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# taz.de -- Treibhausgasemissionen von Kommunen: Klimaziele für jedes Dorf
> Soll das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden, müssen auch deutsche
> Kommunen mitziehen. Doch die wissen teils gar nicht wie.
Bild: Earth Day März 2021: die Beleuchtung um den Kölner Dom wird abgeschaltet
Der Klimawandel lässt sich nur bekämpfen, indem sowohl groß als auch klein
gedacht wird, individuell und global, national und kommunal. Eine
entscheidende Rolle spielen also auch die Städte und Kreise. Doch wissen
die überhaupt, wie viele Abgase sie in die Luft blasen?
„Den Städten, Kreisen und Gemeinden muss klar sein, welchen Beitrag sie zur
Erreichung der Bundesziele leisten sollen: Wie viel Treibhausgase sie
ausstoßen dürfen, wie viel Strom sie selbst verbrauchen können und wie viel
sie für andere bereitstellen sollen“, sagt Benjamin Gugel, der am Institut
für Energie- und Umweltforschung (ifeu) in Heidelberg zu kommunalem
Klimaschutz forscht. Doch solche Vorgaben existieren nicht und auch mit dem
geänderten Klimaschutzgesetz der Bundesregierung werden sie wohl nicht
kommen.
Dabei sind es die Bundesländer, Städte und Landkreise, die maßgeblich
mitbestimmen, wer vor Ort Häuser dämmt, sich Solaranlagen aufs Dach packt
oder ob auf dem Land mehr Busse und Bahnen fahren. Aber wie hoch die
Emissionen lokal sind, erhebt keine zentrale Stelle, außer in
Schleswig-Holstein sowie mit Abstrichen in Baden-Württemberg.
Die taz hat daher bei allen 401 Landkreisen und kreisfreien Städten
nachgefragt, wie hoch ihr Treibhausgasausstoß ist. 387 Rathäuser und
Landratsämter haben nach wochenlangem Nachhaken geantwortet. Dabei wurde
deutlich: Wie hoch die eigenen Werte sind, wissen nur 239 der 401 deutschen
Landkreise und kreisfreien Städte (60 Prozent), wobei 45 (11 Prozent) ihre
Bilanz mit Daten von 2014 oder noch früher erstellt haben. 45 Kreise und
Städte erarbeiten gerade eine Treibhausgasbilanz und ein Viertel (102)
besitzt gar keine.
Dabei sollen in 30 Jahren von Deutschland nicht mehr Kohlendioxid, Methan
und Co. in die Atmosphäre gelangen, als auf deutschem Gebiet auch wieder
aufgenommen werden kann. Bis 2030 sollen die Emissionen laut
Bundesregierung um etwa 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Wollen die
Deutschen die verschärften Klimaziele einhalten, müssen sie ihren
Treibhausgasausstoß ohne Rechentricks pro Kopf in zehn Jahren fast dreimal
so stark senken wie in den vorigen Jahrzehnten. Gleichzeitig wird
angesichts von stillgelegten Kohlekraftwerken und immer mehr Elektroautos
die Nachfrage nach Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse deutlich
steigen.
## Fehlende Zahlen auf der Deutschlandkarte
Zwar gibt die Bundesregierung für Deutschland Ziele aus, wie viel
klimaschädliche Gase bis wann ausgestoßen werden dürfen und wie viel
Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen soll. Solche Vorgaben
bräuchte es aber für jede Kommune. „Nur so wird deutlich, was jede Region
beitragen muss, um die Ziele des Bundes 2030, 2040 und 2050 zu erreichen“,
sagt Klimaschutzforscher Gugel.
„Damit ist dann klar, dass alle aufgefordert sind, einen Beitrag zu
leisten“, so Margit Spöttle, Stabsstellenleiterin für Mobilität und
Klimaschutz in Augsburg. „Die fehlende Verzahnung von Länder- und
Kommunalebene führt dazu, dass jeder unabhängig von seiner Nachbarkommune
arbeitet.“
Dass viele Kreise auf der Karte keine oder nur alte Zahlen vorweisen, liegt
daran, dass die Verwaltungen für die Klimaschutzkonzepte und
Treibhausgasbilanzen eine Menge Daten zusammentragen müssen. Wie viele
Emissionen erzeugt das kommunale Gaskraftwerk und wie viel Strom verbraucht
die Straßenbeleuchtung? Auf welchen Dächern kann man Solaranlagen
installieren, wie viele Autos sind im Kreis unterwegs?
Wer sich darin einarbeitet oder es sich leisten kann, kundiges Personal
einzustellen, kann für das Rathaus oder Landratsamt Maßnahmen ableiten;
etwa, dass im Wohnviertel aus den 1950er Jahren verstärkt energetische
Sanierung oder Solaranlagen gefördert werden sollen. Mit den Zahlen können
Verwaltung, Bürger:innen und Politiker:innen auch überprüfen, ob
die Maßnahmen wirken, und die Kommunen können sich miteinander vergleichen.
Aber all das erfordert viel Zeit, mehrere Zehntausend Euro pro
Klimaschutzkonzept und politischen Willen, denn Klimaschutz ist keine
Pflichtaufgabe von Kommunen – er ist optional. Man muss ihn sich leisten
können wollen, so Spöttle aus Augsburg.
