# taz.de -- Forstwissenschaftler über Wälder: „Da werden Mythen aufgebaut“ | |
> Wenn wir mehr standortgerechte Baumarten haben wollen, müssen wir den | |
> Wald aktiv umbauen. Das sagt der Freiburger Forstwissenschaftler Jürgen | |
> Bauhus. | |
Bild: Der Wald: Erholungsgebiet, Schutz der Artenvielfalt oder Lieferant für d… | |
taz: Herr Bauhus, die Wälder in Deutschland haben in den letzten beiden | |
Jahren durch Trockenheit, Stürme und Waldbrände stark gelitten. Viele geben | |
der Forstwirtschaft eine Mitschuld und fordern ein „Zurück zur Natur“ im | |
Wald. Muss die Forstwirtschaft nachhaltiger werden? | |
Jürgen Bauhus: Wenn wir uns die verschiedenen Wirtschaftssektoren in | |
Deutschland anschauen, sehe ich eigentlich keinen, der nachhaltiger | |
wirtschaftet als die Forstwirtschaft. Natürlich gibt es immer Dinge zu | |
verbessern, aber es ist wenig hilfreich, wenn einige prominente | |
Protagonisten, wie der [1][Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben,] | |
sehr vereinfachte Darstellungen und Pauschalkritik verbreiten, die sich bei | |
genauerer Betrachtung als Halbwahrheiten herausstellen. | |
Wie meinen Sie das? Stimmt es nicht, dass die Fichten- und | |
Kiefernmonokulturen am stärksten geschädigt wurden? | |
Wir haben traditionell einen relativ hohen Anteil an Nadelbaumarten, und | |
die sind in der jetzigen Situation besonders betroffen, aber wir sollten | |
nicht so tun, als sei das schon vor 50 bis 100 Jahren vorhersagbar gewesen, | |
als diese Wälder begründet wurden. Außerdem sind bei Weitem nicht nur | |
standortfremde Nadelbäume betroffen, sondern in vielen Regionen auch | |
heimische Tannen, Buchen, Eichen und viele andere Laubbäume. Das Ausmaß der | |
Trockenschäden an der Buche hat alle Fachleute überrascht. Wir müssen jetzt | |
nach vorne schauen, wie wir die Wälder am besten schützen und anpassen | |
können. | |
Aber haben Kritiker nicht auch Recht damit, wenn sie mehr natürliche | |
Entwicklung im Wald fordern? | |
„Zurück zur Natur“ klingt natürlich erst mal gut, aber was heißt das im | |
Einzelnen? Nehmen wir die Naturverjüngung, also die natürliche Verjüngung | |
durch Samenfall von den Mutterbäumen: Die wird von den Forstleuten schon | |
lange praktiziert, laut der aktuellsten Bundeswaldinventur von 2012 auf 84 | |
Prozent der Verjüngungsflächen. Jetzt werden einerseits Fichtenmonokulturen | |
angeprangert, andererseits soll der Wald sich über Selbstheilungsprozesse | |
erholen. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass sich auch Baumarten wie die | |
Fichte, die wir an vielen Stellen nicht mehr haben wollen, natürlich | |
verjüngen. Wenn wir mehr standortgerechte Arten haben wollen, müssen wir | |
den Wald aktiv umbauen und die gewünschten Arten pflanzen. | |
Und für die Artenvielfalt im Wald – welche Rolle spielt da die | |
Forstwirtschaft? | |
Herr Wohlleben sagte kürzlich, dass wir die Wälder gar nicht zur Förderung | |
der Biodiversität bewirtschaften könnten, weil wir nur einen Bruchteil | |
davon tatsächlich kennen. Dabei verschweigt er, dass der Großteil der | |
unbekannten Biodiversität Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen im Boden | |
sind – alles andere wie Pilze, Pflanzen, Insekten, Amphibien, Reptilien, | |
Vögel und Säugetiere, ist bekannt, jedenfalls hier in Mitteleuropa. Die | |
meisten bodenlebenden Mikroorganismen haben schon mehrere Eiszeiten | |
