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# taz.de -- Unternehmer mit Öko-Passion: Bäcker unter Strom
> Dieser Mann backt nicht nur Brötchen: Roland Schüren zieht Europas
> größten Ladepark für Elektroautos hoch. In den Bundestag will er auch
> noch.
Man hat die Bäckerei noch nicht ganz betreten, schon grüßt [1][Elon Musk].
Der Tesla-Chef steht als Pappfigur im Verkaufsraum, direkt neben dem
„Bio-Westfalenbrot“ und dem „Bio-Roggenbäck“. Der Mann, dem die Bäcke…
gehört, lächelt verlegen. „Fanboy-Gehabe“, sagt er und winkt ab. Dass im
Treppenhaus ein weiteres riesiges Musk-Bild hängt? Für den „Fanboy“ ganz
normal.
Der Mann, der den Tesla-Chef derart vergöttert, heißt Roland Schüren. Auch
er ist Unternehmer, wenn auch im kleineren Maßstab: Schüren betreibt eine
[2][Biobäckereikette] mit 19 Filialen und 250 Beschäftigten im Rheinland –
kein Vergleich zu Elon Musk, einem der reichsten Männer der Welt, der mit
dem Verkauf von Elektroautos einen Weltkonzern schuf. Trotzdem sieht der
Hildener Bäckermeister eine Parallele: „Er führt seinen Riesenladen wie ein
deutscher Mittelständler. Direkt, innovativ, immer mit klaren Ansagen.“
Schon 2013 schrieb Schüren seinem großen Vorbild deshalb einen Brief,
Betreff: Supercharger at Autobahn-Junction A3/A46 in cooperation with my
sustainable bakery. Die Idee: eine Tesla-Schnellladestation am
Autobahnkreuz Hilden östlich von Düsseldorf, versorgt mit Biobackwaren aus
dem eigenen Betrieb.
## Sein Credo: Niemals aufgeben
Wenn Schüren heute daran zurückdenkt, muss er schmunzeln. Zum einen, weil
in dem dreiseitigen Brief ziemlich viele Gedanken durcheinander gingen. Zum
anderen, weil er mit Ausnahme des ersten Absatzes komplett auf Deutsch
verfasst wurde. „Ich war ganz schön naiv“, sagt Schüren, und tatsächlich
hat Musk bis heute nicht geantwortet. Trotzdem ist die Anekdote wichtig, um
Schürens aktuelle Projekte zu verstehen. Und seinen Willen niemals
aufzugeben.
Der 52-Jährige ist überzeugt davon, dass Nachhaltigkeit nicht nur für den
Klimaschutz wichtig ist, sondern sich für Unternehmen auch wirtschaftlich
auszahlt.
Seine Lieferfahrzeuge fahren deshalb inzwischen fast alle elektrisch. Der
Strom stammt zum größten Teil von Solarmodulen auf dem Dach der Backstube.
Was dann an Energie noch übrig bleibt, verkauft Schüren an seine Kunden,
die ihre E-Autos direkt vor dem Hildener Firmensitz aufladen können. „Das
ist für uns viel wirtschaftlicher, als den Strom ins Netz einzuspeisen“,
sagt Schüren. Damit lasse sich schließlich kaum Geld verdienen.
Auch die Backstube hat er auf ökologisch getrimmt. Zwei großangelegte
Holzpellets und Biomasse kommen zum Einsatz, um die Öfen zu beheizen. Die
Lagerräume werden durch Wasser gekühlt, das aus tieferen Erdschichten
stammt. Das Ergebnis: Das Gebäude produziert mehr Energie, als es
verbraucht. Das freut den Umweltschützer Schüren. Den Unternehmer Schüren
macht es wiederum glücklich, dass er Kosten einspart und mit dem
überschüssigen Strom sogar noch Gewinn macht.
