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# taz.de -- Der Hausbesuch: Ein Komet in Münster
> Für Hakan Kometa Özkan ist Sprache ein Mittel, um eine andere Version
> seiner selbst zu erleben. Er forscht und betreibt einen Youtube-Kanal.
Bild: Der Arabistikforscher Hakan Kometa Özkan in seinem Büro
Welche Sprache benutzen polyglotte Menschen, wenn sie träumen? Sind sie
Nomaden? Oder Kometen? Hakan Kometa Özkan in Münster hat darauf Antworten.
Draußen: Es ist Samstag, die Sonne scheint, die Tulpen blühen gelb und
weiß, und die Glocken der Überwasserkirche läuten. Am Domplatz in Münster
spazieren maskierte Menschen über die Kopfsteinpflasterstraßen und den
Markt. Die Fahrradkörbe der Marktbesucher sind voll mit frischem Gemüse. In
Bahnhofsnähe fragen Punks mit Hunden nach Kleingeld, am Kanal spazieren
Paare in Funktionskleidung Hand in Hand. Auf einem Hollandrad kommt Hakan
Kometa Özkan mit wehendem langem Haar und klingelnd am Uni-Gebäude an und
schließt sein Fahrrad ab.
Drinnen: Das Gebäude, in dem Özkan ein Büro als wissenschaftlicher
Mitarbeiter hat, sieht aus wie ein Studentenwohnheim: lange weiße Flure, an
deren Ende Frauen- und Männertoiletten und eine kleine Küche, karg, aber
immerhin mit einem Dampfgarer ausgestattet, „meine Rettung“ – er koche oft
damit. In Özkans Büro ein rotes Sofa, auf dem er sich manchmal ausruhe,
wenn ihn die Müdigkeit überfällt. Eine Wand aus Büchern, mal farbig
sortiert, mal nach Themen, mal nach Sprache, darunter viele Wörterbücher.
Hanteln, um Bewegung in den Tag zu bringen, ein Ministudio, [1][um
Youtube-Videos zu drehen]. Das Gegenlicht kommt durch die amerikanischen
Jalousien ins Zimmer, Siesta-Stimmung.
2007: Er ist der Arbeit wegen in die Stadt gekommen: Vormoderne arabische
Dichtung. Als er das erste Mal in Münster wohnt, heißt er nur Hakan Özkan,
spricht nur sieben Sprachen, trägt die Haare kürzer. Heute sind erste graue
Haare bei dem großen und athletischen Mann zu sehen, der mit charmanten
Manieren, lächelnd und mit Wörterbüchern unter dem Arm die Straßen der
studentisch geprägten Stadt auf dem Weg zu einem Café entlangschlendert.
2014: Sieben Jahre später ist Özkan Senior Research Fellow an der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und hat ein 12-jähriges
Forschungsprojekt über einen berühmten Dichter aus der Mamelukenzeit. Die
Besitzer des Cafés begrüßen ihn noch mit Vornamen. Hier sei es ein bisschen
wie zu Hause, sagt er, auch wenn er sich als Deutscher weder in Münster
noch in Deutschland heimisch fühle, „im Gegenteil, hier bin ich fremd“.
2021: Er sei nicht mehr die Figur, die elegant mit den dicken Wälzern
herumspaziert, denn alles passt mittlerweile auf den Laptop. Trotzdem
arbeitet Özkan immer noch lieber auf den Terrassen des Cafés als in seinem
Uni-Büro in der Altstadt oder in seiner WG außerhalb des Rings, wohin er
zum Schlafen zurückfährt.
Sprachen: Deutsch, Türkisch, Griechisch, Englisch, Französisch, Spanisch,
Italienisch, Niederländisch, Farsi, Arabisch und drei arabische Dialekte,
Marokkanisch, Ägyptisch und Syrisch, spricht er heute fließend. Das sei
nicht viel, sagt Özkan, es gebe Polyglotte, die bis zu 40 Sprachen
sprechen. „Für sie ist es wie ein Sport“, sagt Özkan. Sie konkurrieren
miteinander, fragen: „Und? Was lernst du dieses Jahr?“; sie geben
TED-Talks, sie feiern sich als Wunderkinder.
Edelsteine: Hakan Kometa Özkan hält Sprache für ein Mittel, um andere
„Welten und Kulturen“ sowie eine andere Version von sich selbst zu erleben.
„Man ist jemand anderes, wenn man eine andere Sprache spricht.“ Schaut man
sich die Videos auf seinem Youtube-Kanal an, muss man ihm zustimmen. Wie
ein Schauspieler schlüpft er je nach Sprache in eine andere Rolle. In den
Videos spricht er über diese Rollenwechsel, über seine Liebe zu Sprachen
und über die Fehler, die er macht. Er ermutigt alle, eine Sprache zu lernen
(es stimme nicht, dass Kinder schneller Sprachen lernten als Erwachsene),
er gibt Tipps für die besten Onlinewörterbücher, wie man Arabisch beim
Netflix-Gucken lernen kann oder erklärt, warum „Eintauchen“ in eine neue
Sprache wesentlich ist. Özkan möchte sein Wissen teilen. Er möchte nicht
Sprachen sammeln, als wären sie Edelsteine.
