# taz.de -- Regierungskrise in Schweden: Feilschen um die Mietpreisbremse | |
> In Stockholm kann die Regierungskrise nur mit einer Einigung über die | |
> weitere Mietwohnungspolitik gelöst werden. Sonst gibt es Neuwahlen. | |
Bild: Stoperte über die Lockerung der Mietpreisbremse: Schwedens Ministerpräs… | |
STOCKHOLM taz | Für Schwedens PolitikerInnen stand beim diesjährigen | |
Mittsommerwochenende die Suche nach einem Weg aus der Regierungskrise auf | |
der Agenda. Nachdem das Parlament letzte Woche Ministerpräsident [1][Stefan | |
Löfven] das [2][Misstrauen ausgesprochen] hatte, muss er sich bis Montag um | |
Mitternacht zwischen Neuwahlen oder der Bildung einer neuen Regierung | |
entscheiden. | |
Parallel dazu gewinnt die Debatte zur Wohnungspolitik an Fahrt, welche die | |
„Mittsommerkrise“ ausgelöst hatte. Denn zur Bestürzung vieler war der | |
Sozialdemokrat Löfven bereit gewesen, zur kurzfristigen Machtsicherung eine | |
tragende Säule der bisherigen Wohnungspolitik zu opfern, die einst die | |
Sozialdemokraten selbst aufgebaut hatten. | |
Aus dem Jahr 1968 stammt das bis heute geltende „Nutzwert“-Prinzip im | |
schwedischen Mietrecht. Dort hat der Immobilienbesitzer nicht die Freiheit, | |
weitgehend ungehindert die Bedingungen festzulegen, unter denen er eine | |
Wohnung vermietet. Ähnlich wie Löhne und andere Anstellungsbedingungen im | |
Rahmen von Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden | |
ausgehandelt werden, geschieht das in Schweden beim Mietrecht durch | |
Verhandlungen zwischen Immobilieneigentümerverbänden und einer Art | |
Mietergewerkschaft, der Hyresgästföreningen. | |
Jedes Jahr im September beginnen die regionalen Verhandlungen über die | |
Rahmenverträge zur Festlegung der Grundsätze für die Mieten im Folgejahr. | |
Die Immobilieneigentümer präsentieren zunächst ihre Vorstellungen auf der | |
Basis der Entwicklung ihrer laufenden Kosten. Die zulässige Höhe der Mieten | |
orientiert sich dann am „Nutzwert“ der Wohnungen für die MieterInnen. | |
## Bisher: Schiedsgericht bestimmt Miethöhe | |
In diese Berechnung fließen Kriterien wie beispielsweise | |
Modernisierungsmaßnahmen, Lage der Wohnung, Ausstattung und die Mieten für | |
vergleichbare Wohnungen ein. Gibt es keine Einigung, trifft ein paritätisch | |
besetztes Schiedsgericht eine bindende Entscheidung. | |
Billig ist Wohnen in Schweden keineswegs. Aber dieses Modell hat die | |
Wirkung einer Mietpreisbremse. KritikerInnen wollen es auch dafür | |
verantwortlich machen, dass zu wenig Wohnungen neu gebaut werden: | |
Potentielle InvestorInnen würden sich eben andere Sektoren suchen, in denen | |
Geldanlagen profitabler sind. | |
Hätte die [3][Linkspartei] mit ihrem Misstrauensvotum [4][Löfvens | |
rot-grüner Minderheitsregierung] keinen Strich durch die Rechnung gemacht, | |
wäre die aufgrund einer Vereinbarung mit zwei liberalen Parteien bereit | |
gewesen, eine Ausnahme vom „Nutzwert“-Prinzip zuzulassen: Für | |
Neubauwohnungen sollten Marktmieten möglich werden, also eine Festlegung | |
der Miethöhe allein durch die Wohnungseigentümer. | |
Welche Folgen dies haben könnte, berechnete die staatliche Bau- und | |
Planungsbehörde Boverket vor einigen Jahren. Auf nationalem Niveau seien | |
aufgrund Angebot und Nachfrage Mietpreissteigerungen von „nur“ 5 bis 7 | |
Prozent zu erwarten, aber in Ballungsräumen mit Wohnungsmangel wie etwa | |
Stockholm könne es ein Plus von 68 Prozent geben. | |
Gleichzeitig hätte eine solche Deregulierung laut Boverket aber fast keinen | |
Einfluss auf den Neubau von Mietwohnungen, weil Investoren wie schon jetzt | |
vorwiegend Eigentumswohnungen bauen würden. | |
## Studien: Nicht weniger, sondern mehr Regulierung ist nötig | |
Wolle man die Engpässe bei Mietwohnungen wegbauen, so empfehlen Studien, | |
wäre nicht „der Markt“ die Lösung, sondern mehr Regulierung durch gezielte | |
staatliche Förderung des Mietwohnungsbaus. Das wäre auch das Mittel gegen | |
den verbreiteten Schwarzmarkt mit Untervermietungen. Stattdessen | |
verschärfte die Politik durch umfassende Umwandlungen von Miet- in | |
Eigentumswohnungen bisher noch den Mangel. | |
Zwar wohnen in Schweden nicht einmal 30 Prozent der Bevölkerung zur Miete | |
(Deutschland: 50 Prozent), doch irgendwann im Leben ist dort fast jede und | |
jeder einmal MieterIn. Deshalb ist eine klare Mehrheit für das | |
„Nutzwert“-Prinzip. | |
Das Zentrum, eine der beiden Parteien, die ihre Unterstützung Löfvens von | |
der Forderung nach teilweisen Marktmieten abhängig gemacht hatte, hat dies | |
jetzt für den Fall neuer Regierungsverhandlungen zunächst aufgegeben. Ein | |
Ende der „Mittsommerkrise“ war am Sonntag aber noch nicht in Sicht. | |
28 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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