Doch dieses Energiekonzept war für ihn nur ein Vorgeplänkel, ein Aufwärmen
für das, was gerade am Autobahnkreuz Hilden entsteht. Dort baut Schüren
Europas größten Ladepark für Elektroautos: 116 Ladepunkte nebst Imbiss und
Bürogebäude, inklusive Photovoltaikanlagen. Das Projekt, das der
Bäckermeister vor acht Jahren in seinem Brief an Elon Musk skizzierte, ist
am Ende doch noch wahr geworden – wenn auch im weit größeren Maßstab. Neben
Tesla sind Dutzende weitere Firmen im Boot, das Investitionsvolumen beträgt
18 bis 19 Millionen Euro.
Dass einem Mittelständler ein solches Projekt nicht zu groß erscheint,
liegt ganz offenbar an seiner Persönlichkeit. In Schüren rattert es
unabhängig. Als er 1991 nach einer Bäckerlehre und einem Studium der
Betriebswirtschaftslehre in der Bäckerei seiner Eltern anfing, musste als
Erstes die alte Schreibmaschine dran glauben. „Ich habe einen Computer
gekauft und eine spezielle Warenwirtschaft programmiert“, erinnert sich
Schüren. Die Verkäuferinnen sollten mit dem neuen Tool einfacher planen
können, welche Waren sie für den nächsten Tag bestellen mussten. Auch sonst
blieb wenig beim Alten: „Ich habe Rezepte umgestellt, Fertigmischungen
weggelassen, Neues ausprobiert“, sagt Schüren. Und ergänzt: „Ich hatte ja
Zeit.“
Nachdem er Anfang der 2000er Jahre den Betrieb von seinen Eltern übernommen
hatte, stellte er schrittweise auf ein Biosortiment um – aus Überzeugung,
aber auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. „Ich habe mich gefragt, was für
ein Produkt ich zusätzlich anbieten kann, das sich gut verkauft“, sagt der
Unternehmer. „Ich wollte etwas mit Zukunft.“
Es folgten die Photovoltaikanlage auf dem Dach, die elektrischen
Lieferfahrzeuge, die Ladestationen – und schließlich die Rastanlage am
Autobahnkreuz Hilden. Sein innerer Antrieb? Der sei nun mal da. So sehen es
auch Geschäftspartner, die den Bäckermeister kennen. Alexandra Rath, die
Leiterin des regionalen Mittelstandsverbands, spricht von einer „positiven
Besessenheit“. Auch sie zieht einen Vergleich zu Elon Musk. „Das steckt
einfach in ihm. Wenn man in der Region über E-Mobilität spricht, denken
alle sofort an Roland Schüren.“
Vor der Bäckerei hängt Schürens Renault Zoe an der Ladesäule – ein kleines
Elektroauto, das der Unternehmer im Alltag nutzt. Die neueste
Tesla-Limousine steht noch nicht auf dem Hof, ist aber schon bestellt. Um
sein Geschäftsmodell besser erklären zu können, steuert Schüren den
nahegelegenen Ladepark an. Dort angekommen, blickt man auf ein 12.300
Quadratmeter großes Areal. Einige Teslas nehmen gerade Strom auf.
Das Grundstück hat Schüren der Stadt abgekauft; Geld verdient er dadurch,
dass er es an Tesla und den niederländischen Ladenetzbetreiber Fastned
verpachtet. Beide Unternehmen kaufen ihren Strom bei Schüren, den er
mittels Solaranlagen und einer – noch zu bauenden – Windkraftanlage vor Ort
selbst produziert. Darüber hinaus betreibt er 54 eigene Ladepunkte. „Die
sind deutlich langsamer als die Supercharger von Tesla“, räumt Schüren ein,
was aber nicht weiter schlimm sei. „Für Spaziergänger oder Büro-Angestellte
ist das kein Problem.“
## Biobrötchen und Strom für den Tesla
Was zu seinem zweiten Standbein führt: Auf dem Gelände des Ladeparks
entsteht ein fünfstöckiges Bürogebäude, das Schüren vermieten will. Noch
ist nur Matsch zu sehen; bis spätestens 2023 aber soll hier gearbeitet
werden. Fertig ist hingegen schon der Imbissshop. Die dort angebotenen
Biobrötchen werden mit Salat belegt, der in einer Zuchtstation direkt vor
Ort wächst. Ansonsten: Biokaffee, Fairtrade-Tee und Pizza. In einem Regal
stehen Staubsauger und Luftdruckgeräte für geparkte Autos bereit – wie in
einer Raststätte, nur dass Schüren seinen Ladepark so nicht nennen darf.
