# taz.de -- Die These: Ohne Narzissmus geht es nicht | |
> Im Wahlkampfauftakt war vor allem eines beeindruckend: die Größe der | |
> Egos. In jedem Spitzenpolitiker steckt eben ein wenig Trump. | |
Bild: Söder, aber auch Laschet, Baerbock, Habeck und Scholz – sie alle sind … | |
Mit der Verkündung der KanzlerkandidatInnen von Union und Grünen hat der | |
Wahlkampf rasant begonnen. Um Inhalte geht es dabei kaum, bislang ist vor | |
allem eines wirklich beeindruckend: die Größe der Egos aller Beteiligten. | |
Armin Laschet fehlt in weiten Teilen die Unterstützung seiner eigenen | |
Partei, vor allem an der Basis, trotzdem will er für die Union Kanzler | |
werden. Markus Söder kann nicht auf sich sitzen lassen, Zweiter zu sein, er | |
stichelt, wo er kann, und kündigt [1][in der Süddeutschen] schon mal an: | |
„Heute ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage.“ | |
SPD-Kandidat Olaf Scholz hält sich sowieso für den Größten, obwohl nicht | |
mal seine eigene Partei ihn als Chef haben wollte. Annalena Barbock | |
wiederum will trotz fehlender Regierungserfahrung direkt ins Kanzleramt. | |
Und Robert Habeck erzählt, wie [2][schmerzhaft und kränkend] es für ihn | |
ist, dass er nun nicht Kanzler werden kann, sondern „nur“ Minister. | |
Wie sehr müssen sie alle von sich überzeugt sein? Für wie unverzichtbar | |
halten sie sich? | |
## „Eitelkeit ist eine Politikereigenschaft“ | |
„Man braucht in der Politik ein gewisses Maß an Narzissmus“, sagt der | |
Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth, Autor des Buches „[3][Narzissmus und | |
Macht]. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik“. Es gebe | |
einen gesunden Narzissmus; auch in anderen Berufen wie der Schauspielerei | |
sei eine gewisse Selbstverliebtheit unabdingbar. Narzissmus könne aber auch | |
eine echte Störung sein, wie das etwa bei Trump zu besichtigen war. „Die | |
Übergänge sind fließend.“ | |
Die Fotografin Herlinde Koelbl hat für ihre Langzeitstudie „Spuren der | |
Macht“ SpitzenpolitikerInnen wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer über | |
Jahre begleitet, fotografiert und interviewt. Im Vorwort schreibt auch sie: | |
„Einig waren sich alle, Eitelkeit ist eine Politikereigenschaft, und sie | |
haben etwas mehr davon als andere Menschen.“ | |
Bei Trump war der Narzissmus plump, pathologisch, vermutlich sogar | |
bösartig. Gott sei Dank sind die Führungsleute hierzulande nicht so. Aber | |
in jedem und jeder SpitzenpolitikerIn muss eben doch ein klein wenig Trump | |
stecken, sonst kann man zwischen all den anderen Riesen-Egos nicht | |
bestehen. | |
Die Frage ist: Muss man das als PolitikerIn von Beginn an mitbringen, wenn | |
man nach ganz oben will? Oder wird man erst so im politischen Geschäft, ist | |
der Narzissmus eine Déformation professionnelle? Wenn jeden Tag zig Kameras | |
auf einen gerichtet sind, trägt das sicher nicht zur Bescheidenheit bei. | |
In einem [4][taz-Interview] vor über einem Jahr sprachen Baerbock und | |
Habeck offen über ihr jeweiliges Geltungsbedürfnis. Habeck erzählte von | |
einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden, er durfte die wichtigere Rede am | |
Ende halten. „Bäm, dann explodiert der Park.“ Annalena habe erduldet, dass | |
er ihr die Show stahl. „Umgekehrt erdulde ich, wenn sie auf dem Parteitag | |
in Bielefeld die bessere Rede hält.“ Auch Baerbock nahm auf die | |
Wahlkampfveranstaltung Bezug: „Im Park in Dresden kann es eben doch nur | |
einen geben. Das auszuhalten ist nicht einfach.“ | |
## Huch, da sind ja noch acht Milliarden andere Menschen | |
Als Nicht-PolitikerIn rieb man sich bei diesen Sätzen die Augen: So groß | |
ist bei aller Zweisamkeit die Konkurrenz? So schwer ist es für die beiden, | |
