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# taz.de -- Pro und Contra Biontech ab 12: Soll man Kinder impfen lassen?
> Europaweit ist die Impfung zugelassen, in Deutschland gibt die Stiko
> keine allgemeine Impfempfehlung. Nun stecken Eltern erst recht im
> Dilemma.
Bild: Ein Impfzentrum in Italien. Dort ist die Spritze für alle ab 12 Jahren f…
NEIN!
Schon vor Monaten schrieben wir [1][in der taz] über die Frage, wann denn
endlich Kinder und Jugendliche geimpft werden können. Es erschien so
logisch: Diese Altersgruppen haben normalerweise viel Kontakt, sie sollen
und müssen ihn auch haben. Eine Impfung würde ihnen daher nicht nur die
dringend notwendige Rückgabe von Freiheitsrechten ermöglichen, sondern auch
die gesamte Gesellschaft schützen. Und schließlich stehen uns Impfstoffe
zur Verfügung, die außergewöhnlich gut helfen und offenbar kaum
Nebenwirkungen haben.
Monate später ist [2][der erste Impfstoff (Biontech/Pfizer) für die
Altersgruppe ab 12 zugelassen], für den zweiten (Moderna) sind die
Aussichten gut. Und dennoch: Es ist alles andere als logisch, alle Kinder
und Jugendlichen ab 12 so schnell wie möglich zu impfen. Vier wesentliche
Gründe dafür sollen hier genannt werden.
Erstens: Kinder und Jugendliche erkranken nur in Einzelfällen ernsthaft an
Covid-19 – circa 0,01 Prozent der bekannten Infizierten in der Altersgruppe
von 12 bis 17 Jahren musste bislang hierzulande intensivmedizinisch
behandelt werden. [3][Es gab insgesamt 2 Todesfälle (0,001 Prozent)], beide
Betroffenen waren schon vor ihrer Covid-19-Infektion schwer krank. Das
schmälert natürlich nicht den Verlust, ist aber ins Verhältnis zu setzen zu
einer Sterblichkeit von rund 2 Prozent bei den Infizierten aller
Altersgruppen. Folgeerkrankungen wie das Multisystemische
Entzündungssyndrom PIMS sind sehr selten und ebenfalls vor allem für Kinder
und Jugendliche mit Vorerkrankungen gefährlich. Über Long-Covid-Verläufe
bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit noch viel zu wenig bekannt, um ein
Risiko zu beziffern. Unklar ist ebenfalls, ob eine Impfung vor diesen
Folgeerkrankungen überhaupt schützt.
Zweitens: Der bereits zugelassene Impfstoff für Kinder ist [4][nur an rund
1.100 Proband*innen der Altersgruppe systematisch getestet worden], der
Nachbeobachtungszeitraum lag bei 2 bis 3 Monaten. Wir wissen – aus
vergangenen und der aktuellen Impfkampagne –, dass die Wahrscheinlichkeit
sehr seltener Nebenwirkungen erst in der breiten Anwendung und mit
ausreichend zeitlichem Abstand beurteilt werden kann. Das ist ein Risiko,
das wir für die Erwachsenen eingehen können und müssen – einfach, weil
diese deutlich gefährdeter sind, an Covid-19 schwer zu erkranken oder zu
versterben. Bei heranwachsenden Menschen, die durch eine Infektion nach
bisherigen Erkenntnissen kaum gefährdet sind (siehe Punkt 1), ist die
Anwendung einer völlig neuen Impftechnologie, wie sie die mRNA-Impfstoffe
nun einmal sind, dagegen besonders sorgsam zu prüfen.
Drittens: Liegt es nicht auch im Gesundheitsinteresse der Kinder und
Jugendlichen, endlich wieder ohne Beschränkungen zur Schule oder zum Sport
zu gehen und Freund*innen zu sehen? Natürlich. Aber die Wiedererlangung
dieser Freiheiten an den Impfstatus zu knüpfen, wäre falsch. Nicht nur,
weil ohnehin alle Kinder unter 12 noch deutlich länger auf die Möglichkeit
einer Impfung warten müssen. Sondern auch, weil es die Daten zum
Infektionsgeschehen unter Kindern und Jugendlichen – von denen es viel zu
wenige aus Deutschland gibt – nicht hergeben, etwa die Schulen als
besondere Infektionsherde zu betrachten.
Das leitet direkt über zu Punkt vier: der Schutz der Gesellschaft. Noch
immer ist Impfstoff knapp. Das heißt, eine Impfung für ein gesundes, kaum
gefährdetes Kind ist eine Impfung weniger für einen potenziell deutlich
gefährdeteren Erwachsenen. Der wiederum schützt mit einer Impfung nicht nur
seine Gesundheit, sondern auch die Kinder in seinem Umfeld vor Infektionen.
Denn die raren Studien legen nahe, dass Infektionen vor allem aus den
Familien in die Schulen und Kitas getragen werden und nicht andersherum.
Es gibt besondere Familienkonstellationen – zum Beispiel mit vorerkrankten
Kindern – in denen die Risiko-Nutzen-Abwägung auch jetzt schon zugunsten
einer Impfung der Heranwachsenden ausfallen kann. Letztlich hat das jede
Familie individuell zu entscheiden. Aber ein allgemeines „Und jetzt alle ab
12 zur Impfung“ – das kann es auf Grundlage der bisherigen Daten nicht
geben. Manuela Heim
JA!
