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# taz.de -- Streit zwischen Polen und Tschechien: Dicke Luft im Dreiländereck
> Der Zwist um das polnische Kraftwerk Turow trübte die Stimmung zwischen
> den Nachbarn. Eine Einigung rettet jetzt auch den Einkaufstourismus.
Bild: Das Kohlekraftwerk Turow des Energiekonzerns Polska Grupa Energetyczna
Prag taz | Der Dampf, der aus den Kühltürmen des polnischen Kohlekraftwerks
Turow an der Grenze zu Tschechien und Deutschland aufsteigt, hatte in den
vergangen Wochen und Monaten den kleinen Grenzverkehr im Dreiländereck
beeinträchtigt. Dicke Luft herrschte auch in den tschechisch-polnischen
Beziehungen, die zuletzt auch den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg
erreichte. Dort hatte Tschechien seinen großen Nachbarn im Nordosten im
Jahr 2021 dafür verklagt, den umweltpolitischen Neighborhood-Bully zu
geben.
Vor knapp zwei Jahren hatte das polnische Umweltministerium im Alleingang
beschlossen, für den Braunkohleabbau in Turow bis 2044 ein Loch auf bis zu
330 Meter zu vertiefen und dieses um weitere fünf Quadratkilometer zu
erweitern. Ohne Absprache mit Tschechien, dessen Grenze der Tagebau nach
einer Erweiterung fast berühren wird.
Schon jetzt klagen die Anwohner der grenznahen Gemeinden über
Grundwassermangel, Lärm, Staub, Lichtsmog und eine durchaus
furchteinflößende Aussicht auf das neuzeitliche Mordor Turow und seinen
gefräßigen Graben. Nachdem die polnische Regierung die Einwände Tschechiens
nicht anerkannt hatte – schließlich baggere man in Turow, um die
Energieversorgung des Landes zu gewährleisten, beschwerte sich die
tschechische Regierung des inzwischen geschassten Oligarchen Andrej Babiš
bei der EU.
Die reagierte auch relativ fix. Schon im Mai vergangenen Jahres verfügte
der Gerichtshof in Luxemburg mit einer einstweiligen Anordnung, Polen habe
den Tagebau einzustellen. Doch [1][in Polen wurde weiter gebaggert] – auch
als Luxemburg von Warschau Schotter für Kohle einforderte. Der nicht
EU-konforme Kohleabbau wurde [2][mit einer Strafzahlung von 500.000 Euro
belegt]. Pro Tag.
## Gräben aufreißen
Der Fall zeigt, wie eine einseitige Energiepolitik ohne Rücksicht auf
nachbarschaftliche Befindlichkeiten, Gräben aufreißen kann, die es zuvor
nicht einmal in Ansätzen gab. Die Grenze zwischen Polen und Tschechien ist
knapp 800 Kilometer lang.
Der Einkaufstourismus nach Polen gehört hier zum traditionellen Bestandteil
grenzüberschreitenden Lebens. Die polnische Retourkutsche auf die
tschechische Klage hatte daher einen gewissen Schneid: Mit einem ‚dann
brauchen die Tschechen auch nicht mehr bei uns zu trinken‘, hatten die
ersten Kneipen rund um Turow schon im Sommer reagiert. Zwar würde kaum
jemand in Tschechien je auf die Idee kommen, nach Polen zu fahren, um Bier
zu trinken. Doch die Androhung hatte ein gewisses Geschmäckle.
Bevor der Streit um Turow hoch- und weiter kochen konnte, kam es jetzt zu
einer Einigung: Polen darf weitermachen und zahlt Tschechien eine Art
Bagger-Ablass in Höhe von 45 Millionen Euro. Dafür zieht Tschechien seine
Klage in Luxemburg zurück.
Zwar fühlen viele Tschechen, besonders in der betreffenden Region, sich und
ihre Umwelt durch die neue Regierung von Feingeist Petr Fiala verraten und
verkauft. Andererseits kommt die Einigung gerade rechtzeitig, um den
Einkaufstourismus in der Region zu retten.
## Ein Mittel gegen die Inflation
Polen hat nämlich kürzlich seine Mehrwertsteuer auf einen Minimalsatz von
fünf bis acht Prozent gesenkt bzw. ganz abgeschafft, in der Hoffnung, so
der Inflation entgegen zu wirken. Mit dieser Maßnahme kommt Polen auch den
Menschen in der tschechischen Grenzregion entgegen, die zu den
strukturschwachen Teilen des Lande gehört.
Zwischen Liberec und Karvina strömen sie dieser Tage über die Grenze
(einigen sagen stürmen), um einzukaufen, ihren Tank zu füllen, zum Tierarzt
zu gehen oder sich einen neuen Haarschnitt zu gönnen. Fleisch ist derzeit
in Polen bis um bis zu zwei Drittel günstiger als in Tschechien, der
Preisunterschied für einen Liter Benzin kann bis zu umgerechnet 40 Cent
betragen.
Der Einbruch in der regionalen Wirtschaft ist schon jetzt zu spüren: Selbst
auf den Vietnamesenmärkten herrscht Flaute. Polen, könnte man meinen,
baggert Kohle nicht nur kurz vor der tschechischen Grenze ab.
12 Feb 2022
## LINKS
[1] /Kein-Braunkohle-Stopp-in-Turow/!5773999
[2] /EuGH-verurteilt-Polen/!5798008
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Polen
Tschechien
Kraftwerk
Kohle
Inflation
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