# taz.de -- US-Autorin und Poetin Wanda Coleman: L. A. Blueswoman | |
> Das Unrecht herausschreien und die eigene Stimme finden: „Ausgewählte | |
> Gedichte“ der Schwarzen Dichterin und Aktivistin Wanda Coleman. | |
Bild: Autorin Wanda Coleman in einer Aufnahme um 2005 | |
Wanda Coleman ist in Watts aufgewachsen, dem früher vornehmlich von | |
Schwarzen bewohnten Armenviertel von Los Angeles, das 1965 dem weißen | |
Amerika einen ziemlichen Schrecken einjagte. Die Plebejer proben den | |
Aufstand. Die Bilder vom brennenden Los Angeles gehen um die Welt, die | |
„Watts Riots“ werden zu einem Symbol für den schwarzen Widerstand. | |
Da ist Coleman 19 Jahre alt. Aber Straßenschlachten mit der Nationalgarde | |
sind nicht mehr nötig, um sie zu politisieren. „papa verließ Little Rock | |
als die rehwild-jagdsaison / eröffnet wurde. man war schuldig, weil man / | |
da war, schwarz war, männlich war / er wusste um sein temperament / und sah | |
in sich selbst den bedauernswerten / jungen mann, den man als warnung / für | |
das hochnäsige versprechen an / die nigger vor der kirche gehenkt hatte / | |
[…] / an diesem nachmittag stieg er in ein auto mit / kalifornischen | |
nummernschildern / und schaffte es rechtzeitig nach Los Angeles / um das | |
erdbeben von 1933 mitzuerleben“, schreibt sie in ihrem Gedicht „Für mich, | |
wenn ich ich selber bin“. | |
Und weiter: „mama verließ Hennessey mit dem zug / da es während des krieges | |
im westen / jobs für hausangestellte gab. weiße männer / nahmen das telefon | |
ab. ihre frauen übernahmen ihre / plätze in den fabriken und / | |
sitzungssälen. schwarze hände wurden / zum kochen, wäschewaschen und | |
kinderfüttern gebraucht / sie arbeitete beim filmstar / Ronald Reagan und | |
seiner frau Jane / kündigte aber nach einem jahr, weil sie ihr / eine | |
gehaltserhöhung verweigerten“. | |
Hier sind bereits die drei Fronten benannt, an denen Coleman kämpft: Sie | |
ist schwarz, arm und eine Frau. Den damit verbundenen Zurückweisungen, | |
Vernachlässigungen und am Ende auch Gefahren widmet sie viele Texte, | |
Essays, Erzählungen und immer wieder auch Gedichte. | |
## Kinder und Pornomagazine | |
Wie viele schwarze Frauen in jenen Jahren hat sie keine abgeschlossene | |
Ausbildung. Sie beginnt zu studieren, heiratet, bekommt zwei Kinder, trennt | |
sich und muss sich als Sekretärin und Kellnerin, eine Weile auch in der | |
Redaktion eines Pornomagazins verdingen. Für ein Studium bleibt da keine | |
Zeit mehr, aber sie schreibt, wenn die Kinder im Bett liegen. | |
Anfang der Siebziger ist Bukowski der Underground-Held in Los Angeles, und | |
sie setzt sich auf seine Fährte. „Ich ging zu seinen Lesungen und hing auf | |
den legendären Bukowski-Partys rum“, erzählt sie in einem Interview 2003. | |
„Aber es sollte nicht lange dauern, bis mir klar wurde, dass ich einen | |
radikal anderen Zugang zur Sprache hatte als Bukowski.“ | |
Tatsächlich merkt man seinen Einfluss noch deutlich in „Mad Dog Black | |
Lady“, ihrem ersten Gedichtband. Da ist sie bereits 33. „Morgens um sieben | |
haben sie an meine Tür geklopft“ liest sich wie eine ironische Kontrafaktur | |
eines Bukowski-Poems. | |
Aber indem sie die Rollen vertauscht, bekommt der Text einen | |
emanzipatorischen Subtext. „gegen mich lag ein haftbefehl vor /,wie heißen | |
sie? wo ist ihr ausweis?' / da ich halbnackt war, kamen sie nicht rein / | |
[…] /,okay, okay' / dann sind sie gegangen / ich ging zurück ins | |
schlafzimmer / du warst nackt, immer noch geil und neugierig /,was war das | |
denn gerade?' /,nichts' / ich lachte, zog den lumpen aus, den ich anhatte / | |
schlüpfte neben dich unter die decke / und wir fingen wieder an zu ficken / | |
aber es war nicht mehr dasselbe“. | |
## Motive der Emanzipation | |
Sie kann das genauso. Nimmt sich, was sie will, selbstverständlich. Das | |
Motiv der Selbstermächtigung findet sich häufig in ihren Texten. Als Frau, | |
aber eben auch als Person of Color. [1][Mit dem Furor und der | |
Großmäuligkeit der Zukurzgekommenen] schreit sie das Unrecht heraus und | |
versucht dabei ihre eigene Stimme zu finden, die sich keine Beschränkungen | |
auferlegen will. | |
Im Vorwort zu ihrer Auswahlausgabe „Greatest Hits 1966–2003“ konstatiert | |
sie, „die meisten meiner Gedichte setzen sich aus manchmal frenetischen, | |
manchmal lyrisch vollkommen freien Versen zusammen und sind gespickt mit | |
Anspielungen aus Literatur, Musik und Film und enthalten Neologismen, | |
Versatzstücke der deutschen, lateinischen, spanischen und jiddischen | |
Sprache und sind geprägt von verschiedenen Wendungen und Jargons, die mein | |
Interesse geweckt haben, sei es aus den Chefetagen der Konzerne oder aus | |
