# taz.de -- Ingenieur über Windantrieb für Schiffe: „Die Systeme funktionie… | |
> Der Hamburger Ingenieur Stephan Wrage hat einen Zugdrachen für Schiffe | |
> entwickelt – und mit derselben Technologie auch noch ein Windkraftwerk. | |
Bild: Spart Treibstoff: Ein Drachen zieht einen Frachter | |
taz: Herr Wrage, wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, ein Drachen könnte | |
ein Schiff ziehen? | |
Stephan Wrage: Durch die Begeisterung fürs Segeln, für Wind, Windkraft und | |
Drachen. Ich habe schon immer Drachen geflogen, seit ich ein ganz kleiner | |
Junge war. Eines Tages war ich am Strand: Wir waren vorher segeln, es war | |
langweilig, aber den Drachen konnten wir zu zweit nicht halten – gleicher | |
Wind, gleicher Tag. Da kam die Frage auf: Wie kann man diese enorme Kraft | |
auf ein Schiff bringen? Da war ich 14. | |
Aber ein Schiff ist ja ein bisschen schwerer als ein Mensch. | |
Deshalb muss man den Drachen ein bisschen größer bauen. Der größte Drachen, | |
den wir für ein Schiff gebaut haben, hat 400 Quadratmeter. | |
Es ist 20 Jahre her, dass Sie den ersten Prototypen getestet haben. Weshalb | |
fahren heute nicht lauter Schiffe mit Sky-Sails-Drachen? | |
Eine gute Frage. Wir sind [1][2008 mit dem ersten Prototypen in den Markt | |
gegangen]. Letztendlich waren wir mit der Idee viel zu früh. | |
Warum? | |
Die Treibstoffe der Schiffe werden nicht besteuert. Es gab nur die | |
Vorschrift, dass der Schwefel in den Abgasen reduziert werden muss. | |
[2][Seit Ende letzten Jahres gibt es erste Vorschriften zur Reduktion von | |
Treibhausgasen]. Aber gerade in der vergangenen Woche wurde wieder die | |
[3][Festlegung auf einen mehr als symbolischen CO2-Preis für die | |
Schifffahrt um zwei Jahre hinausgeschoben]. Selbst heute, wo die Klimakrise | |
voll angekommen ist in der Öffentlichkeit, gibt es keine vernünftige | |
regulatorische Vorgabe für die Schifffahrt. Dabei emittiert die Schifffahrt | |
ungefähr soviel CO2 wie Deutschland. | |
2008 haben Sie darauf gesetzt, dass der Ölpreis hoch bleiben würde. | |
Das ist der andere Treiber. Erst wenn Sie einen Ölpreis von mehr als 100 | |
Dollar pro Barrel haben, genügt die Wirtschaftlichkeit den Ansprüchen der | |
Reeder. Die Amortisation muss deutlich unter fünf Jahren liegen. Bei | |
Windkraft an Land liegt diese bei zwölf Jahren. Die Renditeziele der Reeder | |
sind also deutlich anspruchsvoller. | |
Ist Ihr System technisch ausgereift? | |
Die Systeme funktionieren gut. | |
Wie muss ich mir das vorstellen? | |
Wir befestigen den Drachen an einem ausfahrbahren, etwa 25 Meter langen | |
Mast. Daran hängt der Drachen als gerefftes Paket, wie eine | |
zusammengezogene Gardine. Dann strömt die Luft ein in ein dreidimensionales | |
Profil wie ein Flugzeugflügel. Am Ende ist der Drachen prall und flugfähig. | |
Dann wird er abgekoppelt und an einem Kunststoffseil auf 400 bis 800 Meter | |
Höhe gebracht. Dort fliegt er mit einem Autopiloten Figuren, die die | |
Energieausbeute aus dem Wind maximieren. Der Drachen zieht das Schiff. Wenn | |
man ankommt, wird der Drachen eingeholt, gerefft und in einer Luke | |
verstaut. | |
Die Windrichtungen, die der Drachen nutzen kann, sind stärker eingeschränkt | |
