# taz.de -- Hutmacherin über ihren Beruf: „Mein Atelier ist sehr klein“ | |
> Auf dem Kopf passiert in Deutschland wenig. Dagegen arbeitet Britta | |
> Hildebrandt an: Sie ist Hutmacherin am Theater Mannheim. | |
Bild: Hat eine leidenschaftliche Beziehung zu Hüten: Britta Hildebrandt in ihr… | |
taz am wochenende: Frau Hildebrandt, gehen Sie eigentlich regelmäßig zum | |
Pferderennen? | |
Britta Hildebrandt: Ja, ich war vor einigen Jahren mal auf dem Pferderennen | |
in Baden-Baden und war total begeistert. Ich fand die Mischung aus „wir | |
haben uns heute schick gemacht“ und in diesem Outfit dann leger auf dem | |
Rasen zu sitzen und zu picknicken grandios. Natürlich habe ich den Anblick | |
von so vielen wunderschönen, vor allem auch ausgefallenen Hüten sehr | |
genossen. | |
Hüte kommen in unserem Straßenbild so gut wie nicht mehr vor. Ist diese | |
Kopfbedeckung inzwischen aus der Mode gekommen? | |
Die Mode ist heute extrem leger. Der Hut ist nur noch modisches Accessoire. | |
Er gehört nicht mehr zwingend zum Outfit dazu wie früher. Ich erinnere mich | |
sehr gut an eine Situation in meiner Kindheit in den 1970er Jahren. Meine | |
Großmutter kam aus Hamburg mit dem Zug angereist und die ganze Familie | |
holte sie vom Bahnhof ab. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie aus dem Zug | |
stieg: im Kostüm mit Hut, Handtasche und Handschuhen. Von Kopf bis Fuß eine | |
Dame! | |
Wer wiederum vor Kurzem von der englischen Königsfamilie mit welchem Hut | |
[1][zur Beerdigung von Queen Elizabeth II.] erschienen ist, das wurde in | |
den Medien schon hoch- und runterdekliniert und interpretiert … | |
Ja, in England hat das Hütetragen noch eine ganz andere Tradition. Ich | |
finde es schon ein bisschen schade, dass sich hier in Deutschland Menschen | |
nicht mal für einen Anlass wie eine Hochzeit so richtig schick machen und | |
dann einen Hut tragen. | |
Dennoch sind Sie Hutmacherin geworden. Wie ist es dazu gekommen? | |
Tatsächlich habe ich das Gefühl, mich hat ein unsichtbarer Faden dahin | |
gezogen. Ja, es ist ein Beruf, den viele gar nicht kennen und die dann ganz | |
erstaunt sind, dass es den noch gibt. Und so ging es mir auch. Ich habe ja | |
gar nicht gewusst, ob und wo man das Handwerk des Hutmachers überhaupt noch | |
erlernen kann. Und als ich mich dann damit befasst habe, hat mir das total | |
gut gefallen. | |
Zunächst haben Sie eine Ausbildung zur Damenschneiderin absolviert … | |
Ja. Und nach dieser Ausbildung und einem kurzen Studium der Kunstgeschichte | |
war ich auf der Suche, wie es jetzt weitergeht, und habe für eine | |
Theaterproduktion die Kostüme gemacht. Für das Kostümbild habe ich damals | |
ganz einfache Kappen genäht. Von der Form her waren alle gleich, aber jeder | |
Schauspieler, jede Schauspielerin ist anders damit umgangen, hat sie anders | |
aufgesetzt und hat anders damit gespielt: Der eine hat sie hochgeschlagen, | |
die andere hat sie geknüllt. Jede*r hat mit dieser einfachen Kappe etwas | |
gemacht. Das hat mich total fasziniert. Und da blieb praktisch mein Blick | |
auf dem Kopf hängen. | |
Wann war das? | |
Das war 1992. Es gab natürlich sehr wenig Ausbildungsplätze. Von einer | |
Bekannten habe ich dann erfahren, dass es in Hannover jemanden gibt, die | |
ein Atelier hat und die auch Praktikanten nimmt. Daraufhin bin ich für drei | |
Monate nach Hannover gegangen. | |
