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# taz.de -- Der amerikanische Modemacher Halston: Der Mann zwischen den Spiegeln
> Wenig weiß man in Europa vom amerikanischen Modemacher Halston. Das
> ändert jetzt ein Netflix-Biopic über den Meister im Drapieren.
Bild: Rebecca Dayan als Elsa Peretti und The Halstonettes in Episode 102 aus �…
Große Szene in Versailles: Umgeben von goldenen Ornamenten und Orgien von
Spiegeln des Palais Marie-Antoinette dürfen fünf der berühmtesten
amerikanischen Designer im heiligen Land der großen Mode ihre Kollektionen
zeigen. In prächtigen Shows versuchen die Amerikaner mit Alteuropas Pracht
zu konkurrieren.
Nur einer gibt dem Ganzen einen anderen Dreh. Es tritt eine kleine Frau mit
kurzen schwarzen Haaren, in grauer Hose, beigefarbenem Rollkragenpullover,
knallrotem Pulli über den Schultern, Borsalino auf dem Kopf auf und singt
und tanzt musical-like „Bonjour Paris“. Währenddessen kommen die Models,
drehen sich lässig und nach Gefühl wie im Serpentine Dance Loïe Fullers,
lassen ihre leichten, übergeworfenen Kleider und durchsichtigen Schleier
lebendig in der Luft schweben und sie singt und singt … Das Publikum tobt.
Das war 1973. Das Outfit der Sängerin Liza Minnelli entwarf ein Designer,
der in Europa nicht besonders bekannt ist: Roy Halston Frowick, seit 1966
einfach Halston.
Jüngst ist der Designer zum Helden eines fünfteiligen Biopics bei Netflix
geworden ([1][„Halston“, Regie: Daniel Minahan, Erstausstrahlung 14. Mai
2021]). Jede der fünf Folgen erzählt einen Abschnitt aus dem dramatischen
Leben des Modemachers, brillant gespielt von Ewan McGregor.
## Sein Pillbox-Hut wurde Jacky Kennedys Markenzeichen
Der hat zwar nicht die geringste Ähnlichkeit mit Halston, aber daran denkt
man nur zehn Minuten lang, dann verwandelt sich McGregor bis in die letzten
Feinheiten von Haltung, Stimme, Benehmen in Halston. Das kann man
nachprüfen, denn schon 2019 kam eine großartige Dokufiktion über Halston
heraus („Halston“, Regie: Frédéric Tcheng), in der viele, viele
Filmaufnahmen, Fotografien, Zeitzeugen-Interviews zu sehen sind – zwei
Stunden Halston total.
Was man von Halston in Europa kennt, ist wenig: meist nur den berühmten
Pillbox-Hut, den Jacky Kennedy zu ihrem Markenzeichen machte. Halston wurde
einer ihrer Lieblingsdesigner. Die ersten Produkte Halstons waren
tatsächlich Hüte für das Luxuskaufhaus Bergdorf Goodman, aber ob, wie die
Kitschlogik von Netflix es will, alles mit einer Kopfbedeckung aus
Hühnerfedern anfing, die der 6-jährige Junge seiner Mutter bastelte, bleibt
fraglich.
Halstons Aufstieg zum berühmtesten amerikanischen Designer der späten
1970er verdankt sich zunächst einmal seinem Talent zur sozialen Plastik.
Seit Anfang der 1960er schafft er sich, ähnlich der Factory seines Freundes
Andy Warhol, ein eigenes Milieu. Überall sammelt er Talente, ein junger
Dekorateur schmückt eine Auslage: schon ist er engagiert; ein Grafiker der
NY Times und Vogue, der Modeillustrator Joe Eula, wird engagiert, der zehn
Jahre lang wie Goethes Sekretär Eckermann immer und überall dabei ist und
alles sofort mitzeichnet, jede Idee, jeden Handgriff.
## Im Schwarm der Modells
Er macht Halston auch mit Liza Minnelli bekannt, die nicht nur in
Versailles ausschließlich in Outfits aus dem Hause Halston auftritt. Dazu
kommt eine große Riege von Frauen (von denen Halston als Homosexueller
ansonsten nicht so viel hielt): Elsa Peretti, von Anfang an Lieblingsmodel,
Buchhalterin, Mädchen für alles, die später für ihren Schmuck bei Tiffani
weltberühmt wird; oder Pat Ast, die korpulente Muse von Warhols Factory
(„Wenn schon eine wie ich in seinen Kleider so gut aussieht, was wird man
dann dann erst über die anderen sagen?“). Wenn aber Halston höchstselbst
anrauscht, dann nur in einem Schwarm von mindestens zwanzig Models, den
berühmten „Halstonetten“.
Von Halstons Arbeitsweise zeigt auch die Serie ein kleines Stück: Wie ein
rückenloses rotes Kleid für Minnelli direkt am Körper drapiert wird, aus
einem einzigen Stück Stoff, mit nur ein, zwei Nähten. Die Kleider, in der
Serie großartig nachgemacht, kommen schlicht und reduziert daher und
zugleich glamourös.
Aber erst die Doku zeigt es, how to do it. Das Fashion Institut of
Technology bewahrt eine große Menge Schnittbögen von Halston auf. Es sind
eigentlich keine Schnitte, sondern es ist meist ein einziges Stück Papier,
mit seltsamen Umrissen wie ein Puzzleteil, in dem Pfeile und kurze
Anweisungen notieren, wo und wie zu falten ist, wo zusammenzunähen, zu
knoten oder zu verdrehen. Halston scheint eine eigene Drapier-Sprache
entwickelt zu haben.
