# taz.de -- Virologin über Kampf gegen Corona: „Es ist noch ein langer Weg“ | |
> Wirksame Medikamente gegen Covid-19 werden kommen, sagt Virologin Helga | |
> Rübsamen-Schaeff. Vorbei sei es mit der Pandemie aber erst, wenn ein | |
> Großteil geimpft ist. | |
Bild: Massenimpfung in Zagreb: Impfstoffe müssen künftig an den Virus angepas… | |
taz: Frau Rübsamen-Schaeff, wir haben nun eine wirksame Impfung, brauchen | |
wir überhaupt noch Medikamente gegen Covid-19? | |
Helga Rübsamen-Schaeff: Das Allereinfachste wäre, die Impfung funktioniert | |
100 Prozent und das Virus verschwindet von der Welt. Aber wir sind selbst | |
in Ländern mit hohen Impfquoten längst nicht bei null Infektionen, wir | |
wissen nicht, wie lange der [1][Impfschutz] hält und ob es resistente | |
Virusvarianten geben wird. Wir haben hier noch einen langen Weg als | |
Menschheit vor uns, und ich glaube, dass effektive Medikamente ein Teil | |
dieser Zukunft sind. | |
Es verging kein Jahr, da gab es die ersten Impfstoffe gegen Corona. Ist die | |
Medikamentenentwicklung so viel schwieriger? | |
Ein gutes Medikament gegen Viren zu machen ist heutzutage kein Hexenwerk | |
mehr. Wir können HIV inzwischen allein mit Medikamenten beherrschen, | |
Hepatitis C sogar heilen. Es gibt also sehr gute Beispiele für | |
hocheffektive Medikamente, die man auch als Alternative zum Impfstoff | |
entwickeln kann. Warum das so lange dauert: Erst einmal lag der Fokus | |
darauf, existierende Medikamente umzuwidmen für Corona. Wenn Sie ein | |
Medikament so maßgeschneidert machen möchten, dass die Virusmenge im Körper | |
sehr schnell reduziert wird und es auch möglichst keine Resistenzen | |
entwickeln kann, dann ist das schon ein längerfristiger Prozess. Oft | |
braucht man dafür einen Cocktail von mehreren Medikamenten. | |
War es falsch, zunächst nur auf die Impfstoffe zu setzen? | |
Das ist eine deutsche Perspektive. Die Amerikaner haben von Anfang an auch | |
viel Geld bereitgestellt, um die Medikamentenentwicklung zu unterstützen. | |
Die Firma Pfizer will schon im Herbst die Zulassung eines spezifischen | |
antiviralen Medikaments erreichen. Auch die Firma Roche will bereits im | |
Herbst so weit sein. Bei uns ist dagegen tatsächlich sehr stark auf den | |
Impfstoff gesetzt worden und wenig Geld in die Medikamentenentwicklung | |
geflossen. Das beginnt sich gerade zu ändern. | |
Das Asthma-Spray Budesonid wurde zuletzt als „Gamechanger“ in der | |
Behandlung von Covid-19-Erkrankten bezeichnet. Zu Recht? | |
Das ist eines der Medikamente, die nicht das Virus selbst angreifen, aber | |
die Symptome lindern. Es hilft den Patienten, besser zu atmen, und hat in | |
einer klinischen Studie sehr ordentliche Ergebnisse geliefert. Es hat einem | |
erheblichen Teil der Patienten eine frühere Genesung erlaubt. | |
Lassen Sie uns noch einmal zu den Impfungen kommen. Es gibt quasi | |
wöchentlich Meldungen zu Nebenwirkungen. Das verunsichert viele. Ist es | |
auch mehr, als Sie erwartet haben? | |
Es ist bei jeder Intervention zu erwarten, dass sie Nebenwirkungen hat. | |
[2][Die Anzahl der Nebenwirkungen, die wir sehen], ist in meinen Augen aber | |
sehr, sehr gering und deswegen spricht alles dafür, die Impfstoffe weiter | |
einzusetzen. | |
Die Briten haben damit begonnen, entgegen den Zulassungsstudien wild | |
durcheinanderzuimpfen, also eine Person mit verschiedenen Impfstoffen. Auch | |
hierzulande wird das inzwischen praktiziert. Und die Abstände zwischen | |
Erst- und Zweitimpfung werden ohne neue Studien verändert. Sind das nicht | |
Menschenversuche? | |
Auch ich würde zunächst einmal sagen, dass man sich an die | |
Zulassungsstudien der Hersteller halten sollte. Aber Großbritannien war mit | |
der neuen Variante, die Ende letzten Jahres auftauchte, sehr unter Druck | |
und hatte zum Teil 100.000 Neuinfektionen pro Tag. Es war bekannt, dass | |
eine erste Impfung auf jeden Fall eine Teilimmunität schafft, also hat man | |
so viele Menschen wie möglich einmal geimpft und keinen Impfstoff | |
aufgehoben. Natürlich ist da die Frage: Wenn ich nur teilimmun bin, kann | |
ich mich dann infizieren und kann das Virus neue Varianten bilden? | |
Es scheint bislang aber in Großbritannien keine neuen, dort entstandenen | |
Varianten zu geben, die neue Eingenschaften hätten. Die andere Frage: | |
