# taz.de -- Wild im Teutoburger Wald: Der Bielefelder Mufflon-Streit | |
> Seit Jahrzehnten will ein Waldbesitzer die Wildschafe auf seinem Grund | |
> abschießen. Die Stadt hat kaum noch Möglichkeiten, das zu verhindern. | |
Bild: Mufflons im Teutoburger Wald bei Bielefeld | |
BIELEFELD taz | Walther Baumann steht vor einem Hochsitz in einem Wald bei | |
Bielefeld. Von hier aus sollen ab August zwölf [1][Mufflons] erschossen | |
werden. Baumann will das verhindern, mit allen Mitteln. „Wir werden diese | |
Jagd stören“, sagt er. „Wir werden hier präsent sein, dann wird schon | |
keiner schießen. Das trauen die sich nicht.“ | |
Die Mufflons leben hier schon seit über fünfzig Jahren. Verbreitet waren | |
die Wildschafe vor allem auf Sardinien und Korsika. Man wollte die | |
Tiervielfalt im [2][Teutoburger Wald] vergrößern, also wurden sie 1962 im | |
Nordwesten Bielefelds angesiedelt. | |
Nun soll die Herde ab August abgeschossen werden. Das haben die | |
Waldbesitzer vor Gericht erstritten. Zu hoch sei der wirtschaftliche | |
Schaden, den die Mufflons an den Bäumen verursachen würden. | |
Im Wald am Bielefelder Stadtrand geht es nicht nur um zwölf Mufflons. Es | |
geht darum, was mehr wiegt: Das Leben eines Baumes oder das eines Tieres. | |
Und es geht um einen Konflikt, über den in der Forstwirtschaft viel | |
gestritten wird: Muss man einen Wald bewirtschaften oder soll man ihn | |
einfach in Ruhe lassen? | |
Immer, wenn Walther Baumann die Mufflons sieht, zählt er nach. Erst heute | |
Morgen, es ist der Montag dieser Woche, waren sie auf dem Feld vor seinem | |
Fenster. Oft tauchen sie hier morgens auf, Baumann filmt sie jedes Mal mit | |
seinem Smartphone. „Eins, zwei, … zwölf.“ Alle da. Niemand hat heimlich | |
über Nacht eins abgeschossen. Auch die vier kleinen Lämmer sieht er an | |
diesem Morgen. Die Jungtiere erkennt man immer besonders gut, weil sie so | |
herumhüpfen, sagt Baumann. | |
Für das Leben der Mufflons setzt sich nicht nur Walther Baumann ein. | |
Zusammen mit seinem Freund Rainer Kötter, einem Computeringenieur aus | |
Bielefeld, hat er eine Petition für den Erhalt der Mufflons gestartet. Über | |
130.000 Leute haben unterschrieben. | |
Der Bürgermeister der Stadt, Pit Clausen, stellte sich im Januar 2020 in | |
einem Hoodie mit aufgedrucktem Mufflon-Kopf vor die Wahlkampf-Kameras. Die | |
zwölf Tiere bewegen die Stadt seit fast zehn Jahren. Da klagten die | |
Waldbesitzer erstmals für den Abschuss der Tiere. In Deutschland gibt es | |
nur etwa 8.000 Tiere. Anders als Rehe rennen Mufflons nicht sofort weg, | |
wenn sie Menschen sehen. | |
Das Haus von Walther Baumann hat sein Großvater 1934 an den Waldrand | |
gebaut. Als die Mufflons hier angesiedelt wurden, war Baumann elf Jahre | |
alt. Früher, sagt er, war direkt hier oben im Wald eine Futterstelle. Sein | |
Vater wäre immer mit ihm dort hingegangen. Irgendwann hätten sich die Tiere | |
so an Walther Baumann gewöhnt, dass sie ihm das Futter aus der Hand | |
gefressen hätten. | |
## Schaden: 5.000 Euro pro Jahr | |
Rainer Kötter und Walther Baumann stehen vor dem Haus am Waldrand. Die | |
