# taz.de -- Streit um Corona-Impfstoff: Patenter mit Patenten | |
> Corona-Vakzine sollen helfen und ihren Entwicklern Geld bringen – das | |
> führt zu Konflikten. Ein Lösungsvorschlag, um es künftig besser zu | |
> machen. | |
Bild: Corona-Patienten im Krankenhaus zur Heiligen Familie, Neu Delhi, 1. Mai 2… | |
Einen entscheidenden Beitrag des Kapitalismus zum Fortschritt sieht der | |
Historiker Werner Plumpe darin, dass Unternehmer:innen nicht nur eine | |
kleine Elite im Blick haben, sondern prinzipiell die ganze Gesellschaft. | |
Sie „koppeln ihre Reichtumserhaltung und -vermehrung an Investitionen in | |
die Produktion für den Massenkonsum der Menschen – und zwar alleine an den | |
Massenkonsum, denn der ältere Luxuskonsum war gar nicht bedeutend genug, um | |
solch eine Art des Wirtschaftens überhaupt zu ermöglichen“, schreibt der | |
Professor der Uni Frankfurt am Main in seinem Buch „Das kalte Herz“, einer | |
Geschichte des Kapitalismus. | |
Wenn Firmen Solaranlagen, Windräder, Züge, Lebens- oder Arzneimittel | |
entwickeln und verkaufen, kombinieren sie ihr Gewinninteresse mit der | |
Absicht, möglichst viele Menschen damit zu versorgen. Oft, nicht immer, | |
stellen sie gute Produkte her, die die Bedürfnisse der Kund:innen | |
befriedigen und deren Lebensqualität steigern – sonst würden diese die | |
Waren nicht erwerben. | |
Am Beispiel der Impfstoffe gegen Corona ist der Prozess wieder einmal zu | |
beobachten. Nicht einmal ein Jahr nachdem der Covid-Meteorit auf der Erde | |
einschlug, begann das Unternehmen Biontech aus Mainz mit der Herstellung | |
seines Vakzins, das bald wohl zwei Milliarden Menschen vor der | |
lebensbedrohenden Krankheit schützen wird. | |
[1][Diese unglaubliche Leistung hat ihren Preis.] Auf der Basis geltenden | |
Rechts beansprucht Biontech, sein Wissen über den Impfstoff zunächst | |
exklusiv zu nutzen, also andere Firmen dafür bezahlen zu lassen, wenn sie | |
das Mittel ebenfalls herstellen wollen. Die Möglichkeit, nicht nur aus den | |
Produkten, sondern auch aus den Patenten Geld zu machen, ist einer der | |
Gründe, warum die Firma und ihre Kapitalgeber sich jahrelang damit | |
beschäftigten, den Impfstoff zu entwickeln. | |
Das Risiko, Hunderte Millionen Euro auf dem Weg zum möglichen Produkt durch | |
Irrtümer, Fehler oder Pech zu verlieren, lassen sich die Investoren im | |
Erfolgsfall mit einer erheblichen Rendite vergüten. Wäre das nicht | |
garantiert, würden sie die Finger davon lassen. | |
Wenn US-Präsident Joe Biden nun dafür plädiert, die Patente der | |
Corona-Impfstoffe freizugeben, stellt er den Mechanismus in Frage, der | |
solche Produkte oft erst ermöglicht. Teilweise zerstört Biden die | |
Rendite-Erwartung der Unternehmen. Deshalb lehnen nicht nur die | |
Pharmahersteller und ihre Verbände den Vorstoß ab, sondern [2][auch die | |
EU-Kommission und die Bundesregierung sind nicht begeistert]. „Der Schutz | |
geistigen Eigentums ist eine Quelle von Innovation und muss es auch in | |
Zukunft bleiben“, sagte eine Regierungssprecherin. | |
Ungeachtet solcher grundsätzlicher Erwägungen spricht augenblicklich | |
dennoch einiges für die vorübergehende Freigabe der Patente – als | |
Notlösung. Vermutlich können die in Europa und den USA beheimateten Firmen | |
wie Biontech, Curevac, Moderna oder Johnson & Johnson ihre Investitionen | |
schon dadurch amortisieren und eine ausreichende Kapitalverzinsung | |
erzielen, dass sie die Impfstoffe in den reichen Ländern zum Marktpreis | |
verkaufen. | |
