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# taz.de -- Der Hausbesuch: Von der Liebe zum Lehm
> Dorothee Weckmüller war Bauingenieurin und Inhaberin einer
> Schraubenfabrik. Gerade renoviert sie ihr Haus mit Naturmaterialien.
Bild: „Ich war schon immer ein bisschen alternativ drauf.“ Weckmüller däm…
Wenn eine frei denkt, kann der Staatssozialismus das nicht stoppen. Der
Kapitalismus erst recht nicht.
Draußen: Eine kopfsteingepflasterte Straße zieht sich durch das Dorf
Wangelin in Mecklenburg-Vorpommern. 80 Menschen leben hier, in kleinen
Häusern mit üppigen Gärten. Auf halbem Weg steht eine Hütte, sie war früher
Teil des Feuerwehrhauses. Die Hütte ist jetzt das „Tauschhaus“. Dort
stellen Leute Überflüssiges ab und tauschen es gegen Überflüssiges von
Anderen.
Drinnen: Dorothee Weckmüller wohnt im Lager des ehemaligen Konsums. Es
hängen Strohhalme aus den Wänden. Sie ist gerade dabei, das Gebäude mit
Stroh zu dämmen und mit Lehm zu verputzen. Das ehemalige Lager ist ein
langgezogener Schlauch, ein Raum reiht sich an den nächsten. Im Wohnzimmer
steht ein riesiger Lehmofen. Gegenüber ein Sessel und eine Lampe. Weil
dieser der Schirm fehlt, hat Weckmüller einen Strohhut darauf drapiert. Sie
bietet Tee an. Dafür hat sie im Garten Minze, Brennnessel, Spitzwegerich,
Löwenzahn und Frauenmantel gesammelt und aufgebrüht. Es schmeckt.
Die Schraubenbude: Eine „Luckenwalderin“ nennt Weckmüller sich. In der
brandenburgischen Kreisstadt, 50 Kilometer südlich von Berlin, ist sie 1952
geboren und hat dort lange gelebt. In Luckenwalde war auch die
Schraubenfabrik, die ihr Urgroßvater gegründet hatte. „Schraubenbude“, sa…
Weckmüller. Die zwei Fabrikgebäude hatten zusammen aber 5.000 Quadratmeter
Produktionsfläche. Wie viele Leute da arbeiteten, weiß sie nicht genau.
„Viele.“ Aber an das Öl, das verwendet wurde, um an den Drehmaschinen das
Material zu kühlen, erinnert sie sich noch. „Das Öl, das ist der Geruch
meiner Kindheit.“
Dinge zusammenfügen: Weckmüller wirkt robust. Aber sie sei kein wildes
Mädel gewesen. „Ich war viel alleine. Schon als Kind.“ Auch wenn Lehm seit
15 Jahren ihr liebstes Material ist, eins, das sie knetet, das sie spürt,
„hat mich früher eher Holz interessiert“, erzählt sie. Ihr liebstes
Spielzeug damals: der „Vero Construc“ – ein Holzbaukasten. „Da konnte m…
so Teile zusammenschrauben, Kisten und Autos und Räder dran.“ Ihre Mutter
sei offen gewesen für Mädchen, die handwerklich zugange sind.
Die Eltern: Ihr Vater war Jurist, „und meine Mutter war nix, glaube ich“.
Also irgendwie alles. Die Eltern lernten sich nach dem Krieg in Wetzlar
kennen. „Verliebt, verlobt, verheiratet.“ Sie seien schon recht alt
gewesen, für damalige Vorstellungen, die Mutter 35. „Mein Vater war im
Krieg gewesen, hat aber nie darüber geredet.“ Nach dem Krieg habe er nur
noch Recht sprechen wollen. „Aber dann rief eines Tages der Großvater aus
Luckenwalde an: Du musst kommen, die Fabrik leiten.“ Er machte es
widerwillig. „Mein Vater wollte, dass das Leben richtig ist, ehrlich,
menschlich. Als Betriebsleiter war er nicht hart genug.“ Seine Frau war die
Starke. Sie sorgte dafür, dass es irgendwie lief.
Kredite: Allerdings merkten die Eltern bald, dass es schwer wird mit der
Fabrik und wollten wieder weg aus der gerade gegründeten DDR. Die Mutter
hatte schon heimlich Sachen nach Westberlin gebracht. „Im Kinderwagen
versteckt.“ So eine Fabrik im Sozialismus leiten, da habe es an allen Ecken
und Enden geknirscht. Aber dann gab es nach dem Aufstand am 17. Juni 1953
Kredite – und die Eltern machten weiter. Bis 1972. Da wurde die Fabrik
verstaatlicht. „Dem Staat gehörten sowieso schon 90 Prozent der Anteile, er
hatte sich mit den Krediten eingekauft“, erzählt Weckmüller.
Das eigene Leben: Immerhin war so die Familienbürde weg. Weckmüller konnte
werden, was sie wollte. Sie machte eine Lehre auf dem Bau. Nach der
Gesellenprüfung konnte sie auf die Fachschule, „den Bauingenieur machen“.
