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# taz.de -- Toter Wald in Niedersachsen: Geld oder Leben
> Wegen des Klimawandels und der Schäden am Wald fordern Waldbesitzer
> Milliarden vom Bund. Bei der Aufforstung drohen alte Fehler wiederholt zu
> werden.
Bild: Nicht schön, aber ökologisch wertvoll: Wald aus toten Stämmen, hier au…
Hamburg taz | Die Katastrophe ist da und alle wollen Geld. Riesige Wälder
sind in den vergangenen Jahren der Trockenheit, dem Borkenkäfer und den
Winterstürmen zum Opfer gefallen. „Wir reden von einem materiellen Schaden
in Höhe von 12,5 Milliarden Euro, verteilt über drei Krisenjahre“, sagte
der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, Georg Schirmbeck, vor
der Sonder-Agrarministerkonferenz zum Thema Wald am Montag in Osnabrück.
Beim jetzt anstehenden klimagerechten Umbau des Waldes müsse der Bund die
Waldbesitzer unterstützen, forderte er gegenüber der Neuen Osnabrücker
Zeitung. Ins gleiche Horn stieß Niedersachsens Agrarministerin Barbara
Otte-Kinast (CDU). Der Waldbesitzerverband Niedersachsen möchte, dass seine
Mitglieder für Leistungen des Waldes für das Ökosystem künftig entlohnt und
weniger durch den Naturschutz belästigt werden. Unter anderem sollen mehr
Windräder im Wald errichtet werden dürfen.
Bei den niedersächsischen Umweltverbänden BUND, Nabu und der
Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) stoßen solche Pläne auf
Unverständnis. „Ein Schutz der Wälder ist angesichts des Klimawandels umso
dringlicher“, sagte der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann. In der
Hälfte aller [1][Wälder Windräder zuzulassen], werde die Wälder weiter
destabilisieren und sei deshalb unverantwortlich. „Jetzt auch noch in die
Natur reinzurücken, nur weil die Menschen die Windräder nicht vor ihrer
Haustür haben wollen – das kann es nicht sein“, sagt Tonja Mannstedt,
Pressesprecherin des BUND Niedersachsen.
Dazu kommt die Sorge, dass der Waldumbau, wie ihn sich organisierte
Waldbesitzer und das Land vorstellen, zwar teuer ist, aber den Problemen
nicht sinnvoll begegnet. „Was am Boden liegt, sind Fichtenplantagen“, sagt
Karl-Friedrich Weber, Präsident der Stiftung Naturlandschaft. Solche auf
schnellen Profit angelegten Schläge seien per se nicht stabil, ihre
Zerstörung durch die drei trockenen Sommer lediglich beschleunigt worden.
## Ein Wald ohne Kahlschläge
Der pensionierte Forstingenieur Weber stand 46 Jahre in den Diensten des
Landes Niedersachsen und engagiert sich im Rahmen verschiedener
Organisationen für naturnahe Waldbewirtschaftung. Er befürchtet, dass bei
der jetzt geplanten klimagerechten Aufforstung die gleichen Fehler gemacht
werden wie früher: Dass kein echter Mischwald angelegt wird, kein Wald mit
mehreren Generationen an Bäumen, kein Wald mit tatsächlich passenden Arten.
Auf den ersten Blick sehen die Voraussetzungen in Niedersachsen gut aus.
1991 hat die damalige rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident
Gerhard Schröder und Umweltministerin Monika Griefahn (beide SPD) das
Programm „Langfristige Ökologische Waldentwicklung in den Niedersächsischen
Landesforsten (Löwe)“ aufgelegt, zu dessen 13 Grundsätzen ökologischer
Waldschutz und die Bevorzugung natürlicher Waldverjüngung gehört.
„Die Idee von Löwe war die Umwandlung der Wälder zu einem Dauerwald“, sagt
Weber. Das wäre ein Wald, in dem es keine Kahlschläge gäbe, die dann wieder
mit einem Jahrgang aufgeforstet werden, sondern einer, der immer weiter
wachsen darf, und dem gezielt und schonend einzelne wertvolle Bäume
entnommen werden. Diesem Anspruch würden die niedersächsischen Wälder aber
nicht gerecht.
Das Ziel des Löwe-Programms sei die „Entwicklung vielfältiger, stabiler und
strukturreicher Mischbestände – die auch in Bezug auf den Waldschutz
allgemein von Vorteil sind“, teilen die Landesforsten mit. Weil aber auch
die Versorgung mit Rohholz sichergestellt werden müsse, würden an passenden
Standorten weiterhin Fichten angebaut. Um die Fichtenschläge vor massenhaft
auftretenden Borkenkäfern zu schützen, sei wiederum die „saubere
Waldwirtschaft“ vorrangige und unverzichtbare Methode. Das heißt, der Wald
wird vom toten Holz befreit, das der Käfer besonders gerne frisst.
## Im Schatten der toten Bäume
Doch die verrottenden Zweige, Äste und Stämme sind aus ökologischer Sicht
wichtig, wie Weber schildert. Sie kühlen den Boden, nehmen Feuchtigkeit
auf, halten Nährstoffe vor und schützen nachwachsende Pflanzen vor Verbiss.
Das schafft die Voraussetzung dafür, dass der Wald von selbst nachwachsen
kann – aus Sicht von Weber die beste Methode, gerade auch [2][dem
Klimawandel die Stirn zu bieten].
Wenn der Wald sich selbst verjünge, setzten sich am ehesten die Baumarten
durch, die zugleich zum Standort passten und mit dem Klimawandel
zurechtkämen. Man müsse zuerst beobachten, was im Schatten der toten Bäume
hochkäme, und könne diesen Prozess dann durch Pflanzen entsprechender Arten
verstärken. „Es ist ein Irrglaube, dass wir über die ökologischen
Eigenschaften einzelner Baumarten Bescheid wissen“, sagt Weber.
So könne es zu fatalen Fehlern bei der gezielten Anpassung an den
Klimawandel kommen, für die etwa die aus Amerika stammende Douglasie im
Gespräch ist. Die Douglasie komme zwar selbst [3][gut mit Trockenheit
zurecht], sagt Weber. Doch sie lasse auch kaum Niederschläge auf den
Waldboden durch, sodass sie andere Bäume aus Mischwäldern verdränge. Sein
Fazit: „Die Kunst des Unterlassens, die ja auch Geld spart, findet nicht
statt.“
17 May 2022
## LINKS
[1] /Erneuerbare-Energie-und-ihre-Tuecken/!5843260
[2] /Baumpflanzaktion-fuer-besseres-Klima/!5846172
[3] /Trockenheit-in-Berlin-und-Brandenburg/!5840320
## AUTOREN
Gernot Knödler
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