„Darauf hat [3][Tank&Rast] das Monopol“, klagt der Bäcker, weshalb entlang
der Autobahn auch keinerlei Hinweisschilder auf seine Stromtankstelle
stehen.
Schlaflose Nächte bereitet ihm dieses Problem offenbar nicht. „Die Navis
und Apps finden meine Ladestationen auch so.“ Überhaupt kämen E-Mobilisten
nicht nur zum Auftanken in den Ladepark. „Das ist eine in ganz besondere
Zielgruppe, eine richtige Community“, schwärmt der Unternehmer. Schon heute
träfen sich am Wochenende ganze Gruppen von E-Mobilisten, um an der
Stromtankstelle über ihre Fahrzeuge zu philosophieren, manchmal mit der
ganzen Familie.
Eines muss man Roland Schüren lassen: Für einen Ort, an dem man Strom
zapfen und eine schnelle Mahlzeit einnehmen kann, bewirbt er den Ladepark
wie ein Marketingprofi. Sogar einen eigenen Begriff hat er sich für den
Imbiss ausgedacht: „[4][Seed & Greet]“.
Bevor Schüren sein Projekt umsetzen konnte, musste er zahlungskräftige
Partner finden. Seine Hausbank und die auf Nachhaltigkeit spezialisierte
GLS Bank stemmen gut die Hälfte des 18-Millionen-Projekts; die andere
Hälfte haben Schüren und zwei befreundete Tesla-Fahrer als Eigenkapital
eingebracht. Sein Pitch bei den Banken? „Das Projekt selbst“, sagt Schüren
und lacht. „Mit dem Geld tun wir was Gutes für den Klimaschutz. Wir koppeln
Mobilität, Energieerzeugung und Lebensmittelherstellung – und genau so habe
ich das auch gesagt.“ Hinzu kam Schürens felsenfeste Überzeugung, dass der
Verbrennungsmotor bald ausgedient hat. „Was wir machen, ist die Zukunft“,
sagt er voller Inbrunst – ein Esprit, der offenbar auch bei den Geldgebern
gut ankam.
Andere sind da skeptischer. „Wenn Corona vorbei ist, wird die Nachfrage
nach Mobilität zweifellos wieder steigen“, sagt Stefan Bratzel, Direktor
des [5][Center of Automotive Management] in Bergisch Gladbach. Auch Bratzel
ist überzeugt, dass sich E-Autos langfristig durchsetzen. Nur: Geht es
schnell genug, um nicht in die roten Zahlen zu rutschen? Und kann man mit
Ladesäulen überhaupt so viel Geld verdienen, dass es sich rechnet? „Auch
Tankstellen machen den meisten Gewinn mit den Verkäufen im Shop“, sagt der
Automobilexperte. Ob es am Ende klappt? „Es ist ein Wagnis“, meint
Bratzel. „Aber das gehört in der Geschäftswelt eben dazu.“
Fragt man Schüren nach der bisherigen Bilanz des Ladeparks, gibt er sich
ebenfalls selbstbewusst. „Ich weiß seit der Eröffnung, dass es klappt! Die
E-Mobilität nimmt zu – und damit auch die Auslastung von Ladestationen.“
Als Beleg führt er die Tatsache an, dass Global Player wie Tesla bei seinem
Projekt mitmachen. Wobei es bei der Umsetzung durchaus Probleme gab. Eine
Erdgaspipeline, die unter den künftigen Parkplätzen verläuft, musste
komplett entfernt und durch neue Rohre ersetzt werden. „Das hat länger
gedauert und war drei- bis viermal so teuer wie erwartet“, so Schüren.