Liebeslieder: Zur Welt kommt Hakan Özkan vor 49 Jahren als Sohn türkischer
Gastarbeiter im Oberbergischen, in der Nähe von Köln. Deutsch und Türkisch
lernt er zuerst. Zu Englisch findet er als Teenager dank der Lieder, die er
mit der Gitarre nachspielt. Auch später ist Musik oft der Auslöser für
seine sprachliche Neugier: Er will die Strophen verstehen, deshalb lernt er
beispielsweise Griechisch – und als er nach Griechenland zieht, kann er nur
mit Sprüchen aus Liebesliedern kommunizieren, das heißt, er flirtet
ständig.
Eintauchen: Während und nach seinem Studium der arabischen Literatur und
der Erzählforschung an der Universität Köln und der Université de Provence
wendet Özkan selbst das Immersionsprinzip – das Eintauchen – an: Er wohnt
in Rognes bei Aix-en-Provence, arbeitet als Lehrkraft in Damaskus, als
Übersetzer in Granada, singt in Griechenland, tanzt Tango und schreibt
Gedichte in Argentinien. Italienisch lernt er erst seit einigen Monaten mit
einem Freund, ein Tandem. Niederländisch findet er auch schön, und weil
Münster nahe der Grenze zu den Niederlanden liegt, beschließt er, auch
diese Sprache zu lernen: „Es ist unfair, dass die Niederländer diejenigen
sind, die Deutsch lernen müssen, um mit uns zu kommunizieren.“
Namen: „Hey, Kometa!“, habe eine griechische Sängerin auf Heybeliada, einer
Insel bei Istanbul, ihn einmal begrüßt. Das habe ihn irritiert, doch nach
einer Zeit habe er gedacht: „Das passt perfekt zu mir.“ Er sagt: „Ich
komme, gehe und folge meiner Bahn, und irgendwann komme ich wieder.“ Wie
ein Komet. Er hatte den Namen entdeckt, der wie für ihn gemacht zu sein
schien. Hakan Kometa Özkan findet, alle sollten sich ihre eigenen Namen
suchen. Ideal wäre es, wenn Eltern verkünden würden: „Das ist der Name, den
wir dir provisorisch geben. Du kannst ihn behalten oder dir selbst einen
neuen schenken.“ So habe er es bei seinem Sohn gemacht. Ali Hasan heißt der
noch heute, 16 Jahre nach seiner Geburt in Frankreich. „Warum nennst du ihn
so? Er wird immer Probleme haben“, habe er sich immer wieder anhören
müssen. „Er kann seinen Namen ändern, und wir haben damit kein Problem.
Vielleicht hast du ein Problem?“, antwortete Özkan.
Zugehörigkeit: Auf Özkans Facebook-Seite steht, er würde aus Granada
stammen. Weil er dort ein Heimatgefühl gehabt habe „wie nie zuvor“. Er habe
große Sehnsucht nach den klaren Nächten, dem Musizieren und vor allem den
Granadiner*innen. In der andalusischen Stadt sei den Leuten egal
gewesen, woher er komme. In Deutschland wird er wegen seines Aussehens mit
blonden Haaren und hellen Augen als deutsch gelesen. „Sobald ich meinen
Namen am Telefon oder per Mail erwähne, bin ich Ausländer“, erzählt Özkan.
Um dazuzugehören, habe er immer versucht, alles richtig zu machen, sogar
besser als andere. Diese „Extraleistung migrantischer Kinder“ habe auch er
in der Schule, beim Sport, im Berufsleben gebracht. Und trotzdem bereitet
ihm sein Name noch heute Probleme: bei der Wohnungssuche oder bei
Bewerbungen.
Lieblingssprache: Ihn nach seiner Lieblingssprache zu fragen sei wie Kinder
zu fragen, welchen Elternteil sie am meisten lieb haben, sagt Özkan. Auch
Lieblingswörter habe er mehrere. „Yakamoz“ zum Beispiel, was auf Türkisch
so viel heißt wie „der Widerschein des Mondlichts auf dem Wasser oder das
grünliche Leuchten von biolumineszentem Plankton im Meerwasser bei Nacht“.
Özkans Träume haben die Sprache, die er in dem Moment am häufigsten
benutzt. „Meine Gedanken haben noch keine Sprache, während sie Gedanken
sind“. Die würden aus einer abstrakten Materie und Emotionen bestehen, die
erst später in Worten übersetzt werden. „Ist das nicht bei allen so?“
Zeit zu bleiben: Dass er wegen der Pandemie und der festen Arbeitsstelle
nicht wie sonst aufbrechen kann, gebe ihm das Gefühl, eingesperrt zu sein.
Es deprimiert ihn. Er überlegt, nach Köln zu seiner Partnerin oder in die
Nähe seines Sohnes zu ziehen und eine afrikanische Sprache zu lernen. Und
doch erkenne er am Bleiben die Möglichkeit für etwas Neues: „Immer
wegzugehen hat etwas von Fliehen.“ In einer Stadt und bei einer Sprache zu
bleiben könne auch ein Abenteuer in einer anderen Dimension sein.
16 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/c/HakanKometa%C3%96zkan
## AUTOREN
Luciana Ferrando
## TAGS
Der Hausbesuch
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