## Ein Gefühl von Feinheit
Drapage als Technik lag in den 1970ern in der Luft. Auch [2][Oscar de la
Renta] hatte eine eigene Drapierform mit opulent fließenden Stoffen
entwickelt, früher hatte [3][schon Coco Chanel drapiert] und Madeleine
Vionet war meist mit einer kleinen Holzpuppe und einem Stück Stoff
unterwegs. Halstons Spezialität war das Minimalistische – schlichte,
kaftanartige, lange Kleider wie Überwürfe mit wenig Nähten, umgeben von
transparenten Schleiern, die beim Tragen ein Gefühl von Freiheit gaben.
Die meist uni-farbigen Kleider bietet er in unendlich vielen verschiedenen
Farben an und die reichsten der reichen Damen kaufen gleich die gesamte
Farbpalette für ihren Kleiderschrank. Zur gleichen Zeit macht Halston ein
shirt dress, dessen Sensation sein Material ist: ein neuer, synthetischer
Stoff „Ultra Wildleder“ macht das Hemdkleid tragbar, feminin, supermodern.
Doch Mode will finanziert sein und soll was abwerfen. Den ganzen
amerikanischen Auftritt in Versailles, inklusive Flug und Hotel für alle
Crews, hatte ein amerikanischer Geschäftmann bezahlt: David Mahoney,
Direktor der Norton Simon Inc. Als Halston euphorisiert aus Paris nach New
York zurückkommt, umschmeichelt ihn Mahoney: „Meine business-Nase sagt mir,
das Ding wird ein Riesenerfolg! Verkauf mir die Lizenzen. Das wird dein
Fließband, du mußt nicht mehr nachdenken und das Geld fließt von selbst.“
## Der Teufelspakt
Er legt ihm einen Vertrag vor, nach dem Halston Aktien im Wert von 7
Millionen Dollar, ein stattliches Sümmchen aufs Konto, Prozente an den
Lizenzen bekommen und dafür zehn Jahre lang Kollektionen liefern soll. Ein
Teufelspakt. Denn dass er damit seinen Namen verkauft, seine Marke,
Laufzeit: bis ans Ende des Lebens, wird Halston erst später klar.
Damit beginnt ein Drama von shakespearschem Zuschnitt. Zunächst taucht der
Teufel auch in Person auf: ein drogen-, club- und partysüchtiger
Dekorateur, Prostituierter, der fortan als Halstons Lebensgefährte überall
dabei ist. Unschuldiger Name: Victor Hugo. Halstons Sekretärin erzählt im
Interview, wie sie aus einem großen Safe die Wochenration Koks zu besorgen
hatte und sich das bald zur Tagesration steigert. Schnell werden täglich
mehrere Tausend Dollar allein für den Stoff hinter allen Stoffen
ausgegeben. Folge: Konflikte, Zusammenbrüche, Rausschmiß von Elsa Peretti
und Ausgaben, die selbst Herrn Mahoney erstaunen.
Aber der hatte schon längst eine andere Idee: eine Kollektion für JCPenney,
die große amerikanische Warenhauskette. Halston entwirft nicht nur
Designerkleider, erschwinglich für die Middle-class-Amerikanerin, sondern
auch alles andere: Koffer, Gürtel, Stricksachen, Schuhe – überall steht der
Name „Halston für JCPenney“ drauf, bis zur Kollektion Halston 3. Ein
Riesenerfolg, der Teufelspakt wirkt.
Aber Mahoney will weiter: einsteigen in den Trend aller Trends –
Designerjeans! Da tickt Halston aus. Er zieht sich in sein Haus am Meer in
Montauk zurück und führt ein sündteures Leben, lässt sich Essen mit dem
Flugzeug aus New York kommen, Hugo wütet, erpresst ihn, die Zeit läuft und
eines Tages die Nachricht: Calvin Klein und Gloria Vanderbilt haben die
Designerjeans eingeführt!
## Die Firma verkauft
Währenddessen hat Mahoney hinter Halstons Rücken die Firma an die Esmarc
Corporation weiterverkauft, und als Halston ins New Yorker Büro kommt,
Olympic Tower, 22. Stock, 100 mal 26 Meter total verspiegelte Fläche,
stehen da ganz Unbekannte aus einer komplett anderen Branche. Aber auch
unter dem neuen Creative Director John David Ritz läuft alles unter dem
Namen Halston. Nur dass Roy Halston Frowick sein Name nicht mehr gehört. Am
Ende kriegt er Geld nur dafür, daß er ruhig bleibt und nicht weiter stört.
Teile aus den früheren Kollektionen werden für 25 Dollar das Stück
verkauft.
Dass der Versuch des Filmproduzenten Harvey Weinstein und Sarah Jessica
Parkers, mit „Halston Heritage“ 2007 ein Comeback zu starten, ein Schlag
ins Wasser wurde, dürfte nicht nur die Filmbranche wenig überrascht haben.
Die Marke Halston aber ist nicht umzubringen und gehört jetzt zu dem New
Yorker Unternehmen XCEL Brands.
31 May 2021
## LINKS
[1] https://www.netflix.com/de/title/80245103
[2] /Archiv-Suche/!278362&s=Oscar+de+la+Renta&SuchRahmen=Print/
[3] /Ausstellung-ueber-Coco-Chanel/!5728843
## AUTOREN
Marina Razumovskaya
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