Trotzdem gibt er sich zuversichtlich, dass er in spätestens zwölf Jahren
seinen Kredit abgezahlt hat.
Bleibt die Frage, wie ein mittelständischer Unternehmer mit Großkonzernen
verhandeln muss, ohne dabei über den Tisch gezogen zu werden. Hört man
Roland Schüren zu, klingt es, als sei das gar nicht so schwer. „Als Bäcker
verhandeln wir in den Innenstädten oft mit Vermietern, die richtig harte
Hunde sind. Wenn das klappt, schaffen wir es auch mit allen anderen.“ Da
kommt er wieder durch, der „Can do“-Spirit, den man eher in einem
US-amerikanischen Start-up erwarten würde als in einem Industriegebiet an
der A46. Außer einem Anwalt, der die Verträge geprüft hat, und einem
Mitarbeiter, der für den Ladepark zuständig ist, kümmert sich Schüren um
alles selbst.
Kann er auch delegieren? Zwei Mitarbeiter, die mit ihm im Büro sitzen,
schmunzeln. „Was sollen wir da sagen“, antwortet einer und grinst. Der
andere nickt. „Für einen Handwerker kann er gut delegieren“, sagt er, bevor
sich der Chef selbst einmischt: „Bei der Arbeit habe ich ein gutes Team und
zu Hause eine sehr verständnisvolle Ehefrau.“ Es sind solche Sätze, die den
54-Jährigen plötzlich merkwürdig zurückgewandt wirken lassen. Ist der
moderne Entrepreneur in manchen Dingen vielleicht doch konservativer, als
er es sich eingestehen mag?
## Jetzt will Schüren auch in den Bundestag
Viel Zeit wird Schüren jedenfalls auch in Zukunft nicht für seine Frau und
seine zwei Kinder bleiben. Im September tritt er zum ersten Mal zu einer
Bundestagswahl an, als Kandidat der Grünen. Seine Themen: Klimaschutz,
Elektromobilität, Mittelstand. Auch bei Twitter ist er aktiv. Dort heißt er
@EcoCarer1 und bezeichnet sich selbst als „Unternehmer, Bäckermeister,
Grüner, Innovator, Effizienz-Junkie, Familienvater, Europäer, Kandidat Btw
2021“.
Schüren ist überzeugt, dass er mit seiner auf Nachhaltigkeit getrimmten
Bäckerei kein Einzelfall bleiben muss. Selbst erzeugter Strom,
Energierückgewinnung, Bioprodukte: All das sei nicht nur gut fürs Gewissen,
sondern bringe eine Firma auch langfristig voran. „Wer mutig ist, kann sich
auf diese Weise von seinen Wettbewerbern abgrenzen“, meint Schüren. „Wenn
es um Nachhaltigkeit geht, sind viele Verbraucher deutlich weiter, als wir
denken.“ Wer die Wahl habe zwischen einer Firma, der Klimaschutz egal ist,
und einem Ökobetrieb, stimme letztlich mit den Füßen ab. Allein darauf zu
hoffen, dass sich die guten Taten herumsprechen, reiche aber nicht. „Man
muss an seinem Image arbeiten und es kommunizieren“, rät Schüren,
Für den anstehenden Bundestagswahlkampf hat sich der Bäckermeister etwas
Besonderes ausgedacht: Zu seinen Infoständen wird er nicht einfach im Tesla
vorfahren, sondern mit einem historischen VW Bulli. Den Verbrennungsmotor
hat Schüren ausbauen und durch einen Akku ersetzen lassen.
16 Jul 2021
## LINKS
[1] /Besuch-von-Elon-Musk-in-Brandenburg/!5772675
[2] https://www.xn--ihr-bcker-schren-znb45b.de/
[3] https://tank.rast.de/
[4] https://seedandgreet.de/
[5] https://auto-institut.de/
## AUTOREN
Steve Przybilla
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