| # taz.de -- Systemkrieg in den Revierförstereien: Forstwirtschaft auf dem Holz… | |
| > In ihrem Buch „Der Holzweg“ plädieren Waldexperten und Ökologen für ei… | |
| > naturnahen Umbau von Wäldern. Holznutzung kommt erst später in Betracht. | |
| Bild: Sterbende Bäume im Westerwald. Vor allem Fichten gehen zugrunde | |
| Der Wald darbt unter den drei Dürrejahren. [1][Fast 300.000 Hektar Fichten- | |
| und Kiefernfroste sind seit 2018 vertrocknet]. Und das ist auch gut so, | |
| denn wo die braunen Nadeln rieseln, bringen sie Licht in das Unterholz der | |
| Forstideologie. Erst Förster haben zu dem ökologischen Desaster im Wald | |
| geführt, wie die Autor:innen des Buchs „Der Holzweg“ wissenschaftlich | |
| begründet und verständlich darlegen. Forstideologie klingt nach | |
| Systemkrieg, und genau der tobt in den Revierförstereien und den | |
| forstwissenschaftlichen Fakultäten von Göttingen, Tharandt oder der | |
| Hochschule Eberswalde. Wie in jedem Systemkrieg geht es um wirtschaftliche | |
| Pfründen und Besitzstandswahrung, um politische Macht und im | |
| Forstwirtschaftskampf um 1 Milliarde Euro Subventionen aus der Staatskasse | |
| für das forstliche „Weiter so“. | |
| Für die forstwirtschaftliche Hartholzkopffraktion steht | |
| Waldbesitzerverbands-Präsident Hans-Georg von der Marwitz, der für die CDU | |
| im Bundestag sitzt. Er nutzt seine politische Macht, damit die seit 300 | |
| Jahren gepflegte Forstwirtschaft in Deutschland die Säge in der Hand | |
| behält. Und die Waldprämien von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner | |
| (CDU) für die Bewirtschaftung von Bäumen fließen. „Es liegt an uns, die | |
| Deutungshoheit nicht zu verlieren“, forderte von der Marwitz im März 2021 | |
| auf einer Onlineveranstaltung von Forstbetreibern und den systemtreuen | |
| Forstwissenschaftlern wie Christian Ammer aus Göttingen. | |
| Der Autor:innen des „Holzwegs“ sägen an der försterlichen | |
| Deutungshoheit. Sie wollen über die „Forstmärchen“ aufklären und das | |
| „forstliche Paradigma“ zerstören. Die im Buch versammelten Forstwirte, | |
| Ökologinnen, und Forstwissenschaftler:innen wollen mit | |
| wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Boden- und Baumökologie zu | |
| [2][einem neuen Waldbau beitragen, der den Wald als Ökosystem anerkennt.] | |
| Aus diesem Verständnis soll der Wald naturnah aufgebaut und dann das Holz | |
| genutzt werden. | |
| Waldbau bedeutet in dem Verständnis der „Holzweg“-Autor:innen, den | |
| natürlichen und konstanten Wandel im Wald zu ermöglichen und dem Wald damit | |
| die Gelegenheit geben, [3][mit Erderwärmung und den Auswirkungen des | |
| Klimawandels umzugehen]. Förster müssten „Störungen als Motor der | |
| Waldentwicklung“ akzeptieren, wie der österreichische Botaniker Wolfgang | |
| Scherzinger im „Holzweg“ schreibt. Also nach einem Sturm die gestürzten | |
| Bäume liegen lassen und dem Wald Zeit geben, sich zu entwickeln. | |
| Das „forstliche Paradigma“ hingegen verhindert Natur im Wald. „Forstleute | |
| bauen den Wald, gestalten und pflegen ihn. Sie tun etwas, weil es die Natur | |
| nicht so gut kann, so deren tiefes Selbstverständnis“, schreibt | |
| Forstingenieur Karl-Friedrich Weber, der seine Einschätzung auf 30 Jahre im | |
| Revierdienst des Landesforsts Niedersachsen stützt. | |
| ## Das Paradigma der konventionellen Forstwirtschaft | |
| Auf einem Blog streitet er seit Jahren für eine natürliche Waldwirtschaft | |
