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# taz.de -- Damien Hirst Ausstellung in Paris: Die Natur als Malerin
> Seit mehr als dreißig Jahren baut Damien Hirst seine Bilder aus
> Elementen. Die Pariser Fondation Cartier zeigt seine neueste Serie
> „Cherry Blossoms“.
Bild: Ausstellungsansicht Damien Hirst, Cherry Blossoms in der Fondation Cartie…
Über sechzig Wochen lang hatte er auf Instagram Videos und Bilder aus
seinem Atelier gepostet: der Künstler, betupft mit Farben, wie er riesige
Leinwände betupft, i[1][n einem Atelier groß wie ein Bahnhof]. Überall
stehen Farbtöpfe mit langen Pinseln und alles: Stühle, Kittel, Gesicht
voller Farbflecken, freiwillig oder unfreiwillig – Beschmutzung und
Bemalung? Vollständige Bilder gab es keine.
Erst seit Anfang Juli kann man das Ergebnis von drei Jahren Arbeit (plus
sechs Monate von Corona erzwungener Meditation darüber) in einem musealen
Kontext sehen: Damien Hirsts „Cherry Blossoms“, ausgestellt von der
Fondation Cartier Paris. Bis Ende des Jahres noch hängen im spektakulären
Glasbau Jean Nouvels, in dem die Fondation residiert, dreißig oft über drei
Meter große Leinwände, bemalt mit blühenden Kirschbäumen.
2013, auf der Kunstmesse Artfair in Moskau hörte man überall flüstern: Hast
du ihn schon gesehen, den Kopf, den [2][Totenschädel, um Himmels willen,
mit Diamanten besetzt]: „For the Love of God“ (2007)! Es war das Ereignis
der Kunstmesse, Höhepunkt des Hyperartifiziellen und genaue Allegorie des
neuen russischen Kapitalismus mit all seinen plötzlich Superreichen aus der
oligarchischen Mafia von der Rubljowka. Jetzt ist eine andere Zeit. Man
scheint zurückzukehren zum Handwerklichen und Einfachen. Also zum
Kitschigen und sogenannten Poetischen?
## Das Gemälde als Skulptur
Das Erstaunliche ist zunächst, dass ein Bildhauer wie Hirst überhaupt malt.
Das Gemälde als Skulptur, sein Format, seine Ecken, die Plastiztität des
Farbauftrags: Für den Bildhauer zählt die Herstellung des Gemäldes, die
Performance des Malens, der Akt, die Gesten des Malens. Farbauftrag mit dem
Pinsel oder mit der Spachtel, die Farbe geworfen, getupft, gespuckt? Die
Geste zählt.
Dann aber ist Hirsts gesamte Malerei einer einzigen Idee gewidmet, die er,
der schnellen Zeit zum Trotz, seit mehr als dreißig Jahren verfolgt,
geduldig, konzentriert, monton und in vielen Spielarten: Bilder aus
Elementen gebaut. Fünf sehr verschiedene Serien von Bildern entwickelte er
daraus, deren letzte die jetzt ausgestellte „Cherry Blossoms“ ist.
Bilder aus Elementen sind diesseits von Kunstgeschichte der technische
Stand der Dinge: Sämtliche Bilder, die wir heute sehen, sind picture
elements oder pix-els geschuldet, sie bestehen aus ihnen oder sind durch
sie hindurchgegangen. Doch mit Pointillismus – Seurat, Signac, Pissaro –
hat das wenig zu tun. Diese Bilder sind, technisch und unerbittlich, in
Zeilen und Spalten angeordnet und folgen eher der jahrtausendealten
Textiltechnik der Weberei.
## Minimalistische Orgie von eintausend Bildern
Zu den Bilderserien im Hintergrund von Cherry Blossoms gehören [3][zunächst
die „Spot Paintings“] (1986–2011), Bilder aus meist gleich großen,
einfarbigen Punkten aus einem riesigen Farbspektrum, angeordnet in
gleichmäßigen Abständen, in unterschiedlicher Größe, nach Zeilen und
Spalten, mit glänzendem Lack übergossen: eine minimalistische Orgie von
1.000 Bildern, fabriziert in Hirsts „Factory“. Hirst nennt es „the idea of
imaginary mechanical painting“.
