# taz.de -- Tag der Architektur Berlin: „Sanieren muss vor Neubau gehen“ | |
> Theresa Keilhacker ist die neue Präsidentin der Berliner | |
> Architektenkammer. Sie fordert mehr Nachhaltigkeit beim Bauen und Planen. | |
Bild: Kann bauen und freut sich auch an unbebauten Freiräumen: Theresa Keilhac… | |
taz: Frau Keilhacker, der Tag der Architektur 2021 steht unter dem Thema | |
Baukultur. Was verstehen Sie als Architektin konkret unter einer Kultur des | |
Bauens? | |
Theresa Keilhacker: Für mich ist das Thema nachhaltiges Bauen schon seit | |
vielen Jahren ein Schwerpunktthema. Den Dreiklang von Ökologie, Ökonomie | |
und sozialen Belangen will ich jetzt in der Architektenkammer auch weiter | |
stärken. Wenn man sein alltägliches Handeln danach richtet, diese drei | |
Themenfelder in eine Balance zu bringen, ist es eine super Richtschnur für | |
die Baukultur. | |
Das hört sich nach einem erweiterten Begriff von Baukultur an, der über das | |
bisherige Mantra „Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb“ hinausgeht. | |
Dieses Mantra ist nach wie vor wichtig. Eine ausgewogene Wettbewerbs- und | |
Vergabekultur ist ein Qualitätskriterium, das ganz am Anfang einer Planung | |
steht. | |
Auch der Bund hat das Thema Nachhaltigkeit entdeckt. | |
Der Bund hat das sogenannte Bewertungssystem nachhaltiges Bauen für seine | |
Neubauten seit vielen Jahren verankert. Ich persönlich bin der Meinung, | |
dass das auch für Bestandsbauten gelten sollte. Das alles muss auch in die | |
Wettbewerbs- und Vergabeverfahren einfließen und damit auch in das, was wir | |
unter Baukultur verstehen. | |
Gerade novelliert das Land Berlin seine Bauordnung. Wie viel Nachhaltigkeit | |
ist da enthalten? | |
Wir müssen alle Stellschrauben, die wir haben, auf Nachhaltigkeitskriterien | |
überprüfen, auch das Bauordnungsrecht. Da müssen wir versuchen, den Abriss | |
von Bestandsgebäuden für Neubauvorhaben zu erschweren. Sanieren muss vor | |
Neubau gehen. Das Thema bekommt in der Architektenkammer nun auch | |
Rückenwind durch die Architects for Future, die jetzt neu im Vorstand | |
vertreten sind. | |
Viele Eigentümer argumentieren, dass ihnen die Bewirtschaftung einer | |
Bestandsimmobilie nicht zuzumuten sei. | |
Deswegen setzen wir so viel Hoffnung in die Novellierung der Bauordnung. Da | |
fordern wir, dass bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die die | |
Eigentümer vorbringen, auch der Instandhaltungsrückstau einfließt. Auch die | |
[1][„graue Energie“ muss beziffert werden]. | |
Das heißt, Sie wollen auch den Lebenszyklus von Gebäuden berücksichtigen. | |
Wie viel Energie also bereits in einem Gebäude steckt, das abgerissen | |
werden soll. | |
Genau. Ein Bewertungssystem nachhaltiges Bauen auf den Bestand angewendet, | |
würde dies berücksichtigen, und das kann den ökonomischen Verwertungsdruck | |
etwas rausnehmen. | |
Als der Senat für die Bebauung am Checkpoint Charlie schon einen Letter of | |
Intent mit dem Investor unterzeichnet hat, haben Sie mit dem damaligen | |
Leiter des Denkmalamts Jörg Haspel und Ex-Kultursenator Thomas Flierl | |
[2][einen Brandbrief verfasst mit der Forderung], das ganze Verfahren | |
nochmal neu aufzurollen. Wie politisch wird die Berliner Architektenkammer | |
mit Ihnen sein? | |
Beim Checkpoint Charlie war es uns eine Herzensangelegenheit, diesen Ort | |
mit all seiner Besonderheit zu erhalten und weiterzuentwickeln. Natürlich | |
ist es erst einmal ungewöhnlich, wenn Architektinnen sagen, dass die | |
Topografie der Leere eine große Rolle spielt und dass das Weniger-Bauen an | |
dieser Stelle ein Mehr an Qualität ist. Aber ja, ich fasse meinen Beruf so | |
auf, dass er auch politisch ist. Das muss sich gar nicht in der Farbenlehre | |
der Parteienpolitik widerspiegeln, aber ich sehe es als Anspruch, dass wir | |
als Architektinnen und Architekten eine gesellschaftliche Aufgabe haben. | |
Vor einiger Zeit hat sich der Bausenator darüber beschwert, dass es kaum | |
spannende Wohnungsbauten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gibt. | |
Wie können Sie als neue Präsidentin die Unternehmen zu mehr Kreativität | |
ermuntern? | |