| und kann als praxiserfahrener Förster die Vorzüge der Waldökologie im | |
| „Holzweg“ auch wirtschaftlich begründen: „Die biologische Produktion ste… | |
| für den Boden (Natur), die technische Produktion für Arbeits- und | |
| Kapitalintensität. Das Paradigma der konventionellen Forstwirtschaft | |
| richtet sich überwiegend auf die Optimierung der technischen Produktion von | |
| Holz und das Einsparen von Kosten. Es nimmt dadurch den Konflikt mit der | |
| biologischen und sozialen Wertschöpfung in Kauf. Das geht zulasten des | |
| Naturkapitals Boden, Wasser, Luft und Lebensvielfalt.“ | |
| Weber gehört zu den zahlreichen Old Boys der Waldmoderne, die ihr Wissen | |
| aus Jahrzehnten der Forst- und Waldpraxis im „Holzweg“ ausbreiten. Mit | |
| dabei sind Hans Bibelriether, einst Leiter des Nationalparks Bayerischer | |
| Wald, und sein Kollege Lebrecht Jeschke, der am Nationalparkprogramm zu | |
| DDR-Zeiten arbeitete. Sie erzählen kenntnisreich aus ihrem eigenen Erleben | |
| von der höheren Artenzahl in natürlichen Wäldern oder der Stabilität | |
| natürlicher Wälder in Stürmen und Dürren. Dank ihrer jahrzehntelangen | |
| Erfahrung im Wald widerlegen sie die profitgeleiteten forstwirtschaftlichen | |
| Schleifen, die Förster auf jeder Waldbautagung erneut vorbringen. | |
| „Die Behauptung, wirtschaftlich genutzte Wälder seien vitaler und deutlich | |
| widerstandsfähiger gegen Schnee und Sturm, ist frei erfunden“, schreibt | |
| Bibelriether, der im Nationalpark Bayerischer Wald nicht unter dem Druck | |
| von Renditeerwartungen aus der Holzvermarktung oder Forstwirtschaft stand. | |
| Doch genau diese Erkenntnisse aus den in Ruhe wachsenden Wäldern auf | |
| ehemaligen Fichtenforsten sind im Jahr 2021 so wertvoll für das, was nun | |
| „Waldumbau“ heißt. | |
| Die Pioniere der ökologischen Forstwirtschaft Lutz Fähser im Stadtwald | |
| Lübeck und Martin Levin im Stadtwald Göttingen erzählen, wie sie die | |
| wissenschaftlichen Erkenntnisse der Waldökologie im Wirtschaftswald | |
| umgesetzt haben. Jahrzehntelang wurden sie von Förstern landauf, landab | |
| lächerlich gemacht, gemieden und die Naturwaldbewirtschaftung als nicht | |
| übertragbarer Sonderweg marginalisiert. | |
| Im „Holzweg“ berichten sie von 35 Jahren Erfahrungen mit der natürlichen | |
| Waldbewirtschaftung, die mit der Natur den forstwirtschaftlichen Holzvorrat | |
| aufbaut und nicht gegen die Natur. „Vorrat“ nennen alle Förster die im Wald | |
| stehenden Bäume – womit auch klar wird, dass ein Wald nur ein Lager für | |
| künftige Holznutzungen darstellt. In der natürlichen Waldbewirtschaftung | |
| wachsen und altern Bäume, anstatt dass der Förster den Wald alle zehn Jahre | |
| durchforstet und Löcher in das Kronendach schlägt. | |
| Auch das „Durchforsten“ gehört in die Abteilung Forstmärchen. Die im | |
| försterlichen Paradigma hängenden Förster behaupten unverdrossen, dass sie | |
| die Bäume stärken, wenn sie einzelne Bäume frei schneiden. Dieser Gedanke | |
| hat sich im 19. Jahrhundert bei deutschen Förstern festgesetzt und er ist | |
| falsch. Seit Mitte der 1990iger Jahre ist wissenschaftlich belegt, dass | |
| Bäume über Wurzeln mithilfe von Pilzen untereinander Nährstoffe | |
| austauschen. Wer sich dafür interessiert, kann sich den unterhaltsamen | |
| [4][TED-Talk der US-amerikanischen Forstwissenschaftlerin Suzanne Simard] | |
| anschauen. Simard hat bei Douglastannen nachgewiesen, dass Mutterbäume | |
| ihren Nachwuchs über Wurzeln versorgen. Viele deutsche Förster halten das | |