überlebt und werden sich vom Fällen eines Baumes nicht besonders | |
beeindrucken lassen. Gleichzeitig sind viele der gefährdeten Arten wie | |
Auerhuhn, Ziegenmelker und viele Schmetterlingsarten eben nicht an alte und | |
dunkle Wälder angepasst, wie Wohlleben sie fordert, sondern brauchen auch | |
lichte, offene Waldstrukturen. Wir sollten also nicht alles über einen Kamm | |
scheren, sondern für eine möglichst große strukturelle Vielfalt im Wald | |
sorgen. Dafür benötigen wir auch eine schonende Nutzung des Waldes. | |
Trotzdem werden da Mythen aufgebaut, die die Forstwirtschaft bewusst in | |
einem schlechten Licht erscheinen lässt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist | |
das Quacksalberei. | |
Beim Heizen, auf dem Bau und auch in anderen Bereichen dient Holz zunehmend | |
als Ersatz für fossile Ressourcen. Ernten wir nicht jetzt schon zu viel | |
Holz? | |
In unseren Wäldern wachsen jedes Jahr rund 120 Millionen Festmeter Holz | |
nach; geerntet werden davon derzeit nur 75 Prozent, also deutlich weniger | |
als nachwächst. Deswegen sind die Holzvorräte in unseren Wäldern auch seit | |
Anfang der 90er-Jahre ständig angestiegen, das kann jeder in der | |
Bundeswaldinventur nachlesen. Wenn alle Wirtschaftsbereiche so nachhaltig | |
wirtschaften würden wie die Forstwirtschaft, hätten wir deutlich weniger | |
Probleme mit dem Schutz unserer Lebensgrundlagen. | |
Wie können unsere Wälder widerstandsfähiger gegen den Klimawandel werden? | |
Am dringendsten ist, dass wir alles tun, um die CO2-Emissionen schnell zu | |
senken und damit den Anstieg von Temperatur und die Häufung von | |
Wetterextremen zu bremsen. Und dann müssen wir Baumarten fördern, die eine | |
höhere Wahrscheinlichkeit haben, d[2][ass sie das Klima der Zukunft | |
aushalten.] Wir müssen wissen, wo in naher Zukunft die größten Probleme | |
auftreten könnten und uns entsprechend vorbereiten. Dazu gehört eine | |
Streuung der Risiken. In Zukunft sollte deshalb kein Wald mehr mit weniger | |
als drei Baumarten begründet werden, und das sollten Baumarten sein, die | |
sich hinsichtlich ihrer Funktionsweise und in ihrer Reaktion auf mögliche | |
Störungen stark unterscheiden. So wäre es wenig sinnvoll, Mischungen aus | |
drei Nadelbaumarten zu haben, weil sie alle mehr oder weniger anfällig für | |
Borkenkäfer wären. Interessante Mischungen wären zum Beispiel Buche – Tanne | |
– Bergahorn, oder Eiche – Kiefer – Buche. | |
Aber da sind Sie ja gar nicht so weit von Herrn Wohlleben entfernt, wenn | |
Sie für mehr Mischwälder und Laubbäume plädieren, oder? | |
Nein, die Intention, vielfältigere Wälder zu haben oder Artenvielfalt und | |
Waldböden zu schützen, ist ja richtig. Es besteht aber die Gefahr, durch | |
das Anbieten von scheinbar simplen Lösungen kombiniert mit einem | |
Sündenbock, nämlich der Forstwirtschaft, die tatsächlichen Probleme zu | |
verharmlosen. Herr Wohlleben entschuldigt im Prinzip seine Leserschaft für | |
klimaschädliches Verhalten. Es wird der Eindruck erweckt, dass der Wald | |
kaum Probleme mit dem Klimawandel hätte, wenn nur die Forstwirtschaft nicht | |
viel zu lange auf Nadelbäume gesetzt hätte, was Unfug ist. Gleichzeitig | |
werden andere gravierende Probleme unter den Tisch fallen gelassen, zum | |
Beispiel die rasante globale Verbreitung von Schädlingen und Krankheiten, | |
