# taz.de -- Wahlen in Tschechien: Der nicht so milde Alte | |
> Tschechiens Ex-Premierminister Andrej Babiš, frisch freigesprochen, | |
> möchte bald wieder die Landesgeschicke lenken – diesmal als Präsident. | |
Bild: Ex-Präsident Andrej Babiš bei der Präsidentschaftswahl am 13. Januar | |
PRAG taz | Am Vorabend der großen Volksabstimmung wagte sich Andrej Babiš | |
aus der Deckung, in der er den beträchtlichen Teil seiner Wahlkampagne | |
verbracht hat. Denn bislang hatte er in sämtlichen öffentlichen | |
Vorwahldebatten als einziger von insgesamt acht Kandidat:innen durch | |
Abwesenheit geglänzt. | |
„Ich verstehe ja, dass die Medien eine Show aus den Präsidentschaftswahlen | |
machen möchten, aber ich finde, das Amt des Präsidenten, für das ich | |
kandidiere, hat sowas nicht verdient“, erklärte Babiš, als er seine | |
Kandidatur Anfang November vergangenen Jahres öffentlich bestätigte. Er und | |
seine Anschauungen seien den Wählern ja schon aus seiner Zeit als Finanz- | |
und Premierminister wohlbekannt, betonte der 68-Jährige, der zwischen 2013 | |
und 2021 die Regierungspolitik Tschechiens bestimmte. | |
Seit seinem Sprung auf die politische Bühne, den er vor knapp über zehn | |
Jahren mit Gründung seiner populistischen Ein-Mann-Bewegung ANO 2011 | |
bewerkstelligte, spaltet Babiš die tschechische Gesellschaft. Und bestimmt | |
jetzt, 15 Monate nach seiner Abwahl als Regierungschef, die | |
Präsidentschaftswahlen. | |
Sein Wählerpotential liegt dort, wo der noch amtierende Präsident Miloš | |
Zeman 2013 und 2018 gepunktet hat: in den Dörfern und Kleinstädten weit weg | |
von der Metropole Prag, bei all denen, die sich von der Prager Politik | |
vernachlässigt und missverstanden fühlen. Der anderen Hälfte der | |
Bevölkerung gilt Babiš als das absolute Politübel, das es in diesen Wahlen | |
zu verhindern gilt. | |
## Elite aus Mitläufern des kommunistischen Regimes | |
Nicht nur, weil seine unentschlossene, hilflose, aber populistische | |
Regierungspolitik während der Corona-Pandemie das ohnehin starke Misstrauen | |
in seine politischen Fähigkeiten weiter ausgehebelt hat, aber vor allem, | |
weil Babiš für viele Tschechinnen und Tschechen das repräsentiert, unter | |
das sie endlich einen Schlussstrich ziehen wollen: die Elite aus | |
Mitläufern, die das kommunistische Regime treu getragen und aus ihm – wie | |
auch aus dessen Fall 1989 – dank ihrer elitären Funktionen profitiert | |
haben. Wir wollen im Jahre 34 nach der Wende keinen Inoffiziellen | |
Mitarbeiter der tschechoslowakischen Staatssicherheit zum Präsidenten, | |
lautet das stärkste Argument gegen Babiš. | |
[1][Vom Vorwurf, er habe Subventionsbetrug begangen], wurde Babiš am Montag | |
vor den Wahlen von einem Prager Gericht freigesprochen. | |
Mit entsprechend frisch aufgeladenem Selbstbewusstsein stellte sich Babiš | |
dann am Vorabend des ersten Wahlgangs am Freitag schließlich im | |
Privatsender TV Nova doch seinen beiden favorisierten Mitbewerber:innen: | |
der Brünner Professorin und Expertin für Steuerrecht [2][Danuše Nerudová] | |
und [3][Petr Pavel], dem General a. D., dessen [4][Militärkarriere im | |
Aufklärungskader der Tschechoslowakischen Volksarmee] ihren Anfang nahm und | |
an der Spitze des NATO-Militärausschusses ihren Höhepunkt fand. | |
Auf seine schon fast typische chaotische Art, eingebettet in seinen | |
unverkennbar slowakischen Akzent, spielte der Oligarch, der an der Spitze | |
des tschecho-slowakischen Finanzadels steht, den international bestens | |
vernetzten Staatsmann auf der Seite des „kleinen Mannes“. | |
## „Einer muss ja aktiv werden“ | |
Als Präsident würde er jeglichen Steuererhöhungen hart entgegenstehen, auf | |
internationaler Bühne würde er seine freundschaftlichen Beziehungen zu | |
anderen Staatsoberhäuptern nutzen, um Frieden in der Ukraine | |
voranzubringen: „Zum Friedensgipfel könnten wir dann bei uns auf der Prager | |
Burg zusammenkommen,“ schwärmte Babiš, der zwei Tage zuvor zu Gesprächen | |
über die Ukraine von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron empfangen | |
worden war. „Einer muss ja aktiv werden und das organisieren und ich melde | |
mich dafür“, sagte Babiš selbstbewusst. | |
„Ein halbes Jahr lang hatte er sich aus öffentlichen Debatten | |
herausgehalten, damit wir die [5][aggressive Politik seiner Person] nicht | |
vor Augen haben“, kommentierte der Politologe Karel Komínek Babiš’ | |
Auftreten. Jetzt versuche er den milden Alten zu spielen, der die Probleme | |
der einfachen Leute versteht, so Komínek. | |
Sollten die Wahlumfragen zutreffen, wird sich im ersten Wahlgang | |
entscheiden, wer in der Stichwahl gegen Andrej Babiš antreten wird. Noch | |
ist das Anti-Babiš-Lager gespalten: General Petr Pavel gilt den einen als | |
rückgratlos und eigentlich nicht viel besser als Babiš. Der 61-Jährige | |
hatte seine Karriere als regimetreuer Gefreiter begonnen, was ihn, trotz | |
Abbitte, für viele unwählbar macht. | |
Dennoch werden ihm bessere Chancen zugeschrieben als Danuše Nerudová. Der | |
Steuerexpertin mangelt es zwar nicht an Sympathie, aber an Glaubwürdigkeit, | |
seitdem ans Licht kam, dass unter ihrer Leitung der Brünner | |
Mendel-Universität systematisch Handel mit Doktortiteln betrieben wurde. | |
Doch all diese Kratzer im Lebenslauf verblassen unter dem Schatten von | |
Andrej Babiš und seiner möglichen Wahl: Galt die Direktwahl des Präsidenten | |
bei ihrer Einführung vor zehn Jahren noch als ideale Kür des | |
Staatsoberhaupts, welcher von der tschechischen Verfassung als etwas | |
zwischen Ersatzkaiser und Grüßaugust definiert wird, so ist sie inzwischen | |
vor allem zur Wahl um das kleinere Übel geworden. | |
14 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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