| # taz.de -- Niederlage des grünen Co-Chefs: Respekt, Herr Habeck | |
| > Grünen-Chef Robert Habeck wird verhöhnt, weil er über die Niederlage bei | |
| > der Kanzlerkandidatur spricht. Doch er bricht mit alten | |
| > Männlichkeitsidealen. | |
| Bild: Manche nennen ihn „sonderbar“, andere „bullshitfrei“: Robert Habe… | |
| Kaum hatte die Zeit das Interview veröffentlicht, in dem Robert Habeck über | |
| [1][seine Niederlage gegen Annalena Baerbock] spricht, ging das | |
| korinthenkackerhafte Geningel auf Twitter los. Ein „Emotionsbrötchen“ sei | |
| Habeck und „wehleidig“, er könne es eben nicht ertragen, die zweite Geige | |
| zu spielen, und überhaupt: Warum kriegen Frauen, die einen Schritt | |
| zurückgetreten sind, keine langen Interviews, in denen sie erklären dürfen, | |
| wie es ihnen geht? | |
| Nun neigt Habeck mit Sicherheit zu Selbstbezogenheit und Pathos, und auch | |
| sein Einordnen ins Glied ist – wie alles bei den Grünen – perfekt | |
| inszeniert und Eigen-PR. Aber bei all dieser Mäkelei sollte doch der | |
| wichtigste Punkt nicht verloren gehen: Was Habeck gerade macht, ist | |
| vorbildlich und ehrenwert. Der Mann, dem seit Jahren ein übergroßes Ego | |
| vorgeworfen wird, stellt sich in den Dienst der Sache. Er macht das etwas | |
| melodramatisch, zugegeben, Habeck bleibt Habeck. Aber er macht es eben auch | |
| redlich, ehrlich und ohne södereske Gemeinheiten. | |
| In der Zeit räumt er eine „persönliche Niederlage“ ein. „Nichts wollte … | |
| mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen. Und das werde ich nach | |
| diesem Wahlkampf nicht.“ Der Montag, an dem er Baerbock als | |
| Kanzlerkandidatin vorschlug, sei der „schmerzhafteste Tag“ in seiner | |
| politischen Laufbahn gewesen. Das ganze Interview ist nicht larmoyant und | |
| selbstmitleidig, wie es manche sehen, sondern bullshitfrei, ehrlich und nah | |
| an der Realität. | |
| Es ist ja so: Baerbock und Habeck [2][haben die K-Frage] nicht harmonisch | |
| und freundschaftlich entschieden. Beide wollten den Job unbedingt, beide | |
| halten sich für besser als den oder die andere. Aber Baerbock hatte in | |
| diesem Duell die besseren Karten, um sich durchzusetzen – und das wird sie | |
| ihm unmissverständlich klargemacht haben. | |
| ## „Todeszone“ der Politik | |
| Vielleicht haben sie sich angebrüllt, vielleicht irgendwann eisig | |
| geschwiegen, man weiß es nicht. Aber Habeck hat nicht verzichtet, wie das | |
| Zeit-Team twitterte, mitnichten war es eine generöse Geste. Habeck musste | |
| verzichten, gegen seinen Willen und gezwungenermaßen. Das ist kein Drama, | |
| sondern der Normalfall, solche Wettbewerbe sind in der Politik die Regel. | |
| Aber, auch das ist eine Binse, natürlich lässt das Verletzungen zurück, | |
| auch Politiker sind Menschen. Habeck arbeitet seit Jahren daran, die Grünen | |
| ganz nach vorne zu bringen. Er bewarb sich bereits 2017 um die | |
| Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl – und unterlag nur knapp Cem | |
| Özdemir. Habeck hat wesentliche Teile des geistigen Fundaments gebaut, auf | |
| dem die Grünen heute stehen. | |
| Schon in seinem 2010 erschienenen Buch über linken Patriotismus lassen sich | |
| viele der Grundzüge nachlesen, mit denen die Grünen heute erfolgreich sind. | |
| Joschka Fischer hat das Kanzleramt mal die [3][„Todeszone der Politik“] | |
| genannt, eine eiskalte Welt, kaum Sauerstoff, überall Abgründe. Nun wird | |
| Baerbock die letzten Meter bis zum Gipfel vorangehen, sie wird – falls der | |
| Aufstieg gelingt – den prominenten Platz in den Geschichtsbüchern bekommen. | |
| Und Habeck sollte so tun, als lasse ihn das unberührt, wie manche | |
| Twitteristas finden? Das ist, als wünsche man sich von der Politik bruchlos | |
| erzählte Geschichten, aber nicht die ambivalente Wahrheit. Eine | |
| beschönigende Ausflucht hätte Habeck sowieso niemand geglaubt – und | |
| JournalistInnen hätten versucht, die „wahre Geschichte“ aufzuschreiben. | |
| ## Mittelalter weißer Mann oder Weichei? | |
| Die Kommunikation einer solch heiklen Angelegenheit ist schwierig, und | |
| vielleicht ist Habecks Ton nicht in allen Nuancen geglückt. Aber wenigstens | |
| versucht er nicht, seine Niederlage mit zuckrigem Tortenguss zu überziehen. | |
| Und die Versuchung war sicher groß. Die Grünen haben ja eine ängstliche | |
| Kontrollfreakhaftigkeit verinnerlicht, die fürchterliche Phrasen | |
| produziert. Verglichen mit dem sonstigen Storytelling setzt Habeck gerade | |
| auf Klartext, womit er die interessierte Öffentlichkeit ernst nimmt. | |
| Interessant ist, wie quer Robert Habeck zu den unterschiedlichen | |
| Rollenbildern des Männlichkeitsdiskurses liegt. Für linke Feministinnen ist | |
| er der mittelalte weiße Mann, der der Frau nicht schnell genug Platz | |
| gemacht hat. Für alternde Boomer ist er ein wehleidiges Weichei oder, wie | |
| Franz Josef Wagner für die Bild schrieb, „ein sonderbarer Mann“. | |
| Vorsichtige Gegenthese: Wir brauchen mehr von solch sonderbaren Männern. | |
| Habeck hat für seinen Umgang mit dieser Niederlage vor allem eins verdient: | |
| Respekt. | |
| 22 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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