mal nicht die Nummer eins zu sein? | |
Die meisten erleben das ja so: Als Kind meinen sie, der Nabel der Welt zu | |
sein, alles beziehen sie auf sich. Irgendwann stellen sie dann fest: Huch, | |
da sind ja noch acht Milliarden andere Menschen, denen geht es genauso. | |
Eine einschneidende Erkenntnis, von da an ist man ganz anders in der Welt | |
verortet, als eine oder einer unter sehr, sehr vielen. | |
Unter SpitzenpolitikerInnen ist diese Einsicht offenbar nicht verbreitet. | |
Klar, man muss von sich selbst überzeugt sein, will man andere von sich | |
überzeugen. Gerade jetzt im Wahlkampf bleibt ihnen auch nichts anderes | |
übrig als sich aufzublasen, als seien sie unbesiegbar. Doch von der | |
Selbstgewissheit zur Selbstüberhöhung ist es nur ein kleiner Schritt. Wenn | |
Annalena Baerbock das Fehlen von Regierungserfahrung nun forsch als | |
Erneuerung verkauft, ist das dann ein selbstbewusster Move? Chuzpe, die | |
imponiert? Oder nicht doch vermessen? Wo verläuft die Grenze zwischen | |
gesunder Selbstliebe und übersteigertem Narzissmus? | |
Für Psychoanalytiker Wirth gibt es durchaus Unterschiede beim derzeitigen | |
politischen Spitzenpersonal. Robert Habeck etwa nimmt er in Schutz. Dass er | |
öffentlich einräume, gekränkt zu sein, deute nicht auf einen gestörten | |
Narzissten hin, der Unsicherheit kompensiere. „Das Reden über die eigene | |
Verletzlichkeit ist eher ein Zeichen, dass er stabil genug ist, damit | |
umzugehen.“ Söders Verhalten beschreibt er dagegen als „bösartig“. Dass… | |
mit seinen Attacken auf Laschet der Union schade, sei ihm offenbar egal. | |
„Ihm kommt es nur auf die persönliche Macht an, nicht auf die Sache.“ Der | |
Narzissmus sei bei Söder „sehr, sehr ausgeprägt“. | |
Die Eitelkeit sah schon Max Weber als Problem. In seinem berühmten Text | |
„Politik als Beruf“ schreibt er: „Einen ganz trivialen, allzu menschlichen | |
Feind hat der Politiker täglich und stündlich in sich zu überwinden: die | |
ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller | |
Distanz, in diesem Fall: der Distanz sich selbst gegenüber.“ | |
## Sehnsucht nach Vorbildern | |
Nun könnte man einwenden: Ist doch egal, wenn SpitzenpolitikerInnen | |
narzisstisch sind, Hauptsache, sie machen einen guten Job. Das haut aber | |
nicht hin. Denn es gibt ja doch eine Sehnsucht danach, dass die führenden | |
PolitikerInnen auch menschliche Vorbilder sind. Sie sollen nicht nur kluge | |
politische Köpfe sein, sondern tolle Menschen. „SpitzenpolitikerInnen | |
repräsentieren Werte, sie sind nicht nur Funktionsträger, man möchte sich | |
mit ihnen identifizieren können“, sagt Wirth. | |
Und da PolitikerInnen auf die Stimmen der WählerInnen angewiesen sind, | |
versuchen sie normalerweise, dem gerecht zu werden, sie wollen sympathisch | |
rüberkommen, sie geben sich bescheiden. Umso desillusionierender ist es, | |
wenn die Riesen-Egos dann so stark durchblitzen wie zuletzt. | |
Eine Ausnahme ist übrigens Angela Merkel. Sie ist sicher äußerst | |
machtbewusst und war im Laufe ihrer Karriere manchmal knallhart. Aber sie | |
erweckte nie den Eindruck, dass sie ihre persönlichen Interessen vor die | |
Sache stellt, dass sie sich gar an sich selbst berauscht. Falls doch, dann | |
zeigte sie es zumindest nicht. Das wäre auch ihren möglichen | |
NachfolgerInnen zu empfehlen. | |
1 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/markus-soeder-cdu-csu-armin-laschet-kan… | |
[2] https://www.zeit.de/2021/17/robert-habeck-gruene-bundestagswahl-klimapoliti… | |
[3] https://www.psychosozial-verlag.de/2152 | |
[4] /Gruenen-Chefs-ueber-Macht/!5651653 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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