als bei einem herkömmlichen Segel. | |
Das kommt sehr auf den Schiffsrumpf an und auf die Ausgestaltung des | |
Drachens. Das Wirkungsoptimum liegt fast am gleichen Punkt wie beim Segel. | |
Bei Kursen ganz hart am Wind – 30 Grad und weniger – tut er sich schwer. | |
Dafür ist eine Zugdrachenanlage pro Kilowattstunde Strom oder Vortrieb um | |
ein Vielfaches günstiger als eine klassische Segelanlage oder alternative | |
Segelsysteme. | |
Warum? | |
Einfach deshalb, weil sie viel weniger wiegt. Wenn Sie einen 60 oder 70 | |
Meter hohen Mast bauen mit den mechanischen Bauteilen, die die Last des | |
Winddrucks abfangen müssen, kriegen sie sehr dicke Masten, Stagen, ein | |
schweres Fundament. All das führt dazu, dass die Anlagen sehr teuer werden. | |
Beim Drachen ist alles nur mit Zugkraft belastet, die ich mit einem Seil | |
abfangen kann. | |
Ein Seil, das bei 800 Metern ganz schön schwer sein dürfte … | |
Ein Kunststoffseil? Wir nehmen UHMWPE – das ist relativ leicht. Das wiegt | |
für einen großen Drachen etwa 500 Gramm den Meter. | |
Sie hatten eine lange Flaute. Wie haben Sie diese Zeit überbrückt? | |
Nachdem wir 2011 festgestellt haben, dass wir von einer länger anhaltenden | |
Schifffahrtskrise ausgehen müssen, haben wir ein neues Produkt auf den | |
Markt gebracht, eine Schiffsoptimierungssoftware. Die ist letztendlich für | |
den Drachen entwickelt worden, um der Mannschaft den Betrieb einfacher zu | |
machen, funktioniert aber auch ohne. Das Programm spart über die Analyse | |
von Schiffsbetriebsdaten – Geschwindigkeit, Wetter, Verbrauch, Ankunftszeit | |
– Treibstoff ein – und zwar fünf bis zehn Prozent. Dieses Produkt läuft a… | |
über 100 Schiffen. Damit haben wir uns über Wasser gehalten. | |
Haben Sie zwischendurch den Glauben daran verloren, dass das mit dem | |
Drachen noch was werden könnte? | |
Die Frage ist nicht, ob es was wird, sondern wann es was wird. Windkraft | |
ist ohne Zweifel die günstigste und auch klimafreundlichste Energiequelle | |
auf hoher See. Die Frage ist nur, wann sich die Politik endlich | |
entschließt, der Schifffahrt auch die entsprechenden Rahmenbedingungen zu | |
stellen. Selbst die großen Reedereien fordern das, weil allen bewusst ist, | |
dass auch die Schifffahrt einen Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. | |
Sie mussten aber auch jemanden finden, der Sie über diese Durststrecke | |
hinweg finanziert. | |
Wir haben Ende 2015 entschieden, unser Wissen dazu zu nutzen, mit Drachen | |
Strom zu erzeugen. Mit den Drachen kann man auch ein Seil von einer Winde | |
ziehen und damit einen Generator antreiben. Wir haben gesehen, dass es | |
Vorteile hat, den Höhenwind auszubeuten. Das kann keine klassische | |
Windturbine. | |
Was sind denn die Vorteile? | |
In Höhen von 250 bis 800 Metern ist das doppelte Energiepotenzial | |
vorhanden. Das heißt, man kann stetiger Strom erzeugen; man kann bis zu | |
6.000 Volllaststunden im Jahr erreichen. Klassische Windkraftanlagen | |
schaffen 2.000 bis 4.000. Dabei brauche ich 90 Prozent weniger Material. | |
Das ist eine komplette Dematerialisierung der Windkraft. Dadurch bin ich | |
schneller im Aufbau. Der Eingriff in die Natur ist minimal. Der Drachen ist | |
