weiß, dass eigene Kinder eine Herausforderung werden. Sie | |
beruhigt sich mit dem Gedanken, dass Kinder älter werden und dem | |
präferierten Körperschema eines Pädophilen entwachsen. | |
Das Problem ist somit nur temporär. „Mittlerweile gibt es gute Medikamente, | |
um das zu unterdrücken, um der Psyche in dem Moment Ruhe zu geben. Dass wir | |
außerdem jederzeit zum Präventionsnetzwerk gehen können, wenn eigene Kinder | |
für Patrick doch ein erhöhtes Risiko darstellen, ist für mich unfassbar | |
beruhigend.“ | |
Eigene Kinder seien zudem etwas anderes. Eltern, die sexuell an Erwachsenen | |
orientiert sind, würden sich auch nicht plötzlich von den eigenen Kindern | |
angezogen fühlen, sobald diese entsprechende Körpermerkmale ausgebildet | |
haben oder den 18. Geburtstag feiern. Und: Pädophilie ist nur ein sexueller | |
Stimulus, einer von vielen in der menschlichen Sexualität. Wie stark und | |
wie schnell Menschen auf solche Stimuli reagieren, ist unterschiedlich – | |
aber nicht automatisch stärker bei einer Pädophilie. Erwachsene, die sich | |
von Erwachsenen sexuell angezogen fühlen, werden selten übergriffig, nur | |
weil sie jemanden attraktiv finden. | |
So verhält es sich auch bei der Pädophilie. Ist die sexuelle | |
Ansprechbarkeit stärker, ist auch die pädophile Präferenz präsenter, die | |
Verhaltenskontrolle schwieriger. Erst wenn so ein psychischer Leidensdruck | |
entsteht, handelt es sich um eine pädophile Störung, die in Verbindung mit | |
anderen Risikofaktoren zu einem Missbrauch führen kann. Risikofaktoren | |
können eine instabile Liebesbeziehung, Beziehungskonflikte aufgrund | |
fehlender Intimität sein oder eine bereits vergangene Sexualstraftat. | |
Annas Freundeskreis ahnt nicht, dass Patrick pädophil ist. Würde sie | |
erzählen, dass sie einen Pädophilen liebt, würde das auch das Bild ändern, | |
das die Leute von ihr, von ihnen als Paar haben. Aus Selbstschutz hat sie | |
auch Patrick gebeten, außerhalb der Therapie kein Wort über seine Neigung | |
zu verlieren. Nur seine Mutter weiß davon. | |
Wenn Pädophilie in den Medien präsent ist, kommt das Thema auch in Annas | |
Freundeskreis auf. Der Begriff Pädophilie, sagt sie, werde häufig falsch | |
verwendet und falsch verstanden. Das tut ihr weh, weil sie mit einem | |
pädophilen Menschen zusammenlebt. „Ich kläre dann auf: Pädophilie ist eine | |
sexuelle Neigung. Keine Krankheit. Es ist auch nicht automatisch eine | |
Täterschaft.“ Wenn sie so etwas in den Runden unter Freunden sagt, | |
reagierten die Menschen mal irritiert, mal interessiert. | |
Manchmal, wenn sie sich in Rage rede, vergesse sie, dass ihr Freund mit | |
dabeisitze und wie das für ihn in dem Moment wohl sein müsse. „Für Patrick | |
wäre es eine unglaubliche Entlastung, wenn das Thema transparent in der | |
Gesellschaft diskutiert werden könnte. Wenn es keine Selbstschädigung wäre, | |
darüber offen zu reden. Aber das ist es halt einfach nicht.“ | |
Anna hat sich auch deshalb dazu überwunden, hier darüber zu sprechen, weil | |
damit Pädophilie aus einer anderen Perspektive geschildert werden könne. | |
„Das Label pädophil ist eben nicht das Einzige, das diese Menschen tragen. | |
Menschen sind komplex, haben viele Eigenschaften.“ | |
Patrick arbeitet hart daran, sich selbst zu akzeptieren, sich selbst zu | |
kontrollieren. Damit er ein normales Leben führen kann. Seine sexuelle | |
Neigung wird er niemals ablegen können, aber er kann versuchen, ihr weniger | |
Präsenz zu geben. Anna ist eine von mehreren Stützen im Leben ihres | |
Freundes, die hilft, dass er nicht zerbricht, die hilft, dass es nicht dazu | |
kommt, dass er zu einer Gefahr wird. | |
Auch das ist die Intention, aus der heraus Anna ihre Geschichte erzählt. | |
Die Geschichte der Freundin eines Pädophilen – ohne aufregende Details über | |
sie als Person, ohne intime Details über ihren Alltag, über ihr | |
Sexualleben. Weil sie will, dass wir aufhören, Menschen, die wir kennen | |
oder eben nicht, zu verurteilen, sobald wir nur hören: Mein Freund ist ein | |
Pädophiler. Sie wünscht sich, dass wir stattdessen zuhören, wenn sie sagt: | |
„Ein Pädophiler ist in erster Linie ein Mensch.“ | |
Oder ist es vielleicht gerade die Menschlichkeit, die zweifeln lässt? Weil | |
es zwar sexuelle Neigungen gibt, die anderen Menschen schaden können, die | |
nicht gelebt werden. Weil es aber auch zu Vergewaltigungs- und | |
Missbrauchsfällen kommt, bei denen die sexuelle Neigung eine Rolle spielt. | |
Die Sexualwissenschaft lehrt, dass eine sexuelle Neigung allein nicht | |
unbedingt zu einem Verhaltensdurchbruch führt, dass es dazu in der Regel | |
weiterer Risikofaktoren bedarf. Trotzdem scheint nicht unbedingt und in der | |
Regel nicht auszureichen. Die Gesellschaft fordert vollkommene Sicherheit, | |
ganz besonders, wenn es um den Schutz von Kindern geht. | |
Anna vertraut ihrem Freund bedingungslos, dass er kein Täter wird. Und dass | |
sie eine gemeinsame Zukunft haben. Obwohl sie weiß, dass es immer zu | |
Situationen kommen kann, in denen seine Neigung vielleicht zum | |
Leidensdruck, zur Störung führen kann. Sie weiß, dass sie nicht immer für | |
ihn da sein und ihn schon gar nicht kontrollieren kann. Sie sagt, die | |
Verantwortung trägt er allein. | |
Und doch bleiben Zweifel. Bei denjenigen, die sich noch immer nicht | |
vorstellen können, wie das ist, einen Mann zu lieben, von dem die | |
Gesellschaft eher Abstand nimmt, den sie vorverurteilt, weil das eben so | |
erlernt ist. Vielleicht ist es Vorsicht und Schutz, vielleicht ist es | |
Unwissen, wahrscheinlich beides ein bisschen. | |
*Namen redaktionell geändert | |
17 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Julia Reinl | |
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