Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kein Braunkohle-Stopp in Turow: Polen will weiter baggern
> Der Europäische Gerichtshof hat eine einstweilige Anordnung erlassen.
> Aber Polens nationalpopulistische Regierung weigert sich, sie umzusetzen.
Bild: Polens Regierung will am Kraftwerk Turow festhalten
Warschau taz | „Ungerecht“ sei die Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH), [1][den Braunkohle-Tagebau Turow sofort einzustellen],
schäumte Polens Premier Mateusz Morawiecki. „Wir werden uns mit aller Kraft
gegen diese falsche, unfaire und völlig unerwartete Entscheidung zur Wehr
setzen“, kündigte er an.
In Tschechiens Hauptstadt Prag hingegen knallten die Korken, denn der
Streit um den Turow-Tagebau und das dazugehörige Kraftwerk im Dreiländereck
Polen-Tschechien-Deutschland dauert schon Jahre an. Polen grabe ihnen das
Grundwasser ab, klagen die Anwohner:innen. Je weiter der Tagebau
fortschreite, desto weniger Wasser sei in den Brunnen, die Zehntausende
Menschen an der Grenze mit Wasser versorgten. Die Angst, dass die Brunnen
bei weiterem Betrieb des Tagebaus endgültig versiegten, sei begründet,
[2][gab eine Richterin in Luxemburg den tschechischen Kläger:innen
recht].
Doch noch ist es nur eine einstweilige Anordnung. Polen solle den
Braunkohle-Abbau bis zu einem endgültigen Urteil stoppen. Da den
regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS) aber
auch vorgeworfen wird, polnisches wie EU-Recht gebrochen zu haben, könnte
das endgültige Urteil ebenfalls ein „Stopp“ bedeuten. Denn die
PiS-Regierung verlängerte die Turow-Lizenz zum Braunkohle-Tagebau um
weitere 20 Jahre, ohne ein Umweltschutzverfahren durchzuführen, wie es die
Gesetze vorsehen.
Mit den direkt betroffenen Tagebau-Nachbar:innen im Dreiländereck, die
immer wieder gegen Dreck, Lärm und das Riesen-Loch von über 2.500 Hektar
direkt vor ihrer Haustür protestieren, strebte der PiS kontrollierte
Staatskonzern PGE weder einen Kompromiss an, noch nahm er überhaupt das
Gespräch auf. Dies aber verlangt sowohl das polnische wie auch das
EU-Recht, wie Naturschutz-Aktivisten und die Grünen immer wieder anmahnten.
Die einstweilige Anordnung des EuGH kommt also nicht so „unerwartet“, wie
Premier Morawiecki den Pol:innen weismachen will.
## Permanenter Rechtsbruch durch Regierung
In den letzten Jahren weigerte sich Polen mehrfach, Urteile des EuGH in
Luxemburg oder des Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg
anzuerkennen und umzusetzen. Folgen hatte dies bislang keine, bis auf den
Fall des Naturschutzgebiets Rospuda-Tal, durch das die PiS-Regierung eine
Schnellstraße auf Stelzen bauen wollte, [3][und den Bialowieza-Nationalpark
an der Grenze zu Belarus], in dessen Pufferzone der Staatsforst massive
Holzeinschläge plante. In beiden Fällen sorgte die Androhung hoher
Finanzstrafen für die Umsetzung der Urteile.
Doch seit auf Polen eine wahre Prozessflut zurollt, versuchen die
PiS-Politiker die europäischen Gerichte als „inkompetent“, „unzuständig…
oder gar „parteiisch“ abzuqualifizieren. Damit versuchen sie gegenüber der
eigenen Bevölkerung den permanenten Rechtsbruch und das Nichtbefolgen von
Gerichtsurteilen als „Verteidigung der Souveränität Polens“ rechtfertigen.
Genau in diese Kerbe schlägt Premier Morawiecki auch im Fall des
Turow-Tagebaus. Kurz nach dem Urteil sagte er: „Keine Entscheidung einer
europäischen Institution kann die polnischen Bürger:innen einem Risiko
aussetzen. Sie kann die Sicherheit der polnischen Bürger nicht gefährden.
Aus diesem Grund will ich ganz entschieden betonen, dass wir mit Sicherheit
nicht die Gesundheit, das Leben oder das normale Funktionieren der
polnischen Familien riskieren werden, nur weil jemand im Europäischen
Gerichtshof eine solche Entscheidung getroffen hat.“ Der Strom aus dem
Turow-Kraftwerk mache fünf bis sieben Prozent der gesamten
Energieversorgung Polens aus. Rund zwei bis drei Millionen Haushalte würden
mit Turow-Strom versorgt.
Der von der PiS kontrollierte Staatssender TVP stellte das Urteil als Teil
einer antipolnischen Verschwörung vor, in die Deutschland, die USA und
Russland verstrickt seien. Bald würden die Deutschen und Russen [4][unter
Billigung des amerikanischen Präsidenten Biden die Gaspipeline Nordstream
II fertigstellen] und prächtige Gasgeschäfte machen, während das polnische
Interesse, zur Flüssiggas-Drehscheibe Zentraleuropas aufzusteigen,
missachtet werde. Jetzt wolle der Europäische Gerichtshof Polen auch noch
dazu zwingen, seine Kohle-Verstromung einzustellen und stattdessen teuren
Strom aus Tschechien und Deutschland zu importieren.
22 May 2021
## LINKS
[1] /Beschluss-des-Europaeischen-Gerichtshofs/!5773935
[2] /Tschechien-verklagt-Polen-vor-dem-EuGH/!5749411
[3] /Abholzung-verstoesst-gegen-EU-Recht/!5499114
[4] /Umstrittene-Pipeline-Nord-Stream-2/!5767918
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
Braunkohle
Mateusz Morawiecki
Tschechien
EuGH
PiS
klimataz
Polen
Braunkohle
Schwerpunkt Klimawandel
Nord Stream 2
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Streit zwischen Polen und Tschechien: Dicke Luft im Dreiländereck
Der Zwist um das polnische Kraftwerk Turow trübte die Stimmung zwischen den
Nachbarn. Eine Einigung rettet jetzt auch den Einkaufstourismus.
EuGH verurteilt Polen: Millionenstrafe für Tagebau-Betrieb
Polen muss eine halbe Million Euro am Tag zahlen, entscheidet der EuGH.
Denn die Regierung weigert sich, den Kohletagebau Turow zu schließen.
Beschluss des Europäischen Gerichtshofs: Polen muss Kohleabbau stoppen
Der EuGH fordert die sofortige Stilllegung für das Kohlekraftwerk Turow. Es
könne sich negativ auf den Grundwasserspiegel Tschechiens auswirken.
Umstrittene Pipeline Nord Stream 2: Biden verzichtet auf Sanktionen
Obwohl der US-Präsident die Pipeline Nord Stream 2 ablehnt, will er von
Strafmaßnahmen absehen. Die Republikaner kritisieren das scharf.
Tschechien verklagt Polen vor dem EuGH: Klage gegen Kohle-Trutzburg
Das polnische Kraftwerk Turow liegt im Dreiländereck mit Tschechien und
Deutschland. Gegen den Braunkohleabbau hat Prag nun Klage eingereicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.