# taz.de -- Der Hausbesuch: Schüchtern mit großer Klappe | |
> 2019 kaufte Arne Voh eine 200 Jahre alte Villa in Brandenburg. Mitten im | |
> Wald. Auf die Ruhe dort will der 56-Jährige nicht mehr verzichten. | |
Bild: Manchmal hat er Alpträume, dass man ihm die Ruhe nimmt | |
Das Haus in Schuss bringen, damit beschäftigt sich Arne Voh. In Schuss | |
bringen passt, schließlich ist es eine Jagdvilla. | |
Draußen: Eine Schlaglochpiste führt zwei Kilometer durch den Wald, vorbei | |
an Birken und Brandenburger Kiefern. An einer hängt ein Zettel. „Bitte | |
Lächeln“ steht drauf. Der Mann, der ihn aufgehängt hat, wartet hinter dem | |
Gartenzaun und meint: „Es geht mir tierisch auf den Sack, dass die Leute | |
den Wald nicht wahrnehmen.“ Eingerahmt in Grün ragt hinter ihm eine weiße | |
Villa auf. Arne Voh öffnet das Gartentor, begleitet von einer Horde Hunde, | |
die miteinander zanken. | |
Drinnen: Kühl ist es in dem gelb gestrichenen Flur. Es riecht nach alten | |
Öfen. Die Dielen knarzen. Voh läuft barfuß voran, über Spuren von | |
Holzwürmern. Links geht es in die Küche. Eine Katze mit weißem Bart starrt | |
vom Küchentisch, springt herunter, streckt sich. | |
Hausmann: Er ist der Hausmann hier, 56, Schweißband ums Handgelenk, | |
schwarzes Tanktop, lockige Haare, wasserblaue Augen. „Das ist auch ein | |
Vollzeitjob“, sagt Voh in der Vorratskammer. Darin: 41 Kochbücher. | |
Sprühschlagsahne im Weinregal. Putz bröckelt von der Decke. Das Haus sei | |
immer in Bewegung, sagt er entschuldigend. Über ihm hängen unverkleidete | |
Kupferrohre und Stromleitungen. | |
Anwesen: Vor zweihundert Jahren kam der Landadel mit Kutschen zum | |
Jagdanwesen gefahren. Später zog hier die Stasi ein. Im Schuppen stehen | |
noch Pferdetröge, außerdem Schießscheiben mit menschlichen Silhouetten | |
voller Einschusslöcher. Voh hat auch schon Übungsgranaten im Wald | |
ausgegraben. Umringt von Bäumen wirkt sein Garten wie eine Oase. | |
Schmetterlinge flattern von einer Blumeninsel zur nächsten. Hopfen klettert | |
das Geländer zum Erker empor, Vohs neuestem „Projekt“. | |
Kindheit: Zu der Zeit, als die Villa noch ein Stasibau war, wächst Voh in | |
Braunschweig auf. Er ist sechs, als sich die Eltern scheiden lassen. Die | |
Mutter, „eine Künstlerin mit wirren Ideen“, zieht nach Schweden. Sein Vater | |
baut Freizeitbäder. Einmal haben sie in einem Freizeitbad in Dortmund | |
gewohnt. Seine Frau Kathrin Voh, weißes Satinkleid und offene blonde | |
Locken, schlängelt sich an den Hunden vorbei und stellt eine Espressokanne | |
auf den Tisch. | |
Schüchtern: Für seine Freunde war das Leben im Freizeitbad cool, für einen | |
so schüchternen Charakter wie ihn eher schwierig, sagt Arne Voh. „Ich | |
musste immer eine große Klappe haben, obwohl ich so gar nicht war.“ Mal | |
Klassenclown, mal Klassensprecher, immer ist er der Größte in der Klasse. | |
Sein Naturell sei eigentlich anders gewesen. | |
Aufbruch: Mit 18 setzt er sich ins Auto, nichts wie weg nach Berlin. „Na, | |
da hab ich so ein bisschen rumgetingelt.“ Er habe immer gut riechende Jobs | |
gehabt. In einer Schokoladenfabrik, in der Kaffeerösterei, bei einem | |
Shampoohersteller. Die Fotos auf dem Tablet zeigen ihn mal als jungen Mann | |
mit Irokesenschnitt, mal mit langen Locken. | |
Aufschwung: „Ich habe das nie geplant, ich bin da immer so | |
reingeschlittert.“ In einer Zeit, als Werbung noch wegging „wie | |
geschnittenes Brot“, sei er bei einer Marketingfirma für Stadtillustrierte | |
gelandet. Später arbeitet er in einer „Internetbude“. Von seinem ersten | |
Gehalt kauft er sich eine Hifi-Anlage, die heute noch in seinem | |
Arbeitszimmer steht, und zieht in eine Dachgeschosswohnung in Prenzlauer | |
Berg, wo er das Trampeln der Nachbarn nicht hören muss. | |
Weggehen: Aber die Werbebranche ändert sich mit den Jahren: „Ich bin nicht | |
mehr klargekommen. Das waren Freaks“, er versteht nichts mehr. Da habe er | |
sich einfach tot gestellt. Sie schmeißen ihn raus, als er nur noch seine | |
Zeit absitzt. „Ich habe gemerkt, jetzt will ich irgendwohin, wo ich mein | |
eigener Herr bin, keine Bauchschmerzen mehr, wenn ich aus dem Haus gehe.“ | |
Etwas Eigenes: 2019 kauft er das Haus mit einem Kredit, den er bis 2048 | |
abbezahlen muss. „Das werde ich eh nicht mehr erleben.“ Voh tritt in den | |
Flügel des Hauses, den er sein eigen nennen darf. Links eine schwarz | |
gestrichene Wand voller Bücher, Schallplatten und Totenköpfe. Eine andere | |
Wand ist dunkelrot. Von ihr schauen verschiedene Tierköpfe herab: | |