Und war das Praktikum dann so, wie Sie es sich vorgestellt hatten? | |
Ich stand bei Frau Schlue-Wende im Atelier und habe gewusst: Das ist mein | |
Ding. Durch meine handwerklichen Grundlagen, eben durch die Ausbildung zur | |
Schneiderin, konnte ich dort auch gleich mitarbeiten. | |
Und wie schnell haben Sie anschließend einen Ausbildungsplatz gefunden, | |
wenn es ja gar nicht mehr so viele davon gab? | |
Ich habe, als ich aus Hannover zurückkam, das war im Mai 1993, angefangen, | |
Bewerbungen zu schreiben. Im Herbst habe ich dann meine Ausbildung in | |
Ludwigshafen bei „Hutmoden Stephanie“ angefangen. Das war ein Fachgeschäft | |
mit Werkstatt mit einer Meisterin, zwei Auszubildenden und noch Aushilfen, | |
die im Verkauf tätig waren. Aufgrund meiner Schneiderlehre konnte ich die | |
Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen. | |
Wie viel Ausbildungsgehalt haben Sie damals bekommen? | |
Die Vergütung war sehr gering. Man bekam noch weniger als Friseure und | |
Floristen. Aber das war mir egal. Ich wollte das unbedingt lernen. | |
Wie viel war es denn genau? | |
Im ersten Lehrjahr waren es damals 200 Mark, im zweiten 250 Mark. | |
Davon kann niemand leben … | |
Ich hatte ein kleines, sehr, sehr günstiges WG-Zimmer mit Ölofenheizung und | |
habe am Wochenende immer in Cafés gejobbt und mir so die Ausbildung | |
finanziert. Ich weiß noch, als ein Freund von mir erfuhr, wie wenig ich | |
verdiene, meinte er, er würde für diese Summe nicht mal morgens aufstehen. | |
So habe ich nie gedacht. Ich war glücklich, dass ich diesen Beruf erlernen | |
konnte. | |
Wie ging es für Sie nach der Ausbildung weiter? | |
Ich wurde von meinem Ausbildungsbetrieb übernommen und habe noch ein halbes | |
Jahr in einer Filiale meiner damaligen Chefin in Mainz als Gesellin | |
gearbeitet. Das hat mir großen Spaß gemacht, aber ich hatte im Hinterkopf | |
immer den Wunsch, dass ich irgendwann ans Theater möchte. Eines Tages rief | |
mich eine Auszubildende an. Sie hatte in der Berufsschule erfahren, dass am | |
Theater Mannheim eine Hutmacherin gesucht wird. Dort habe ich mich dann | |
beworben. | |
Hatten Sie für Ihr Vorstellungsgespräch am Theater Mannheim einen Hut auf? | |
Ja, das weiß ich noch genau. Ich trug damals einen Nadelstreifen-Mantel und | |
habe mir dazu passend einen schwarzen Filzhut mit schwarz-weißen Blüten | |
gemacht. Als ich vom Bahnhof zum Theater gelaufen bin, haben sich die Leute | |
nach mir umgedreht. Mein Outfit war eigentlich gar nicht so auffällig, es | |
war ja weder bunt, noch hatte ich einen Papagei auf dem Kopf, aber einen | |
Hut zu tragen, ist immer etwas Besonderes. Und als ich später die Stelle am | |
Theater bekommen hatte, sagte mir mein damaliger Chef, dass ihn das | |
beeindruckt habe. | |
Inzwischen sind Sie seit mehr als 25 Jahren am Nationaltheater Mannheim | |
angestellt… | |
Das ist natürlich eine superlange Zeit, aber die Arbeit ist meistens sehr | |
abwechslungsreich. Es kommen ja die verschiedensten Kostümbildner ins Haus, | |
mit denen ich dann zusammenarbeite. Die haben zwar alle denselben Beruf, | |
aber sind natürlich ganz unterschiedliche Menschen. So kommt auch ein | |
bisschen die Welt zu dir. | |
Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus? | |
Mein Atelier ist sehr klein, den meisten Platz nehmen die Holzformen und | |
die Kisten mit meinen Arbeitsmaterialien ein. Dafür habe ich ein großes | |