Wobei, „ich war nicht so fürs Lernen“, sagt sie. Deshalb hat sie später im
Tiefbau gearbeitet, Abwasserleitungen, Heizungskanäle, Straßenbau, so was
in der Art. „Brücken habe ich mir abgeschminkt. Für Hochbau waren meine
Zeugnisse zu schlecht.“ 1974 wird sie Bauleiterin bei einem kreisgeleiteten
Betrieb. Bald auch Ehefrau und Mutter von zwei Kindern. Der Junge ist
kränklich. „Ganz ehrlich, wäre der nicht so oft krank gewesen –ich konnte
dann daheim bleiben –, ich hätte das nicht geschafft mit der
Mehrfachbelastung.“
Die Wende: [1][Turbulent wird es nach 1989.] Die staatliche DDR-Baufirma,
für die sie arbeitet, wird zur GmbH. Sie macht die Kalkulation. Der Chef
bringt ihr bei, was sie dafür wissen muss. Bald braucht sie es dringend.
Denn die Familie stellt einen Rückübertragungsantrag für die
Schraubenfabrik. Der wird bewilligt. „Du bist dran“, habe die Mutter zu ihr
gesagt. Der Vater war schon tot. „Aber ich kann doch nicht zu allem Ja und
Amen sagen.“ Doch, hier schon, sei die Antwort gewesen. „Was sollte ich
machen? Plötzlich war ich Gesellschafterin von einer Firma, die zwei, drei,
vier Millionen Umsatz macht.“ Sie macht ihren Aufsichtsjob nebenher. Den
Brotjob bei der Baufirma hat sie weiter.
Inhaberin: Weckmüller hat Geschäftsführer in der Firma, die die
Entscheidungen treffen. Sie ist das Korrektiv. „Die Chefin von BMW hat ihre
Leute. Ich hatte niemanden. Ich war nur Inhaberin ohne Wissen. Ich musste
mir das alles anlesen. Aber ich wollte das eigentlich nicht, zu groß, zu
suspekt das mit den Schrauben.“
Konkurs: Die Geschäftsführer haben einen Großabnehmer, 80 Prozent der
Produktion gehen an ihn. „Der sprang ab, das brach der Firma 1994 das
Genick.“ Da arbeitet sie bereits als Bauingenieurin bei einer Westfirma in
der Planung. Wie sie das alles geschafft hat? „Wenn man jung ist, schafft
man viel“, sagt sie. Die Ruine der Schraubenfabrik steht noch im
Luckenwalder Stadtzentrum.
Lehm: „1996 ist mir das Haus über den Weg gelaufen.“ Ein
sanierungsbedürftiges Fachwerkhaus in Luckenwalde. Sie kauft es und „gibt
ihm eine Seele“. Es ist nur aus Holz, Stroh, Lehm und Stein gebaut.
„Handwerker, die mit ihrem Bauschaum kamen, habe ich von der Baustelle
gejagt.“ Geld verdient sie weiter bei der Baufirma: „Ich war wie
aufgeteilt“, denn dort wird mit Materialien gearbeitet, die sie zunehmend
ablehnt. „Ich war schon immer ein bisschen alternativ drauf. Und das in
diesem Luckenwalde, rote Arbeiterstadt, viel Industrie, viel
Kleingeistigkeit. Aber ich fand durch den Lehmbau immer öfter Menschen, die
anders tickten.“ 1999 wird sie bei der Baufirma gekündigt. „Mutti, was soll
aus uns werden“, fragt die Tochter. Heute lebt diese mit ihren Kindern in
Australien.
Die große Liebe: „Ach so, ich habe den Otto verschwiegen“, sagt Weckmülle…
Den lernt sie 1997 kennen. Ein Mann mit Visionen, Schulden und ohne
Wohnsitz. „Er war eigenwillig; trank damals auch ganz gern“. Er hatte
gerade seine zweite Firma in den Sand gesetzt. „Er machte, was er wollte.“
Gemeinsam überlegen sie, eine neue Firma zu gründen. Sie meldet diese 2002
an: die Arcana Baugesellschaft, die nur Lehmbau macht. Weckmüller ist
Geschäftsführerin. Otto darf das nach zwei Insolvenzen nicht mehr.
Seine Visionen aber kann niemand stoppen. Er entwickelt das Mitmachmodell:
Bauherren, so seine Idee, identifizieren sich mehr mit einem Haus, wenn sie
selbst Hand anlegen. Er leitet an. Aber er strapaziert mitunter auch die
DIN-Normen; sie hat die Verantwortung. 2007 beendet sie die
Liebesbeziehung, 2013 steigt sie aus der Firma aus. Befreundet sind die
zwei aber bis heute.
Die Lehmbauakademie: [2][In der Lehmbauszene] kennt man sich. In Wangelin
gibt es eine europäische Bildungsstätte für Lehmbau, wo man einen von der
Industrie- und Handwerkskammer anerkannten Abschluss machen kann. „Als sich
rumgesprochen hat, dass ich mit dem Otto nicht mehr will, sagte die dortige
Leiterin, komm zu mir, ich kann dich brauchen.“ Fortan managte sie das
Kurs- und Ausbildungsprogramm.
Wangelin: Erst pendelt sie, 2014 zieht sie aufs Dorf. „Ich musste über
sechzig werden, um mich von Luckenwalde zu lösen.“ 2015 kauft sie den
Konsum, 2017 fängt sie an, daran zu bauen, 2019 sind siebeneinhalb
Quadratmeter fertig. Mittlerweile ist sie in Rente und baut weiter.
Und die Liebe? Sie war auf einer Datingplattform angemeldet. „2020 ist da
dann bei was rausgekommen“. Klaus heißt er. „Otto, das war so in die Hände
geklatscht. Auf dem Tanzboden.“ Mit Klaus sei es anders. „Das war langsam,
ohne Schmetterlinge, mal gucken, was das Leben mit einem vorhat.“ Gerade
entwickelt es sich.
7 Aug 2021
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## AUTOREN
Waltraud Schwab
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