Impfstoffe mischen. Ich weiß, dass dazu eine Studie läuft und mir wäre | |
wohler, wenn die Ergebnisse schon vorlägen und zeigen würden, dass diese | |
Mischung funktioniert. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch und eines muss | |
man sagen: Der Erfolg gibt den Briten Recht. | |
Hierzulande fühlen sich aber auch viele, als wäre die Schlussphase der | |
Pandemie erreicht. Teilen Sie dies? | |
Diese Frage muss man im Zusammenhang sehen: Im letzten Sommer hatten wir | |
ein paar Hundert Infizierte am Tag. Jetzt sind es immer noch über 10.000. | |
Ich glaube schon, dass die wärmeren Temperaturen, aber auch die Impfungen | |
und die jeweiligen Maßnahmen dazu beitragen werden, dass die Aktivität von | |
Corona sich über den Sommer reduziert. Es gibt durchaus ernst zu nehmende | |
wissenschaftliche Publikationen, die eine deutliche | |
Temperaturempfindlichkeit des Sars-Cov2-Virus gezeigt haben. | |
Aber angenommen, wir erreichen ein Level wie Großbritannien, das heißt | |
2.000 Infektionen pro Tag, und wir könnten uns auf diesem Level halten: | |
Dann wollen die Menschen auch reisen und könnten aus den Urlaubsgebieten | |
Viren und Virusvarianten einschleppen. Wann ist also die Welt mit Corona | |
fertig? Doch wahrscheinlich erst, wenn ein Großteil der Weltbevölkerung | |
geimpft ist. Und davon sind wir noch sehr, sehr weit entfernt. Ich glaube | |
also, dass es Erleichterungen geben kann, wenn wir bei 60 Prozent Impfung | |
angekommen sind, dass man aber weiterhin sehr wachsam bleiben muss. | |
Würde es da nicht helfen, den [3][Patentschutz von Biontech und Moderna] | |
aufzuheben? | |
Ich würde einen anderen Weg gehen. Es geht da ja nicht nur um eine Formel, | |
hinter dieser Technologie steckt eine Menge Wissen. Das geht nur | |
kooperativ. Die Firmen müssten sich überlegen, ob sie bei hohen Preisen, | |
die in der Ersten Welt gezahlt werden, manchen ärmeren Ländern Konditionen | |
geben können, die eine Produktion im Land erlauben, die das jeweilige Land | |
bezahlen kann und ihnen dann dabei helfen. | |
Kann man da wirklich auf die richtigen unternehmerischen Entscheidungen | |
hoffen, solange es in den reichen Ländern genug Geld zu verdienen gibt? | |
Ich glaube schon daran, das ist ja auch bei den HIV-Medikamenten passiert. | |
Gerade [4][bei den HIV-Medikamenten ist die Freigabe doch gerichtlich | |
durchgesetzt worden.] | |
Das stimmt zum Teil. Die Hersteller sind trotzdem bei relativ hohen Preisen | |
in der entwickelten Welt geblieben. Das hat aber auch dazu geführt, dass | |
genügend Geld dafür da war, dass die Medikamente weiterentwickelt werden | |
konnten. Denken Sie mal an die erste Generation: Das waren sehr toxische | |
Medikamente und das Virus wurde schnell resistent. [5][Dann gab es die | |
Kombinationstherapie, die die Resistenzen deutlich reduzierte], und dann | |
eine Tablette mit 3 Wirkstoffen. | |
Und heute gibt es eine Spritze mit Depotwirkung, die ein paar Monate hält | |
und die Behandlung weiter vereinfacht. Diese ganzen Entwicklungen mussten | |
die Firmen finanzieren und das wird mit Corona-Impfstoffen, aber auch | |
Corona-Medikamenten genauso sein. Ich bin sicher, es wird Anpassungen geben | |
müssen, auch an neue Varianten und um beispielsweise die Impfstoffe | |
stabiler zu machen für Länder, die keine perfekten Kühlketten haben. Da | |
liegt noch eine Menge Arbeit vor uns und das wird auch noch viel Geld | |
kosten. | |
Was glauben Sie, wird diese Pandemie, dieses riesige Interesse an | |
wissenschaftlichen Zusammenhängen, die Wissenschaftswelt verändern? | |
Wenn man mit Herz und Seele Wissenschaftler ist, dann arbeitet man rund um | |
die Uhr und braucht keinen, der einen „ins Kreuz“ tritt. So geht es mir | |
zumindest. Aber dieses riesige Medieninteresse bewirkt schon etwas und | |
macht auch auf das Problem aufmerksam, dass die Welt so vernetzt ist, dass | |
Pandemien immer auftreten können. Wir sehen aber auch, dass die Lösung in | |
der Wissenschaft liegt. Früher haben die Virologen kaum jemanden | |
interessiert. Ich könnte mir aber vorstellen, dass manch junger Mensch sich | |
heute sagt: Bevor ich eine andere Wissenschaftsdisziplin wähle, entscheide | |
ich mich für die Virologie. | |
20 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
Felix Lee | |
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