# taz.de -- Abschiebung verfolgter Frauen: Keine Sicherheit, nirgends | |
> Die Hamburger Ausländerbehörde hat eine Frau und ihr Kind aus einer | |
> Schutzunterkunft für Frauen abgeschoben. Der Schutz der Einrichtung ist | |
> dahin. | |
Bild: Traumata sexualisierter Gewalt begleiten die Betroffenen oft ein Leben la… | |
Hamburg taz | Es sollte ein besonderer Schutzraum sein: Die Unterkunft in | |
Hamburg-Eppendorf bietet 120 [1][geflüchteten Frauen und Kindern] Platz mit | |
Einzelzimmern, eigenen Kochmöglichkeiten und Spielzimmern. Fremden | |
Personen, egal welchen Geschlechts, ist der Zutritt zum Haus verboten, ein | |
Wachdienst ist dafür rund um die Uhr im Einsatz. Die Frauen in der | |
Unterkunft suchen in der Regel Sicherheit vor ihren gewalttätigen | |
Ex-Partnern, viele erlebten außerdem sexualisierte Gewalt auf der Flucht | |
und sind traumatisiert. | |
Mit dieser Sicherheit ist es nun vorbei. Gleich zwei Mal tauchten in den | |
vergangenen Wochen Beamt*innen der Hamburger Ausländerbehörde mit | |
mehreren Fahrzeugen auf und drangen in die Wohnungen ein, um Bewohnerinnen | |
abzuschieben. | |
Dabei gibt es eigentlich die Absprache mit der Innenbehörde, dass | |
[2][Abschiebungen, wenn überhaupt,] nicht auf „normalem Wege“ stattfinden. | |
Das heißt, dass eben genau nicht zehn Uniformierte im Morgengrauen | |
anrücken, um im Befehlston und vielleicht sogar unter Gewaltanwendung | |
Bewohnerinnen zwingen, innerhalb von Minuten ihre Sachen zu packen und | |
mitzukommen. Genau das aber ist in der vergangenen Woche passiert. | |
Anfang Juni kamen die Beamt*innen zum ersten Mal, an einem Nachmittag, | |
aber sie trafen die Frau, nach der sie suchten, nicht an. Am vergangenen | |
Donnerstag kamen sie dann gleich zu zehnt um sechs Uhr morgens, um eine | |
andere Frau und deren zweijährigen Sohn abzuschieben: Ruslana Chochlowa | |
(Name geändert). So schilderten es die Bewohnerinnen einer Mitarbeiterin | |
der Beratungsstelle „Savia – Steps against Violence“. Die | |
Sozialarbeiterinnen selbst waren um die frühe Uhrzeit noch nicht vor Ort. | |
## 15 Stunden im Polizeiwagen | |
„Die Mutter von Frau Chochlowa versuchte sich mit einem Messer zu verletzen | |
und aus dem Fenster zu stürzen“, schildert die Mitarbeiterin der | |
Beratungsstelle. Daraufhin habe der Wachdienst das Notfallmanagement der | |
Unterkunft gerufen. Als die alarmierten Mitarbeiterinnen eingetroffen | |
seien, seien die Abschiebebeamt*innen bereits weg gewesen – mitsamt | |
Chochlowa und ihrem Sohn. | |
Die Beamt*innen seien sehr barsch vorgegangen, berichtet Chochlowa | |
später der Mitarbeiterin. Sie hätten sie unter anderem an der Brust | |
abgetastet. In einem Polizeiwagen sei sie nach Frankreich gefahren worden: | |
15 Stunden Autobahn, nur drei Pausen von je fünf Minuten hätten sie | |
gemacht. Ihr Kind habe die ganze Zeit über geweint oder gekotzt. | |
Chochlowa ist [3][ein „Dublin-Fall“]: Sie floh aus einem Land, in dem die | |
Anerkennungsquote für Geflüchtete gering ist und reiste mit Mann und Kind | |
nach Frankreich. Von dort aus floh sie erneut, dieses Mal vor ihrem | |
gewalttätigen Mann, der sie bis nach Hamburg verfolgte. | |
Zuflucht fand sie in der Schutzunterkunft für Frauen. Von dort versuchte | |
sie, ihren Asylantrag nach Deutschland zu überstellen, weil in Frankreich | |
ihr Leben und das ihres Kindes durch ihren Mann bedroht seien. Die Behörden | |
lehnten das ab. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei nicht | |
ersichtlich, warum Chochlowa nicht auch in Frankreich durch die dortigen | |
Behörden oder Polizei vor ihrem Ehemann geschützt werden könnte, sagt der | |
Sprecher der Ausländerbehörde, Matthias Krumm. | |
„Ein Abschiebungsverbot wurde nicht festgestellt, sodass die Hamburger | |
Behörde die Rücküberstellung nach Frankreich veranlassen musste.“ Zum | |