| noch heute für esoterisches Geschwurbel. | |
| Deutsche Forstwissenschaftler:innen haben auch mittlerweile | |
| festgestellt, dass die offenen Kronendächer den Wald in Deutschland | |
| austrocknen. Sonnenstrahlen fallen auf den Waldboden und dörren ihn aus, | |
| Wasser verdunstet aus dem offenen Blätterdach heraus. | |
| Die Herausgeber von „Der Holzweg“ rund um den Naturschützer Michael Succow | |
| wollen Veränderungen in der Politik anstoßen. Sie haben daher anerkannte | |
| Wissenschaftler:innen wie Pierre L. Ibisch, Professor an der | |
| Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, miteinbezogen. Er | |
| zeigt auf, wie das „Klimaschutznarrativ die Wälder bedroht“, wie also die | |
| Forstwirtschaft den Klimawandel nutzt, um das forstliche Paradigma in die | |
| Zeiten von Dürre und Hitze zu retten. | |
| Das wäre fatal – für den Wald und alle Bewohner im Ökosystem Wald. Da auch | |
| Menschen den Wald brauchen, kann man nur hoffen, dass sie mit dem Wissen | |
| vom „Holzweg“ eine kritische Öffentlichkeit für den „Paradigmenwechsel�… | |
| schaffen. | |
| 15 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Der-Wald-in-Sachsen-Anhalt/!5771949 | |
| [2] /Klimawandel-und-Waldsterben/!5622609 | |
| [3] /Baumsterben-in-Deutschland/!5746952 | |
| [4] https://www.ted.com/talks/suzanne_simard_how_trees_talk_to_each_other?langu… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Fokken | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Wald | |
| Bäume | |
| Forstwirtschaft | |
| Buch | |
| Podcast „Vorgelesen“ | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Waldschäden | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Forstwirtschaft | |
| Flächenverbrauch | |
| Petition der Woche | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Seen in der Klimakrise: Wirbel unter Wasser | |
| Der Klimawandel verändert Seen und Flüsse. Lange war das bei den | |
| Klimaverhandlungen kein Thema. Höchste Zeit, unter die Wasseroberfläche zu | |
| schauen. | |
| Toter Wald in Niedersachsen: Geld oder Leben | |
| Wegen des Klimawandels und der Schäden am Wald fordern Waldbesitzer | |
| Milliarden vom Bund. Bei der Aufforstung drohen alte Fehler wiederholt zu | |
| werden. | |
| Der Borkenkäfer und sein schlechter Ruf: Meister des Recyclings | |
| Forstwirte und Waldbesitzer sind sich einig: Der Borkenkäfer ist ein | |
| Schädling und muss weg. Doch ist es wirklich so einfach? | |
| Wild im Teutoburger Wald: Der Bielefelder Mufflon-Streit | |
| Seit Jahrzehnten will ein Waldbesitzer die Wildschafe auf seinem Grund | |
| abschießen. Die Stadt hat kaum noch Möglichkeiten, das zu verhindern. | |
| Aufforstung in Schleswig-Holstein: „Wir wollen, aber es klappt nicht“ | |
| Eine Initiative möchte im waldarmen Kreis Husum in Schleswig-Holstein | |
| Flächen für Aufforstung kaufen. Aber niemand im Norden will Land verkaufen. | |
| Petition der Woche: Luxusgut Holz | |
| Die Preise für Holz steigen, der Nachschub wird knapp, Bauen und Handwerken | |
| werden deshalb teurer. Tausende fordern nun einen Exportstopp. | |
| Unterwegs im Berliner Grunewald: Der Wald der Zukunft | |
| Damit es den Bäumen nicht zu heiß wird, kommt es auf Artenvielfalt und die | |
| richtige Mischung an. Die aber muss im Wald erst gefunden werden. | |
| Wasser und Klimaschutz: Fliegende Flüsse | |
| Begrünung kann eine Landschaft um bis zu 20 Grad runterkühlen, sagt eine | |
| Studie. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Wald zu. |