# taz.de -- Tschechien verklagt Polen vor dem EuGH: Klage gegen Kohle-Trutzburg | |
> Das polnische Kraftwerk Turow liegt im Dreiländereck mit Tschechien und | |
> Deutschland. Gegen den Braunkohleabbau hat Prag nun Klage eingereicht. | |
Bild: Schlote des Anstoßes: Braunkohle-Kraftwerk und -Tagebau Torow im Südwes… | |
PRAG taz | Über der jungen Neisse, gleich hinter den Lausitzer Bergen, | |
erhebt sich eine Festung aus Beton und schnaubt beharrlich hohe Dampfwolken | |
in den Himmel. Längst ist sie zur Dominante des Dreiländerecks geworden, in | |
dem [1][die Ausläufer Deutschlands, Polens und Tschechiens zu einer | |
europäischen Region zusammengeschmolzen sind]. Unter der Oberfläche rumort | |
es allerdings so gewaltig, dass erste Risse Leben und Zusammenleben in | |
diesem historischen Grenzland bedrohen. | |
Das polnische Kraftwerk Turow mag mit seinen sechs gewaltigen Kühltürmen, | |
die nachts wie aus roten Augen blinken, wie eine Festung anmuten. In | |
Wirklichkeit aber ist es die [2][Trutzburg einer bald vergangen geglaubten | |
Industrie]: dem Braunkohle-Tagebau. Anfang der 1960er Jahre in Betrieb | |
genommen, deckt Turow heute mit einer Leistung von 1.900 Megawatt acht | |
Prozent des polnischen Energiebedarfs. Seine Kohle schöpft das Kraftwerk im | |
anliegenden und gleichnamigen Großtagebau, einem 225 Meter tiefen Loch, das | |
sich 25 Kilometer entlang der deutschen Grenze zieht, bevor es im Süden auf | |
Tschechien stößt. | |
Knapp 28 Millionen Tonnen Braunkohle, ein Viertel der Gesamtproduktion, | |
fördert die staatliche Polska Grupa Energetyczna (PGE), Polens größter | |
Energieproduzent, hier aus dem Boden. Die Abbaugenehmigung lief zwar schon | |
im März 2020 aus. Da in Turow aber noch genug Kohle vorhanden ist, um die | |
kommenden zwanzig Jahre weiter zu baggern, erhielt PGE im Frühjahr 2020 vom | |
polnischen Staat die Erlaubnis, den Tagebau zu erweitern, um so bis 2044 | |
das Kraftwerk zu füttern. | |
Seine Nachbarn in Deutschland und Tschechien hat Polen damit vor vollendete | |
Tatsachen gestellt. Das Loch im Dreiländereck soll dann nicht nur 330 Meter | |
tief werden, sondern sich auf insgesamt 30 Quadratkilometer erstrecken, bis | |
es auf die Grenze zu Tschechien trifft. Tschechien geht das zu weit. | |
Tagebau senkt Grundwasserspiegel | |
Die Regierung in Prag hat am Freitag Klage vor dem Europäischen Gerichtshof | |
(EuGH) eingereicht. „Der weitere Betrieb gefährdet unsere Bürger, unser | |
Wasser und unsere Natur“, erklärte Umweltminister Richard Brabec den | |
Schritt, einen Erdwall an der Grenze zu errichten, der die Staubbelastung | |
soweit es geht auf der polnischen Seite der Grenze halten soll. Zudem | |
verlangen die Tschechen rund 40 Millionen Euro Entschädigung für die | |
Gefährdung der Trinkwasserversorgung durch den Abbau. | |
Damit hat sich die tschechische Regierung jetzt eingeschaltet in einen | |
Streit, der seit mindestens zwei Jahren über dem Dreiländereck schwelt. Der | |
Kreis Liberec (Reichenberg), der an den Tagebau grenzt, klagt seit Langem | |
darüber, dass der Grundwasserspiegel in der Region infolge des Tagebaus | |
immer weiter absinkt. | |
Im Dörfchen Uhelná, das dem Loch auf der anderen Seite der Grenze am | |
nächsten liegt, sind die Brunnen schon längst versiegt. Nebenan in | |
Václavice ist es inzwischen schon jedem passiert, dass plötzlich kein | |
Wasser mehr aus dem Hahn kam. Einer weiteren Studie zufolge sollen die | |
polnischen Ausbaupläne die Wasserversorgung von 30.000 Menschen in | |
Tschechien gefährden. Tausende von Anwohnern aus dem Kreis Liberec haben | |
inzwischen schon Protestschreiben nach Polen geschickt. | |
Das Grundwasser, das der Tagebau Turnow frisst, würde täglich 100 Zisternen | |
füllen, fand die Bürgerbewegung „Voda nebo úhlí“ heraus. Dass Polen tro… | |
der Diskussion in aller Heimlichkeit und ohne weitere Umweltschutzprüfungen | |
den Abbau verlängert hat, wurmt die Tschechen ganz besonders. Außenminister | |
Tomás Petříček flog deswegen letzte Woche eigens nach Warschau, um seinem | |
Amtskollegen ein Ultimatum zu stellen. | |
Deutsche Unterstützung unsicher | |
Eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission über den Tagebau hatte | |
Tschechien schon im September 2020 eingereicht. Die gilt als Vorstufe zur | |
Klage, um die es nun geht. Ob Deutschland dabei mitzieht, ist noch offen. | |
[3][In Zittau, das keine 20 Kilometer vom Tagebau entfernt liegt, klagt man | |
über ähnliche Grundwasserprobleme] wie auf der tschechischen Seite. | |
Schon vor einem Jahr hat die Stadt daher ebenfalls Beschwerde bei der EU | |
eingelegt. „Wir sehen uns dazu gezwungen, weil wir auf dem bisherigen Weg | |
der Umweltschutzveräglichkeitsprüfung nicht korrekt behandelt wurden“, | |
erklärte der Zittauer OB Thomas Zenker. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn im | |
Kreis Liberec hat er aber keine weitere Unterstützung. Tschechische Kreise | |
zweifeln daran, dass Deutschland sich der Klage anschließen wird. | |
Aber das ist vielleicht gar nicht nötig. Die EU-Kommission hat inzwischen | |
auf die Beschwerden reagiert. Sie erkennt in der Erweiterung eine | |
Unvereinbarkeit mit europäischen Richtlinien und wirft der polnischen Seite | |
vor, Grundsätze der loyalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit verletzt | |
zu haben. | |
1 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Deutsche-Grenzkontrollen-zu-Tschechien/!5750216 | |
[2] /55-Prozent-weniger-Treibhausgas-bis-2030/!5737555 | |
[3] https://www.greenpeace.de/themen/energiewende-fossile-energien/kohle/turow-… | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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