Zwar fördert der Bund seit 2008 Kommunen im Rahmen der nationalen
Klimaschutzinitiative, etwa bei der Umstellung auf LED-Lampen, der
Einstellung von Klimaschutzmanager:innen oder der Erstellung von
Klimaschutzkonzepten. Dabei sind in elf Jahren für 18.730 Projekte 715
Millionen Euro geflossen. Doch das reiche nicht, sagt Markus Mempel vom
Deutschen Landkreistag und fordert: „Die Länder müssen ihrer föderalen
Verantwortung gerecht werden und für eine ordentliche kommunale
Finanzausstattung sorgen, damit Maßnahmen des kommunalen Klimaschutzes
finanziert werden können.“
Denn bisher müssen sich Dörfer, Städte und Kreise im Wettbewerb miteinander
um befristete Fördermittel bewerben und die dazugehörige Bürokratie
bewältigen. „Wenn es um nachhaltige und tragfähige Lösungen geht, hat diese
Abhängigkeit keinen guten Effekt“, sagt Mempel. Doch für die Länder ist ein
Wettkampf attraktiver, denn sobald sie für alle Kommunen Klimaschutz als
Aufgabe festschreiben, müssen sie auch das Geld bereitstellen.
Vereinzelt unterstützen die Länder ihre Kommunen langfristig. In
Baden-Württemberg berechnet das Landesamt für Statistik bereits seit 2010
CO2-Emissionen auf Kreisebene. In diesem Jahr sollen zudem erstmals Strom-,
Wärme- und Wasserverbräuche aller Gemeinden erhoben werden. Dazu stellt das
Land 1,3 Millionen Euro bereit. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, NRW
und Schleswig-Holstein können die Kommunen außerdem kostenlos eine
Bilanzierungssoftware beziehen, damit die Landratsämter und Rathäuser ihre
Emissionen schneller und günstiger selbst ermitteln können.
Doch trotz Förderung, so Klimaschützerin Spöttle, hätten Bund und Länder in
der Vergangenheit viele lokale Klimaschutzkonzepte durchkreuzt: „In Bayern
ist die Windkraft zum Erliegen gekommen, nachdem die Landesregierung die
Abstandsregelungen verschärfte. Damit ist die mächtigste Kraftwerksart für
erneuerbaren Strom in Bayern für neue Anlagen nicht mehr nutzbar.“ Wer
plante, Windräder aufzustellen, musste neu planen.
## Photovoltaikbranche massiv eingebrochen
Ähnlich sei es auch bei der Solarenergie gewesen: „Die Photovoltaikbranche
ist durch die Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2012 massiv
eingebrochen. Dadurch mussten wir in dieser Zeit die Anlagen wie Sauerbier
anpreisen, denn die Wirtschaftlichkeit war nicht mehr gegeben“, sagt
Spöttle. „Bundesweit verloren wir 50.000 Arbeitsplätze und etliche Patente
nach Asien.“ Das sei inzwischen wieder anders, da die Modulpreise massiv
gesunken sind, dennoch habe es den kommunalen Klimaschutz zurückgeworfen.
Aber wenn es im Landkreis mit der Energiewende einmal läuft, macht sich das
auf den Bankkonten bemerkbar: Der Landkreis Rhein-Hunsrück in
Rheinland-Pfalz importierte bis 1995 seinen kompletten Strom. 2018
produzierte er jedoch das Dreifache seines Verbrauchs mit Sonne, Wind und
Biomasse. Die Pachteinnahmen aus der Windkraft in Höhe von rund 7 Millionen
Euro im Jahr nutzen die Gemeinden mitunter für Zuschüsse für
Energiesparmaßnahmen, den Wechsel zu erneuerbarer Energieversorgung bei
Privathaushalten oder für den kostenlosen Umtausch von Glühbirnen gegen
LED-Lampen.
Auch wenn Deutschland seine Klimaziele 2020 nur wegen der Coronapandemie
erreicht hat, sieht Margit Spöttle auch einige Lichtblicke: „Das
Bewusstsein für Klimaschutz ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen.
Viele Lokalpolitiker haben erkannt, dass dieses Thema Zukunftssicherung
bedeutet und nicht mehr von der Agenda verschwindet. Und auch Fridays for
Future hat die Akzeptanz nochmals gesteigert.“
Das reiche jedoch noch nicht, sagt Benjamin Gugel vom ifeu: „Es braucht in
jedem Fall steten lokalen Druck seitens der Bevölkerung, Klimaschutz
prioritär anzugehen. Und Bund und Länder müssen optimale Rahmenbedingungen
setzen, sodass sich Kommunen mit dem Thema beschäftigen wollen und müssen.“
Mit dem Bundestagswahlprogramm, das die SPD auf einem Bundesparteitag am 9.
Mai beschlossen hat, möchte sie diese Rahmenbedingungen schaffen. Zwischen
Bund, Ländern und Kommunen will die Partei verbindliche Ausbauziele für
erneuerbare Energien vereinbaren.
Doch nachdem das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das
Klimaschutzgesetz der Großen Koalition gekippt hat und am Dienstag der
Entwurf für die Novelle öffentlich wurde, scheint es bislang nicht
absehbar, dass sich bei regionalen Klimaschutzzielen vor der Bundestagswahl
noch etwas ändern wird.
19 May 2021
## AUTOREN
Julian von Bülow
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Kommunen
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