besonderen Schutzstatus der Unterkunft, der ja nun hinüber ist, sagt Krumm: | |
„Aus Sicht der Ausländerbehörde dienen sichere Unterkünfte dem Schutz vor | |
unrechtmäßigen Übergriffen durch Dritte, nicht vor staatlichen Maßnahmen.“ | |
Die Traumatherapeutin Annette Kaiser-Tiede behandelt mehrere Frauen in der | |
Schutzunterkunft. Was eine solche Situation für die Betroffenen bedeutet, | |
erklärt sie so: „Das ist eine [4][aktive Retraumatisierung und gefährdet | |
das Leben der Mutter und des Kindes.]“ Es bestehe eine große Gefahr | |
tiefster Verzweiflung, die in extremen Fällen auch zu Selbstmordgedanken | |
führen könne. „Wenn man aus dem Ort herausgerissen wird, an dem man sicher | |
zu sein glaubte, fragt man sich: Wo ist dann überhaupt der Platz, an dem | |
ich sicher bin?“, sagt Kaiser-Tiede. | |
Auch die lange Fahrt mit dem völlig verstörten Kleinkind, dem zum | |
wiederholten Mal das gewohnte Umfeld wegbricht – „das ist | |
Kindeswohlgefährdung“, sagt die Traumatherapeutin. | |
## Verheerende Folgen für andere Bewohnerinnen | |
Sowohl ihr als auch der Mitarbeiterin von „Savia – Steps against Violence“ | |
ist es wichtig, auf die verheerenden Folgen für die anderen Bewohnerinnen | |
und den ganzen Standort hinzuweisen. „Das Gefühl, hier in Sicherheit zu | |
sein, sei es vor dem Partner, der Herkunftsfamilie oder anderen, ist für | |
die Frauen ins Wanken geraten“, sagt die Sozialarbeiterin. Die plötzliche | |
und gewaltvolle Invasion durch Uniformierte ruft zudem Traumata hervor, die | |
viele der Frauen auf ihrer Flucht erlebt hätten, etwa durch | |
Vergewaltigungen im Gefängnis, an Landesgrenzen oder durch Schlepper. | |
Außerdem spreche sich schnell herum, dass aus der Unterkunft abgeschoben | |
werde. Ob die Frauen das Schutzangebot zukünftig noch annehmen, müsse man | |
erst mal sehen, sagt die Mitarbeiterin. „Ich weiß nicht, wie wir das | |
Vertrauen wiederherstellen sollen.“ | |
Was Ruslana Chochlowa betrifft, berichtet Annette Kaiser-Tiede, dass die | |
Mutter und ihr Kind direkt hinter der Grenze in Straßbourg der | |
französischen Polizei übergeben worden seien. Die hätte sie nach ein paar | |
Stunden gehen lassen mit den Worten „Du bist frei und kannst machen, was du | |
willst.“ Obdachlos und aufgelöst habe sie sich telefonisch an ihre | |
Hamburger Kontakte gewandt, über mehrere Ecken sei ihr ein Schlafplatz | |
organisiert worden. Allerdings nur für ein paar Nächte. | |
18 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Projekt-fuer-migrantische-Frauen/!5757543 | |
[2] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5773063 | |
[3] /Bremer-Linke-besucht-Fluechtlingslager/!5771792 | |
[4] /Fluechtlings-Dolmetscherin-ueber-Traumata/!5686016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
## TAGS | |
Abschiebung | |
Geflüchtete Frauen | |
Hamburg | |
Gewalt gegen Frauen | |
GNS | |
Asylpolitik | |
Niedersachsen | |
Istanbul-Konvention | |
Bayern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschiebung in ein fremdes Land: „Mama in Handschellen abgeführt“ | |
Die Eltern von Shuki Haziri wurden nach 30 Jahren in ein Land abgeschoben, | |
das nicht ihre Heimat ist. Über deutsche Bürokratie, die krank macht. | |
Sammelabschiebung nach Pakistan: Menschenrechte? Egal | |
Niedersachsen hat acht Geflüchtete nach Pakistan abgeschoben, obwohl dort | |
Menschenrechte stark eingeschränkt sind. Linke Gruppen protestieren. | |
10 Jahre „Istanbul-Konvention“: Deutschland weiter mangelhaft | |
Seit 2011 gibt es die Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. | |
Hierzulande ist sie längst nicht umgesetzt. | |
Kirchenasyl in Bayern: In Liebe gegen Abschiebungen | |
Die Äbtissin Mechthild Thürmer gewährt Kirchenasyl. Dafür droht ihr die | |
bayerische Justiz mit einer Freiheitsstrafe. |