Die Freigabe im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und | |
Welthandelsorganisation (WTO) würde in erster Linie dazu dienen, Staaten in | |
Asien, Afrika und Lateinamerika schneller zu versorgen, die ihre | |
Bevölkerung bislang kaum oder gar nicht impfen. Denn sonst könnte der Druck | |
der Krankheit dort enorm steigen und über Ansteckungen mit mutierten Viren | |
möglicherweise wieder in den Norden zurückschlagen. | |
Dass die Notlösung jetzt sinnvoll erscheint, verweist aber auch auf | |
erhebliche Missstände der staatlichen Gesundheitspolitik in Deutschland und | |
anderen Ländern. Die Regierungen investieren zu wenig in das globale | |
öffentliche Gut Gesundheit und geben privaten Firmen nicht nur in der | |
Arzneimittelentwicklung zu viel Einfluss. | |
Ein Beispiel dafür ist die Unterfinanzierung der WHO. Weil die Beiträge der | |
Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um die eigentlich nötigen Ausgaben zu | |
decken, stützt sich die Organisation zunehmend auf Mittel anderer Geldgeber | |
– nicht zuletzt der Gates-Stiftung. Das schafft Abhängigkeiten von den | |
Prioritäten privater Spender und kann eine am Allgemeininteresse | |
orientierte Gesundheitspolitik unterminieren. | |
Auch in der Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen überlassen | |
Deutschland und die EU das Feld zu sehr privaten Unternehmen. Der Staat hat | |
sie mit viel Geld unterstützt, ohne aber ausreichende Bedingungen daran zu | |
knüpfen. | |
In einem offenen Brief an Biontech beziffern Ärzte ohne Grenzen und andere | |
Nichtregierungsorganisationen die öffentlichen Subventionen, die das | |
Unternehmen erhalten hat, auf knapp 500 Millionen Euro. Bei Curevac, dem | |
zweiten deutschen Entwickler eines Corona-Impfstoffes, sind es fast 600 | |
Millionen, die Hälfte davon als Kapitalbeteiligung. | |
Solche Subventionen sind sinnvoll, sollten aber mit zusätzlichen | |
Bedingungen verbunden werden. Diese könnten einerseits die Preise | |
betreffen, zu denen die Firmen die Produkte später verkaufen dürfen. | |
Andererseits ließe sich auch die Frage der Patente vorab besser regeln als | |
bisher. Verträge könnten etwa beinhalten, dass andere Unternehmen | |
verbilligte oder freie Lizenzen erhalten, wenn sie Impfstoffe in ärmere, | |
von einer Pandemie besonders betroffene Länder liefern. | |
Beispiele derartiger Ansätze gibt es schon: Eines ist das Programm C-Tap | |
der WHO, ein anderes die Organisation MMV, die auf Basis | |
öffentlich-privater Kooperation Malaria-Medikamente entwickelt. Würde das | |
Patentproblem rechtzeitig in Verbindung mit der Vergabe öffentlicher | |
Förderung geregelt, könnte man sich einen überraschenden Eingriff in den | |
Markt wie die nachträgliche, erzwungene Freigabe der Impfstoff-Patente | |
wahrscheinlich sparen. | |
Kapitalismus hat erhebliche Vorteile. Aber nur, wenn ihm Staaten und | |
internationale Organisationen gegenüberstehen, die die Anliegen ihrer | |
Bürger:innen vertreten. Neue Produkte entstehen aus privatem | |
Gewinninteresse. In bestimmten Situationen sind jedoch institutionelle | |
Arrangements nötig, die den schnellen Zugang benachteiligter | |
Bevölkerungsgruppen sichern. | |
Das hat mit Planwirtschaft nichts zu tun. Es handelt sich um einen fairen | |
Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Jetzt ist die | |
Zeit, solche Lösungen anzupeilen. Diese Pandemie ist noch nicht vorbei. Und | |
die nächste kommt irgendwann. | |
7 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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