kaum zu sehen. Es gibt keine Flickereffekte und keinen Infraschall. Letztes | |
Jahr sind wir damit an den Markt gegangen und haben eine fantastische | |
Nachfrage. Wir haben renommierte Kunden gewonnen wie [4][RWE] und [5][IBL], | |
eines der größten Unternehmen in der Region Indischer Ozean und Ostafrika. | |
Wie viele dieser Anlagen haben Sie schon verkauft? | |
Wir haben erste Anlagen verkauft und eine Nachfrage in dreistelliger | |
Millionenhöhe. | |
Das heißt, die Kraftwerke sind ein größeres Geschäft als Zugdrachen. | |
Wir nennen es „Sky Sails Power“. Die Basistechnologie ist identisch, die | |
Bodenstation ist anders. Die Nachfrage an Land übersteigt die Nachfrage bei | |
marinen oder Schifffahrtsprojekten um den Faktor 50 bis 70. | |
Käme man bei einem realistischen CO2-Preis auf eine ähnliche Nachfrage bei | |
Sky-Sails-Zugdrachen? | |
Das ist unwahrscheinlich, weil der Markt für die Stromerzeugung generell | |
viel größer ist. Dass der Wind für die heutige Frachtschifffahrt keine | |
Rolle spielt, ist allerdings nicht zu verstehen. Die Schifffahrt hat im 18. | |
Jahrhundert ausschließlich mit Wind funktioniert. Natürlich sind die | |
Geschwindigkeiten dann geringer. Der Preis, den wir mit Blick auf den | |
Klimawandel für die hohe Transportleistung bezahlen, ist heute nicht mehr | |
vertretbar. Deshalb muss man in den Logistikketten eine längere | |
Transportzeit in Kauf nehmen, um die CO2-Emissionen zu senken. | |
Wie haben die Reeder reagiert, als Sie zum ersten Mal an sie herangetreten | |
sind mit ihrer Idee? | |
Sehr gemischt. Skepsis gab’s überall – das ist normal –, bei manchen mit | |
einer positiven Konnotation, bei anderen war noch das freundlichste Wort | |
„Spinner“. Das ist immer noch so. Viele können sich mit dem Gedanken, | |
Windkraft zu nutzen, nicht wirklich anfreunden. Aber es ist so logisch! Die | |
großen Stromkonzerne versuchen händeringend, neue Offshore-Windparks zu | |
erschließen, weil das so eine tolle Energiequelle ist. Die Reeder haben | |
diese Energiequelle jeden Tag zur Verfügung und nutzen sie nicht! | |
Woher nehmen Sie die Kraft, Rückschläge wegzustecken? | |
Von der Orientierung aufs Ziel. Seit dem Bericht des Club of Rome „Grenzen | |
des Wachstums“ von 1972 ist klar und eindeutig, dass ich in ein endliches | |
System wie die Erde nicht unendlich viel Müll reinstopfen kann, also auch | |
keine Treibhausgase. | |
Dafür sind Sie ins Risiko gegangen. | |
Dass wir den Irrsinn beenden, unseren Planeten zu verheizen, ist wichtiger | |
als ein persönliches Risiko. Wenn es schief geht, kann man immer noch etwas | |
anderes machen. Aber wenn man es erst gar nicht probiert, verändert sich | |
nichts. | |
7 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Umweltschiff-in-Hamburg/!5189932 | |
[2] /Neue-Regeln-fuer-CO2-Emissionen-auf-See/!5725557 | |
[3] https://www.spiegel.de/auto/emissionen-in-der-schifffahrt-so-scheitert-die-… | |
[4] https://www.group.rwe/presse/rwe-renewables/2021-01-26-rwe-renewables-und-s… | |
[5] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&… | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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