der Gosse.“ | |
Das ist eine ganze Menge, aber tatsächlich nicht geprahlt. Sie schraubt an | |
ihrer Sprache, erarbeitet sich eine mehrsprachige Eloquenz, die surreale, | |
bisweilen hermetische Bilder nicht scheut, aber auch vor keiner Trivialität | |
und Intimität zurückschreckt. Alles kann zum Gedicht werden – ein | |
Traumprotokoll, ein Szenario für einen Comic, ein Arztbefund, Eignungstest | |
oder ein Bluessong. | |
In „Geburt“ stenografiert sie die letzten Wochen vor der Entbindung mit. | |
„rückenschmerzen. geschwollene füße / kühlschrankgeliebter, heimliches | |
rendezvous nachts um 2 / ratschläge von experten, fragen von unfruchtbaren | |
/ die planeten befinden sich im skorpion / der gepackte koffer steht bereit | |
/ namen für ihn. namen für sie / (wie-auf-allen-schwangeren-lastet-auch-auf | |
/ mir-der-druck-das-perfekte-baby-zu-gebären) / sex? na klar. hat mal spaß | |
gemacht / es dreht sich. tritt. dreht sich / das da im spiegel bin | |
definitiv ich / wieso beeilt es sich nicht und kommt / weinkrämpfe. | |
vorwehen setzen ein / wird er da sein / wenn es soweit ist?“ | |
## Freiheit jeder Art | |
Ihr formale Offenheit und Vielgestaltigkeit ist Ausdruck der beanspruchten | |
„Freiheit beim Schreiben, ich will die Freiheit, jede Art der Sprache zu | |
nutzen – was immer ich für angemessen halte, um die Sache auf den Punkt zu | |
bringen“. In ihrer über mehrere Bücher fortlaufenden Serie „Amerikanische | |
Sonette“ nimmt sie gern Texte von anderen, Sun Ra, [2][Elizabeth Bishop] | |
[3][oder César Vallejo], als Folie, um sie zu überschreiben. Ein | |
intertextuelles Spiel, das mal Stimmenimitation, Hommage und auch mal | |
Polemik sein kann. | |
Im „Amerikanischen Sonett 79“ wird ihr Herman Melville zum Stichwortgeber | |
für einen Klagegesang über den sterbenden Sohn. „blaue blüten auf | |
bergkämmen, bleiche lippen und nägel / sohn, oh sohn / schwer ist die harfe | |
meiner wehklagenden seele / junge wird mann, geschändetes baby im schlund | |
des schicksals / fragil und schwach, vergangen wie ein unerbittlicher traum | |
/ oben klingt der abgrund heiter, unten / erlischt sein verstand im weißen | |
fieber / amme, oh amme, oh amme / […] / mutter, vater, bruder – alle | |
sprachlos / später. ich schneide ihm ein paar löckchen ab und küsse die | |
luft“. | |
Ihr zweiter Gedichtband „Imagoes“ von 1983 bekommt viel Resonanz. Man nennt | |
sie „L. A. Blueswoman“, auch wegen ihrer offensiven, das Publikum | |
herausfordernden Spoken-Word-Performances. Aber erst eine Dekade später | |
versteht sie sich als Profi. „1991, nach dem Tod meines Vaters, bin ich ein | |
großes Risiko eingegangen und habe, ermutigt durch meinen dritten, seit | |
zehn Jahren mit mir verheirateten Ehemann, meinen,Sklavenjob' als | |
Arztsekretärin aufgegeben“, schreibt sie in ihrer Autobiografie „The Riot | |
Inside Me“. | |
„Meine Gabe ließ sich nicht länger leugnen. Ich musste schreiben – komme, | |
was wolle. Ich war Mitte vierzig. Abgesehen von zeitweiligen Entlassungen, | |
war ich seit 1972 das erste Mal ohne regelmäßigen Gehaltsscheck.“ Es dauert | |
weitere zehn Jahre, bis sie außerhalb der Black Community und der | |
literarischen Insiderzirkel wahrgenommen wird, aber schließlich kennt sie | |
sogar die piekfeine Ostküsten-Intelligenz. | |
## Keine kalten Strände | |
Sieben Jahre nach ihrem Tod, sie stirbt 2013 mit gerade mal 67, hat ihr | |
Poetenfreund Terrance Hayes eine Auswahl aus ihren acht zu Lebzeiten | |
erschienen Lyrikkbänden getroffen. Jetzt erscheint diese Sammlung, | |
„Strände. Warum sie mich kaltlassen“, auch auf Deutsch in einer souveränen | |
Übersetzung von Esther Ghionda-Breger. | |
Man kann nun endlich auch hierzulande eine Dichterin entdecken, die ihre | |
Lyrik als Debattierfeld für soziale Gerechtigkeit, für [4][Black- und | |
Gender-Aktivismus] instrumentalisiert und die dabei trotzdem singt – wie | |
das schöne Titelgedicht dieser Auswahlausgabe zeigt. | |
„,heutzutage mache ich mir nichts aus stränden oder wellenreiten.' ich mag | |
/ den strand höchstens, wenn er kalt, abweisend und grau ist. dann spüre | |
ich / eine verbindung. oder nachts. wenn er eine düstere sprache spricht, | |
die / nur die erleuchteten verstehen und sich der alterslose mund mit | |
meinem / vereinigt. wenn weiche arme mit abgenutzter güte streicheln. oder | |
den / strand für arme, an dem die körper mein farbschema von / | |
geht-gerade-noch bis kohl-raben-schwarz widerspiegeln. zu hause zwischen / | |
fetten ärschen, bäuchen, hüften und brüsten / die mit einer freiheit | |
wackeln, die unsere herzen nie erfahren werden“. | |
10 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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