Rollen sind verteilt. Baumann ist der Kopf der Mufflon-SchützerInnen, er | |
kennt den Wald, er kennt die Tiere. Kötter bringt die Leute zusammen. Er | |
pachtete eine Hütte im Wald, wo sich die TierschützerInnen trafen, betreut | |
Facebook-Gruppen und die Petition auf change.org. | |
Der Wald gehört einer Stiftung der Familie Klasing. Die Klasings sind eine | |
alte Bielefelder Verlegerfamilie. Otto Klasing ist 77 und im Vorstand der | |
Familienstiftung. Er wohnt nicht in Bielefeld, sondern in Hamburg, aber als | |
er ans Telefon geht, weiß er schon, worum es geht. Viele rufen ihn wegen | |
der Mufflons an. Er bittet um etwas Zeit, er will Dokumente heraussuchen. | |
Die seien auf seinem Computer, der habe noch Windows 7, deshalb dauere das | |
ein wenig. | |
„Ich fühle mich dem Erbe meiner Vorfahren verpflichtet“, sagt Otto Klasing. | |
Sein Ur-Urgroßvater habe den Wald gekauft. | |
Einmal im Jahr träfe sich der Familienclan zur einer Waldbegehung in | |
Bielefeld. Sie alle seien diesem Wald emotional stark verbunden, sagt | |
Klasing. „Wir wollen die Naturvielfalt dieses Waldes schützen.“ Das sei ihm | |
wichtiger als das Leben von zwölf Tieren. | |
Die Mufflons, sagt er, würden unzumutbare Schäden am Wald verursachen. Es | |
gibt mehrere Gutachten, die bestätigen, dass die Mufflons „schälen“. Hei�… | |
Die Tiere ziehen mit ihren Schneidezähnen die Baumrinde in Streifen ab. | |
Junge Bäume können davon absterben. | |
Ein Gutachter hat die finanziellen Schäden durch die Mufflons auf 5.000 | |
Euro pro Jahr geschätzt. 2019 bot ein Jäger den Klasings an, diese Schäden | |
für fünf Jahre zu bezahlen, sodass die Mufflons nicht abgeschossen werden. | |
Die Stiftung lehnte ab. Die Familie wollte einen vielfältigen Wald, hieß es | |
damals. | |
Die Familienstiftung der Klasings ist nicht gemeinnützig. So steht es auf | |
der Webseite des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen. Vor allem sei | |
das Geld für alleinstehende, unverheiratete Töchter gedacht, sagt Otto | |
Klasing. Und auch, dass er an seine eigene Altersvorsorge denken müsse. Die | |
Klasings sehen ihren Wald als Wirtschaftsfaktor. | |
Dem Wald sieht man an, dass jemand mit ihm Geld verdienen will. Manche | |
Stellen sehen aus wie Plantagen für Weihnachtsbäume. Dicht an dicht | |
gepflanzte Fichten, unten sterben Äste schon ab, weil ihnen der Nebenbaum | |
keinen Platz lässt. | |
Walther Baumann läuft durch den Wald. Es ist kühl. Baumann ist froh darum. | |
Erst im Januar hatte er einen Herzinfarkt. „Der Arzt hat gesagt, ich soll | |
mehr im Wald herumlaufen.“ Rainer Kötter geht voraus. Ein Ast hängt im Weg. | |
Kötter hebt ihn hoch, sodass Baumann sich nicht bücken muss. | |
Eigentlich ist Baumann von Beruf Bauingenieur. Aber seit der Kindheit sei | |
der Wald seine Leidenschaft, sagt er. Der alte Förster des Waldes hätte ihm | |
viel beigebracht. „Wild gehört in den Wald“, das sei dessen Credo gewesen. | |
Rehe und auch die Mufflons – all diese Tiere müsse man im Wald leben | |
lassen. Sie fressen Unkraut und Gestrüpp vom Boden weg, sodass neue Bäume | |