Die Elemente können auch aus dem Bild springen und liegen dann als Haufen
von farbigen Pillen ausgeschüttet in der Ecke. Die zweite Serie im
Hintergrund von „Cherry Blossoms“ sind die Schleierbilder, „The Veil
paintings“ (CHK 2018): Bilder als Wolken von Farbpunkten, Farbstaubwolken,
Schwarmintelligenz ohne äußere Ordnung.
Es seien, so Hirst, Gemälde ohne jede „Rückversicherung (reliance) in schon
vorher organisierten Elementen“. Die dritte Serie elementarer Bilder heißt
„Visual Candy“ (1993), entstehend parallel zu dem [4][berühmten in
Formaldehyd präparierten Hai, der zerschnittenen Kuh mit Kalb]. Die
übereinander gelegten quadratischen Farbflächen entstammen explizit dem
Comic und der Werbegrafik.
Das alles spielt im Medium der Malerei: Farbe und Pinsel und Bearbeitung
der Farbauftrags auf Leinwand. Eine vierte, mehrere Jahrzehnte umspannende
Serie eröffnet einen anderen Schauplatz: die Natur. Schon Hirsts
skulpturale Installationen stehen dort. In der Serie der Butterfly
Paintings, am berühmtesten die „Psalm Paintings“ (The Complete Psalm
Paintings 2014), baut Hirst Bilder aus tierischen Elementen: den Flügeln
von Tag- und Nachtfaltern.
Das 18. Jahrhundert produzierte Bilder aus Schmetterlingsflügeln unter Glas
für Teetabletts, in Zeilen und Spalten sind sie im Museum aufgespießt und
in Enzyklopädien abgebildet. Die Muster der symmetrischen Flügel aus dem
Reich der Wirbellosen sind als Bildelemente jedes für sich hochorganisiert
und werden von Hirst noch höher organisiert, in sagenhaften Mantras. Das
genaue Gegenteil der Farbwolken von Veil Paintings.
## Aus Punkten werden botanische Größen
Die „Cherry Blossoms“ von 2020 sprechen erst vor diesem Hintergrund: Die
Butterfly Paintings weisen voraus auf sie und sie selbst weisen zurück auf
Spot und Veil Paintings. Die Elemente sind jetzt mit Pinsel dick und als
Kleckse aufgetragene Blütenblätter, die Baumblätter (Photosynthese und
Atmung) in Grün oder Braun, Ocker oder Dunkelrot mit der Spachtel.
Es setzt also eine Art Vergegenständlichung ein. Deren erstes Zeichen sind
die Zweige, die alle farbigen Elemente mit groben, dunkelbraunen Strukturen
durchziehen. Das Ortlose, Psychedelische der Elementbilder ist in Natur
integriert: Aus Punkten werden botanische Größen oder Organe.
Das ist etwas anderes als „die Idee des imaginären mechanischen Malers“,
und doch ist er da: Es handelt sich um die Natur. Gibt es für die
Facettenaugen der Bienen ein Schema für Bäume, nicht nur für einzelne
Blüten und Farben, sondern für ebendiese Struktur, Zweige und Blüten und
Blätter als Punkte zwischen dunklen Zweigen? Würden die Bienen Hirsts
Bilder annehmen?
24 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.fondationcartier.com/en
[2] /Archiv-Suche/!274455&s=For+the+Love+of+God&SuchRahmen=Print/
[3] /Form-und-Norm/!5011056
[4] /Archiv-Suche/!602285&s=Damien+Hirst&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Marina Razumovskaya
## TAGS
Bildende Kunst
zeitgenössische Kunst
Fondation Cartier
Paris
Natur
Museen
Mode
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