die durch den globalen Warenverkehr und damit auch durch unser | |
Konsumverhalten befördert wird. | |
Was für Schädlinge meinen Sie? | |
Wir haben das Eschentriebsterben und das Ulmensterben durch eingeschleppte | |
Pilzkrankheiten, und selbst Baumarten, die noch vor einigen Jahren als | |
Hoffnungsträger im Klimawandel angesehen wurden, wie z. B. die Esskastanie, | |
sind von neuen Schädlingen wie der Kastaniengallwespe betroffen. | |
Mittlerweile vergeht kaum ein Jahr ohne neue Waldschädlinge; so trat | |
bereits wiederholt der Asiatische Laubholzbockkäfer auf, dessen Larven | |
wahrscheinlich in Holzpaletten aus China mitgereist sind. In so einem Fall | |
müssen wir betroffene Bäume schnell finden, fällen und das Holz vernichten. | |
Dazu brauchen wir mehr Leute auf der Fläche, die Risiken erkennen und so | |
eine weitere Ausbreitung verhindern können. [3][Den Wald einfach in Ruhe zu | |
lassen] und auf seine Selbstheilungskräfte zu vertrauen, funktioniert | |
nicht. Dem liegt ein Bild von Stabilität und Widerstandsfähigkeit des | |
Ökosystems Wald zu Grunde, das nicht mehr gegeben ist. Wir können nicht | |
einfach so tun, als sei alles in Ordnung, während sich äußere | |
Einflussfaktoren wie Klima oder Schädlinge rasch ändern. | |
Was können wir für mehr Naturschutz im Wald tun? | |
Es ist sinnvoll, einen gewissen Anteil unserer Wälder der natürlichen | |
Entwicklung zu überlassen. In der Biodiversitätsstrategie der | |
Bundesregierung sind dafür fünf Prozent der Waldfläche vorgesehen. Da hat | |
sich in den letzten Jahren einiges getan und wir sind auf einem guten Weg. | |
Die meisten bedrohten Arten bei uns sind aber gar nicht auf große | |
unberührte Wälder angewiesen, sondern auf bestimmte Strukturen und | |
Lebensräume. Wenn wir diese Arten erhalten wollen, ist es also gar nicht so | |
wichtig, ob wir fünf oder zehn Prozent geschützte Waldfläche haben, | |
sondern es kommt darauf an, die Vielfalt an Lebensräumen auf der ganzen | |
Fläche anzubieten. Daher haben die Bundesländer und viele andere | |
Waldbesitzer in den letzten Jahren Programme aufgelegt, um Habitatbäume | |
und Totholz in den Wäldern anzureichern und das klappt auch sehr gut. Jetzt | |
müssen wir erst einmal prüfen, wie effektiv diese Maßnahmen sind. | |
Etwa die Hälfte der Wälder in Deutschland ist aber in Privatbesitz, wie | |
steht es da um den Naturschutz? | |
Für viele Privatwaldbesitzer ist Naturschutz ein wichtiges Ziel und sie | |
beteiligen sich schon jetzt freiwillig an solchen Programmen, aber das | |
könnte noch deutlich mehr sein. Dafür brauchen wir ein gutes | |
Honorierungssystem. Im Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik haben wir | |
gerade ein Gutachten für effizienteren Waldnaturschutz fertiggestellt. | |
Darin sprechen wir uns für einen Vertragsnaturschutz aus, bei dem | |
Waldbesitzer für bestimmte gesellschaftliche Leistungen, wie zum Beispiel | |
den Erhalt der Biodiversität, entsprechend honoriert werden. Im Moment | |
sagen wir einfach „Eigentum verpflichtet“ und erwarten, dass die | |
Waldbesitzer alle Aufwendungen für die Leistungen der Wälder aus dem | |
Holzerlös stemmen. Ich glaube, es ist in der Gesellschaft noch nicht | |
angekommen, dass dieses System so nicht mehr funktioniert. | |
8 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gunther Willinger | |
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