in Ruhe wachsen können. Der Förster lebt nicht mehr, sagt Baumann. Und der | |
Neue sehe das ganz anders. | |
Baumann zeigt auf die wilden Brombeeren am Boden und auf die Brennnesseln, | |
die so hoch am Rand des Trampelpfads stehen, dass man auf seine Arme | |
aufpassen muss. „So was frisst Wild eigentlich weg, aber hier gibt es ja | |
kaum Wild mehr.“ Je mehr Gestrüpp am Boden wächst, desto schwerer hätten es | |
kleine Bäume. | |
## Das Urteil ist letztinstanzlich | |
Seit Jahren existiere ein scharfer Abschussplan für die Rehe im | |
Klasingschen Wald. Heißt: Jedes Tier, das dem Jäger vors Visier kommt, wird | |
getötet. „Die sagen, sie wollen hier einen vielfältigen Wald und deshalb | |
keine Mufflons. Den vielfältigen Wald machen sie sich mit ihrem | |
Abschusswahn selbst kaputt“, sagt Baumann. | |
Während Baumann von den Klasings redet, spielt Kötter mit seinen großen | |
Händen an einer Hummel herum, die in einer Blüte am Wegrand sitzt. Er nimmt | |
sie in die Hand, die Hummel kugelt sich in den Handflächen des | |
Computeringenieurs. „Die ist ja richtig besoffen vom Nektar“, sagt er | |
lachend. „Man muss den Wald einfach nur in Ruhe lassen“, sagt Kötter. Er | |
zitiert Peter Wohlleben, Deutschlands bekanntesten Förster, dessen Buch | |
„Das geheime Leben der Bäume“ zum Weltbestseller wurde. Wohlleben setzt | |
sich dafür ein, dass Wälder wieder mehr sich selbst überlassen werden. | |
Keine künstliche Anpflanzung, keine scharfe Bejagung und keine Kahlschläge. | |
„Wald ohne Wild geht nicht“, sagt Herbert Linnemann. Er ist Leiter der | |
Abteilung Forsten und Chef des Tierparks in Bielefeld. Linnemann ist im | |
Streit um die Mufflons so etwas wie das ruhige Gewissen. Er verstehe beide | |
Seiten, sagt er. Aber er verstehe nicht, warum zwölf Tiere die Vielfalt | |
eines Waldes bedrohen sollen. | |
Dass die Mufflons Bäume beschädigen, sei unumstritten, sagt Linnemann. Das | |
hätten die seit ihrer Ansiedlung gemacht. An alten Eschen sieht man im Wald | |
noch die Wunden. „Die sind aber so verwachsen, dass man daran sieht, dass | |
die Mufflon-Bisse keinen Abschuss rechtfertigen“, so der Stadtförster. Er | |
sagt aber auch, dass man Wildbestand „kontrollieren“ müsse. | |
Kontrollieren heißt: Immer so viele Tiere abschießen, dass sich die | |
Population nicht vergrößert. „Sonst kann Wild tatsächlich gefährlich für | |
die Pflanzenvielfalt sein“, sagt Linnemann. „Kontrolliert“ werden die | |
Mufflons seit ihrer Ansiedlung. Jedes Jahr werden ein paar Tiere | |
abgeschossen, sodass die Herde auf ein Dutzend Tiere beschränkt bleibt. | |
Ab August dürften alle Mufflons geschossen werden. Das hat das | |
Bundesverwaltungsgericht bestätigt. „Aber wie viele Mufflons letztendlich | |
abgeschossen werden, bestimmt die Bielefelder Jagdbehörde“, sagt Linnemann. | |
Der Oberbürgermeister hat als oberster Dienstherr der Jagdbehörde das | |
letzte Wort. Und der Oberbürgermeister von Bielefeld trägt gerne | |
Mufflon-Hoodies. | |
25 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Niko Kappel | |
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