Fairerweise muss man sagen, dass der politische Auftrag lautete: Bauen, | |
bauen, bauen. Alles wurde nur nach Stückzahlen bewertet. Aber es spricht | |
einiges dafür, dass wir demnächst in eine Konsolidierungsphase eintreten, | |
wo sich die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wieder verstärkt den | |
baukulturellen Kriterien zuwenden können. | |
Gehören auch Freiräume dazu? | |
Natürlich. Bei Nachverdichtungen muss man schauen, ob es wirklich toll ist, | |
dass man da überall, bis es knirscht, hineinbaut und alle Außenräume, die | |
eine Qualität für die BewohnerInnen haben, kaputtmacht. Gerade in | |
Coronazeiten haben wir ja gelernt, wie wichtig diese Außenräume sind. | |
Deshalb müssen Freiräume neben der Architektur in Wettbewerben auch | |
gleichberechtigt sein. | |
Der Druck, neue Wohnungen zu bauen, wird aber nicht abnehmen, auch wenn | |
Berlin nicht mehr so schnell wächst. | |
Deswegen sollten wir nicht nur über Nachverdichtungen reden, sondern auch | |
über das Aufstocken des Bestandes. Das hat viele Vorteile, weil man auch | |
mit Leichtbau, sprich Holz, aufstocken kann. Aber gleichzeitig müssen da | |
viele Ämter beteiligt werden, und das macht es kompliziert. Leider ist da | |
in der jetzigen Koalition nicht so viel passiert. | |
Sie stehen selbst nicht nur für nachhaltige Architektur, sondern auch | |
nachhaltige Stadtplanung. Nun gibt es da zum einen Best-Practice-Beispiele | |
wie das Quartier am Blumengroßmarkt, das den Städtebaupreis 2021 gewonnen | |
hat. Auf der anderen Seite gibt es Quartiere wie am Spittelmarkt, wo | |
private Investoren wie Groth in den Erdgeschosszonen keine Gewerbeflächen | |
mehr bauen. Das ist ja keine Stadt mehr. Aber die Architekten spielen mit. | |
Das ist tatsächlich eine politische Aufgabe, von Anfang an zu fordern, dass | |
man diese Quartiere mit der entsprechenden Infrastruktur ausstattet. Dann | |
muss man aber auch öffentliche Nutzungen suchen, die man da ganz gezielt | |
reinbringt. Das ist auch eine Frage des Geldes. Und es muss auch viel | |
moderiert werden, um die richtigen NutzerInnen für den richtigen Ort zu | |
finden. Das gilt auch für die landeseigenen Unternehmen als Bauherren. Und | |
wenn Sie den Blumengroßmarkt ansprechen, ist er tatsächlich in vielerlei | |
Sicht vorbildlich, aber er ist bislang viel zu wenig kopiert worden. Es ist | |
fast das einzige Projekt in dieser Richtung. | |
Es war das erste Konzeptverfahren, das der Senat gestartet hat. Weitere | |
waren die Schöneberger Linse, aber da gab es viel Kritik, weil es zu wenig | |
Grundstücke etwa für Baugruppen und Genossenschaften gab. Was muss da | |
besser laufen? | |
Wir haben alle Konzepte und Evaluationen auf dem Tisch. Alles ist gesagt. | |
Gerade deshalb ist es erschütternd, wie wenig die soziale Bodenwende in die | |
Anwendung kommt. Da würde ich mir wünschen, dass der Finanzsenator oder die | |
Finanzsenatorin in Zukunft andere Prioritäten setzt. | |
Also auch mit dem Erbbauzins runtergeht. | |
Zum Beispiel. Wie positiv das sein kann, wenn alle an einem Strang ziehen, | |
zeigt das Haus der Statistik. | |
Was haben Sie sich als Präsidentin für Ihre Amtszeit vorgenommen? | |
Dass wir das Thema der besonders erhaltenswerten Bausubstanz stärker | |
angehen. Das Landesdenkmalamt kann nur ungefähr 3 Prozent schützen, für | |
mehr gibt es keine Ressourcen. Baukulturell interessant und | |
stadtbildprägend sind aber viel mehr Gebäude. Da ist es gerade eine Chance, | |
wenn die nicht abgerissen und auch nicht unter strengen Denkmalschutz | |
gestellt werden, weil man sie viel flexibler weiterentwickeln und | |
energetisch ertüchtigen kann. | |
Soll die neue Landesregierung noch einmal die Diskussion aufrollen, ob der | |
Rand des Tempelhofer Felds bebaut werden soll? | |
Aus meiner persönlichen Sicht nicht. Ganz klares Nein. Ich habe mich sehr | |
engagiert, dieses Feld freizuhalten, und dabei bleibe ich auch. Als | |
Alleinstellungsmerkmal ist dieser Freiraum ein Traum. Auf so etwas kann | |
Berlin stolz sein. | |
26 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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