Regal. Zum Arbeiten brauche ich eigentlich nur zwei Tische: einen | |
Arbeitstisch und einen etwas niedrigeren Tisch, an dem man die Hüte zieht. | |
Beschreiben Sie uns mal Ihren Arbeitsalltag … | |
Als Modistin hat man eigentlich meistens drei, vier Sachen gleichzeitig in | |
Arbeit. Ein Hut wird zuerst gezogen, dann muss die Form erst mal trocknen. | |
Also macht man in der Zwischenzeit etwas anderes und am nächsten Tag, wenn | |
der Hut trocken ist, nimmt man ihn von der Form und arbeitet daran weiter. | |
Das mag ich auch sehr gern an der Arbeit, dass man immer so viele | |
verschiedene Dinge macht. Manchmal kann ich einfach was wegarbeiten, aber | |
es gibt wirklich auch komplizierte Arbeiten mit einer schwierigen Form oder | |
Arbeiten, bei denen ich nicht weiß, wie ich überhaupt die Form konstruiere. | |
Oder ich hatte das Material noch nie in den Händen … | |
Was war das kurioseste Material, aus dem Sie schon einmal eine | |
Kopfbedeckung gefertigt haben? | |
Da fällt mir spontan eine Krone ein, für die ich Dutzende von | |
Schaumstoffstreifen mit Papier umhüllt, mit Kleister fixiert, angesprüht | |
und anschließend aufgefädelt habe. Eine andere Krone habe ich – in | |
Zusammenarbeit mit der Kostümmalerin – aus Federkielen gearbeitet, mit | |
Gewebefüller ergänzt und angemalt. Für die Musiktheaterproduktion | |
„Vespertine“, [2][eine Pop-Oper nach Björk], habe ich im Jahr 2018 | |
Kopfbedeckungen aus einem neoprenähnlichen Stoff angefertigt. Sie durften | |
nicht an Hut- oder Mützenformen erinnern. Es entstanden wolkenähnliche | |
Gebilde in verschiedensten Ausformungen, zum Teil mit Sehschlitzen. | |
Gibt es einen Hut, auf den Sie besonders stolz sind? | |
Die Hüte für die Opernproduktion „My Fair Lady“ von Frederick Loewe in der | |
Regie von Helmut Baumann und mit Uta Loher als Kostümbildnerin. Loher ist | |
Expertin für Jahrhundertwendekostüme. 2010 war das und das war wirklich ein | |
großes Ding. „My Fair Lady“ ist natürlich für jede Hutmacherin das Stück | |
überhaupt! Die Ascot-Szene: Der Vorhang ging auf und alle Damen des Chores | |
standen mit ihren wunderschönen Kostümen und Hüten da. Es ging ein Raunen | |
durch das Publikum. Es war wahnsinnig viel Arbeit und ich habe ein halbes | |
Jahr vorher damit angefangen, sonst wäre das gar nicht zu schaffen gewesen. | |
Es waren an die 100 Hüte, die durch meine Hände gingen. Es war eine | |
wirklich tolle Arbeit und ich bin stolz darauf. Man musste sich in jeden | |
Hut reindenken. Jeder war individuell. | |
Aber solche Highlights gibt es ja selbst im Theater nicht andauernd … | |
Klar. Die Arbeit am Theater hat eine enorme Bandbreite. Von Aufträgen wie: | |
„Fertigen Sie mir bitte diesen Hut exakt nach Vorlage, genauso wie auf dem | |
Foto“, bis zu: „Machen sie eine 60er- Jahre-Kopfbedeckung.“ Das ist dann | |
natürlich die absolute Freiheit, das ist toll, aber die habe ich ja nicht | |
immer. Man muss gerade am Theater sehr viel improvisieren und man muss sehr | |
viel Geduld haben. Und natürlich gibt es dort auch Durststrecken. Ich hatte | |
mal zwei Produktionen hintereinander, in der einen musste ich | |
Hochzeitsschleier machen und in der zweiten Trauerschleier. Da habe ich | |
dann wochenlang eben nur Schleier genäht. Da muss man wirklich die Zähne | |
zusammenbeißen und durch. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag die | |
Wahnsinnskreation mache, sondern ich mache natürlich auch ganz langweilige | |