Viele Eltern fragen sich: Was, wenn die Corona-Impfung von Biontech/Pfizer
bei Kindern seltene, aber [5][schwere Spätfolgen hervorruft, die jetzt noch
nicht sichtbar sind]? Ich frage: Was, wenn eine Corona-Infektion bei
Kindern schwere Spätfolgen auslöst und die vielleicht gar nicht mal so
selten sind?
Schon jetzt ist bekannt, dass auch viele der ganz Jungen an Long-Covid
leiden. Dem Virologen Christian Drosten zufolge haben etwa 4,5 Prozent der
infizierten Kinder selbst bei einem milden Verlauf nach einem Monat noch
Symptome wie Geruchsverlust, Geschmacksverlust und dauerhafte Müdigkeit.
„Will man das für sein Kind?“, fragt er in einem Interview [6][mit dem
Schweizer Online-Magazin Republik]. „Vier Prozent sind nicht wenig.“ Das
andere sei das sogenannte Multisystemische Entzündungssyndrom PIMS, das bei
einem von ein paar tausend Kindern auftrete – eine schwere Erkrankung, die
bis zu sechs Monate dauern kann. Drosten würde sein Kind impfen lassen, und
ich sehe es genauso.
Die ständige Impfkommission (Stiko) argumentiert, dass bei der Studie für
die Zulassung des Biontech-Impfstoffs nur 1.131 Kinder im Alter von 12 bis
16 Jahren geimpft wurden. Das ist richtig. Doch eine Studie ist letztlich
nur eine Simulation des wirklichen Lebens, und im wirklichen Leben sieht es
so aus: Allein in den USA wurden bereits bis zur ersten Juniwoche [7][6,5
Millionen Kinder dieser Altersgruppe mindestens einmal geimpft.]
Von schwerwiegenden Nebenwirkungen ist bisher nichts bekannt. Die Stiko
berücksichtigt dies nicht und fürchtet sich davor, wie sie selbst
hervorhebt, dass es kommen könnte wie bei dem Impfstoff für Schweinegrippe,
wo zwei bis drei Jahre später die Schlafkrankheit (Narkolepsie) als
Nebenwirkung entdeckt wurde.
Allerdings: Es war keine Spätfolge. Die Narkolepsie ist nur so selten, dass
sie zuerst nicht mit der Impfung in Zusammenhang gebracht wurde.
Aufgetreten ist sie jedoch schon in den ersten Wochen. „In der Geschichte
der Impfstoffe hat es nie echte Langzeitwirkungen gegeben“, sagt [8][Alena
Buyx, Vorsitzender des Ethikrats und Direktorin des Instituts für
Geschichte und Ethik der Medizin].
Die Stiko möchte vor einer allgemeinen Impfempfehlung dennoch lieber weiter
abwarten, bis die Impfkampagnen bei Kindern in anderen Ländern gelaufen und
deren Daten wissenschaftlich ausgewertet sind. Man könnte es vorsichtig
nennen. Doch meiner Ansicht nach steckt hinter dieser Herangehensweise
gleichzeitig eine sehr problematische Haltung: Testet den Impfstoff doch
bitte erstmal an anderen Kindern in anderen Ländern, bevor wir ihn unseren
wertvollen deutschen Kindern verabreichen. Das wirkt egoistisch und
überheblich.
Schlussendlich geht es bei meinem Ja zur Impfung auch um die Kinder selbst
und ihre Wünsche. Über ein Jahr lang haben sie nichts anderes gehört, als
dass das Virus gefährlich ist, und deshalb musste ihr gesamtes Leben auf
den Kopf gestellt werden. Maske, Abstand, Mundschutz, monatelang Unterricht
am zugigen Fenster oder gar keine Schule, keine Freunde, keine
Gemeinschaft, keine normale Entwicklung. Viele mögen theoretisch wissen,
dass sie als Kinder oder Jugendliche keinen schweren Verlauf zu erwarten
haben, haben aber dennoch Angst vor der Pandemie. Sie möchten, genau wie
die Erwachsenen, endlich wieder entspannter durchs Leben gehen, ohne Angst
vor einer Infektion. So ist jedenfalls meine Erfahrung.
Deshalb würde ich mein Kind nicht nur impfen lassen, sondern es wurde vor
drei Tagen bereits geimpft. Die Erleichterung ist groß. Schließlich weiß
niemand, ob eine der zukünftigen Mutationen nicht doch auch Kinder schwer
erkranken lässt. Silke Mertins
12 Jun 2021
## LINKS
[1] /Moegliche-Covid-19-Impfung-fuer-Kinder/!5758554
[2] /Corona-Impfstrategie-fuer-junge-Menschen/!5771222
[3] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/23_21.pd…
[4] https://www.pfizer.com/news/press-release/press-release-detail/pfizer-biont…
[5] /Pro-und-Contra-Biontech-ab-12/!5778428
[6] https://www.republik.ch/2021/06/05/herr-drosten-woher-kam-dieses-virus
[7] https://www.nytimes.com/article/kids-covid-vaccine.html
[8] https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-3-juni-2021-100…
## AUTOREN
Manuela Heim
Silke Mertins
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