Wildschweine, Ziegen, ein Biber, den er selbst gefunden hat. „Von diesem | |
Ensemble habe ich immer geträumt“, sagt Voh, die Hände in die Hüften | |
gestemmt. | |
Der Schädel: In seinem Arbeitszimmer steht ein Schrank mit Totenschädeln. | |
Den Menschenschädel habe er damals besoffen aus dem Bio-Labor geklaut. | |
Rache, weil er durchgefallen war, Arne Voh verschränkt die Arme und grinst. | |
An dem schwarzen Schreibtisch hat er eine Weile für seine Frau Kathrin, die | |
Fertighäuser verkauft, Büroarbeiten übernommen. Jetzt seien die Anrufe an | |
das Call-Center ausgelagert, die Grafikarbeiten an eine Agentur. Besser so. | |
Mehr Zeit für Projekte, sagt Voh und meint das Haus. | |
Endlich Ruhe: Seine Tage sehen meistens so aus: Lange schlafen, | |
Statusmeldungen auf dem I-Pad checken, mit den Hunden raus. Er stiefele | |
gerne „Richtung Urwald“. Früher sei ihm dort jeden Tag ein Wildschwein | |
begegnet, jetzt nur noch selten. Bei Wildschweinen sei es so, erklärt er, | |
dass sie nur aggressiv würden, wenn sie sich nicht zurückziehen könnten. | |
Einsamkeit: In Berlin war Voh lange nicht mehr. In die sechs Kilometer | |
entfernte Kleinstadt Fürstenwalde geht er nur zum Einkaufen. „Für mich | |
sehen die alle gleich aus, wenn die auf dem Fahrrad an mir vorbeifahren.“ | |
Mit „normalen“ Menschen und Konventionen könne er nichts anfangen, sagt er. | |
Die Menschenscheu ist bis heute geblieben. „Wir treffen selten Leute“, sagt | |
er. Die Besuche wurden immer weniger. Die, die das Haus schon besichtigt | |
hatten, blieben fern. Mit dem Bruder sei er zerstritten. Seit die Mutter | |
gestorben ist, fehlen die wöchentlichen Anrufe. Die Einsamkeit käme in | |
Phasen. | |
Die Hunde: Die Hunde winseln vor der Tür. „Ey Kinder, ihr geht mir auf den | |
Sack“, sagt Arne Voh und kämpft sich an ihnen vorbei in die Küche. Kathrin | |
Voh schichtet gerade Eis in Schalen, vom Licht des Kühlschranks | |
angeleuchtet. | |
Das üppige Leben: Seit die Hunde da sind, gehe Urlaub kaum noch alleine. | |
Aber einmal, da haben sie über Kathrin Vohs Arbeit eine Reise gewonnen. Sie | |
war die mit dem elftbesten Umsatz. Eine Woche Spanien war der Preis, | |
Armani-Hotel, Spritztour mit einem Oldtimer-Cabrio, die „vollkommene | |
Dekadenz“. Arne Voh träufelt Mandelpaste auf sein Eis. | |
Der Verzicht: Auf die Frage, worauf sie nicht verzichten könne, hat Kathrin | |
Voh sofort eine Antwort: „Die Ruhe.“ Arne Voh nickt. Manchmal habe er einen | |
Albtraum. Wenn er innerhalb des Traums aufwacht und aus dem Fenster schaut, | |
ist alles gerodet, ein Jahrmarkt steht auf der Wiese, im Wald bauen sie | |
gerade eine Autobahn, und sein Garten ist voller Menschen, die Fragen | |
stellen. Er zieht die Schultern hoch. „Ich brauch keinen Nippes.“ Einmal | |
habe er einen Container in den Garten gestellt und unausgepackte | |
Umzugskisten einfach hineingeschmissen. Nichts davon habe er vermisst. | |
Seine Frau überlegt. Auf eines könnte sie hier aber doch verzichten: „Die | |
Mücken“, sagt sie und schlägt in die Luft. | |
3 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Ann Esswein | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Brandenburg | |
Ruhe | |
Straßenlärm | |
Der Hausbesuch | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Der Hausbesuch | |
Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Für immer Cowboy | |
Auf einer kleinen Ranch in einem brandenburgischen Dorf lebt Peter Lüttich. | |
In seinem früheren Leben war er Stuntmen, einer der ersten in der DDR. | |
Der Hausbesuch: Vom Ausziehen bedroht | |
Die Wohnung der Sperlings in Berlin-Neukölln steht voller Telefone. Bei | |
ihrem Kampf gegen die Gentrifizierung erreichen sie damit niemanden. | |
Der Hausbesuch: Dem Leben etwas zurückgeben | |
André Ritonnale und Mandy Barthel haben als Paar lange vergeblich versucht, | |
Kinder zu kriegen. Sie wären fast daran zerbrochen. Dann kam Frieda. | |
Der Hausbesuch: Er findet keine Worte | |
Weil sein Vater Jude war, wurde Gerd Wolf von den Nazis aus seinem | |
Heimatdorf am Bodensee vertrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er | |
zurück. | |
Der Hausbesuch: Mehr als ein Familienmensch | |
Sie ist junge Mutter, Auszubildende – und in der Mongolei fast ein Popstar. | |
Zu Besuch bei Namuun Ariunsaichan in Berlin-Weißensee. | |
Der Hausbesuch: Von der Liebe zum Lehm | |
Dorothee Weckmüller war Bauingenieurin und Inhaberin einer Schraubenfabrik. | |
Gerade renoviert sie ihr Haus mit Naturmaterialien. |