Sachen. Das ist ja in jedem kreativen Beruf so, auch ein Architekt entwirft | |
nicht jeden Tag Traumhäuser. | |
Und wie gehen Sie mit solchen Durststrecken um? | |
Ich habe neben meiner Arbeit am Theater Mannheim selbst auch schon Kostüme | |
für Theaterproduktionen gemacht, habe an Modenschauen teilgenommen, mehrere | |
Kunsthandwerkermärkte organisiert. Also wenn mir im Theater mal langweilig | |
wird, dann fällt mir immer noch was ein. Im Theater bediene ich ja auch die | |
Wünsche und Vorstellungen der Kostümbildner. Und natürlich möchte ich auch | |
mal was Eigenes machen, also meine eigenen Ideen umsetzen. | |
Was unterscheidet die Arbeit am Theater von der in einem Hutsalon? | |
Das Besondere am Theater ist die Zusammenarbeit mit den anderen Gewerken. | |
Manchmal arbeite ich mit der Schuhmacherin zusammen, etwa wenn wir für den | |
Kopf irgendetwas aus Leder arbeiten müssen. Dann gehe ich mit meinem | |
Holzkopf zu ihr und bin ganz fasziniert, wie sie das Leder verarbeitet. | |
Sehr gerne arbeite ich auch mit der Kostümmalerin zusammen. Im Theater | |
tragen alle ihren kleinen Teil zur Produktion bei. Es ist einfach schön, | |
das Gesamtwerk am Schluss, bei der Premiere, auf der Bühne zu sehen. Im | |
Atelier ist das natürlich anders. Aber wenn man da einen neuen Hut kreiert, | |
den ins Schaufenster stellt und dann kommt jemand rein, weil er genau | |
diesen Hut im Schaufenster gesehen hat. Und dann probiert derjenige den Hut | |
an, er gefällt ihm und er kauft ihn. Das ist ein Wahnsinnsgefühl. | |
Welche Eigenschaften braucht man als Hutmacherin? | |
Geduld. Liebe zum Detail, Vorstellungsvermögen. Natürlich auch ein gutes | |
Gefühl für Proportionen und Improvisationstalent. Also am Anfang saß ich | |
manchen Nachmittag da und hatte Bauchschmerzen, weil ich gedacht hatte, ich | |
schaffe es nicht. Ich wusste nicht, wie ich eine bestimmte Form herstelle. | |
Aber bisher habe ich es immer geschafft. | |
Tragen Sie privat eigentlich häufig Hüte? | |
Zu festlichen Anlässen mache ich mir gerne eine Kopfbedeckung, meist einen | |
Fascinator. Ein Fascinator ist ein kleines, „faszinierendes“ Etwas, meist | |
aus Federn, Tüll oder Blumen gearbeitet. Es kann nur ein Haarschmuck sein | |
oder etwas größer in Form eines sehr kleinen Hutes. Das kommt bei meiner | |
Teenie-Tochter nicht so gut an. O-Ton: „Willst du wirklich mit dieser | |
Antenne auf dem Kopf zur Hochzeit gehen?“ | |
6 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Abschied-von-Queen-Elizabeth-II/!5879513 | |
[2] /Archiv-Suche/!1153840/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Theater | |
Mode | |
Selbstinszenierung | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Mode | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Dschinns“ von Fatma Aydemir im Theater: Die Geister der Vergangenheit | |
Die Familie ist ein schönes und wackliges Konstrukt in „Dschinns“. So hei�… | |
in Mannheim ein Theaterabend nach dem Roman von Fatma Aydemir. | |
Der amerikanische Modemacher Halston: Der Mann zwischen den Spiegeln | |
Wenig weiß man in Europa vom amerikanischen Modemacher Halston. Das ändert | |
jetzt ein Netflix-Biopic über den Meister im Drapieren. | |
Die Wahrheit: Hutbürgerliche Kost | |
Wie das Institut für vergleichende Formforschung herausfand, greift der | |
moderne Mensch immer wieder auf die Urform Hut zurück. Der Hut ist form- | |
und sinnverwandt ... |