# taz.de -- Völkermord an Armeniern: Nur die halbe Miete | |
> Dass Joe Biden das Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkennt, | |
> ist ein diplomatischer Erfolg. Konkret verändern wird sich deshalb | |
> nichts. | |
Bild: Der türkische Präsident Erdogan will von dem Völkermord vor gut 100 Ja… | |
Mit den USA, den meisten europäischen Staaten und Russland haben sich jetzt | |
fast alle relevanten Länder dazu durchgerungen, den [1][Völkermord an den | |
Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges | |
anzuerkennen]. Jahrzehntelang hat vor allem die armenische Diaspora in | |
Europa und den USA dafür gekämpft. Jetzt hat sie erreicht, was lange | |
überfällig war. Doch in der Praxis ist damit noch nicht viel gewonnen. | |
Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches bestreitet, dass es | |
[2][1915/16 einen systematischen Völkermord] gegeben hat, und verweigert | |
Entschädigungen und erst recht Rückgabe von Land oder gar ein Abtreten | |
„Westarmeniens“ an den heutigen Staat Armenien. Mit internationalem Druck | |
kann zwar einiges erreicht werden. Eine fundamentale Veränderung der | |
türkischen Politik wird es jedoch kaum geben. | |
Dazu kommt, dass mit Maximalforderungen, wie die Abgabe großer Gebiete der | |
Osttürkei, die von einigen armenischen Gruppen und Parteien erhoben werden, | |
allenfalls erreicht wird, dass sich die türkische Regierung weiter komplett | |
stur stellt. Es kann nur über den Weg des Gesprächs auch auf | |
nichtstaatlicher Ebene gehen, über den Abbau der gegenseitigen Feindbilder | |
und letztlich über einen politischen Dialog mit dem Ziel der Normalisierung | |
zwischen der Türkei und Armenien. | |
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, wie unklug es war, von der Türkei als | |
Vorbedingung für den Dialog zunächst die Anerkennung des Völkermordes zu | |
fordern, auch wenn das moralisch verständlich ist. Der erste Schritt muss | |
eine Öffnung der Grenze sein, um mehr Kontakt zwischen den beiden | |
Gesellschaften zu ermöglichen. Das wäre für Armenien auch ökonomisch | |
wichtig, denn das Land hat sonst kaum Zugang zu westlichen Märkten. | |
[3][Der Krieg um Berg-Karabach, den Aserbaidschan mit türkischer | |
Unterstützung gewonnen] hat, ließ die Feindbilder und Traumata in Armenien | |
aufleben. Doch so paradox es erscheint: Dieser Krieg könnte den Weg zum | |
Frieden geebnet haben. Aserbaidschan wird sich jetzt nicht mehr wie noch im | |
Jahr 2009 gegen eine Grenzöffnung und gegen Gespräche zwischen der Türkei | |
und Armenien stellen. | |
Wenn in Armenien im Sommer eine neue Regierung gewählt ist und sicher im | |
Sattel sitzt, könnte mit internationaler Hilfe ein neuer Anlauf gemacht | |
werden. Wie 2009 müssten die USA und die EU gemeinsam ein Gesprächsforum | |
schaffen, in dessen Rahmen sich Vertreter der Türkei und Armeniens | |
austauschen können. Am Ende steht dann vielleicht auch die Anerkennung des | |
Völkermordes durch die Türkei. | |
25 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Voelkermord-an-Armeniern/!5768581 | |
[2] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Der-Volkermo… | |
[3] /Krieg-in-Bergkarabach/!5728255 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Völkermord Armenien | |
Joe Biden | |
Schwerpunkt Bergkarabach | |
Aserbaidschan | |
Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Armenien | |
Genozid | |
Armenien | |
Schwerpunkt Bergkarabach | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Türkisch-armenische Annäherung: Frühlingsgefühle im Südkaukasus | |
Von den Verhandlungen erhoffen sich die Armenier:innen zahlreiche | |
wirtschaftliche Vorteile. Für die Türkei geht es eher um Strategisches. | |
Völkermord an Armeniern: Biden benennt das Grauen | |
Erstmals erkennt ein US-Präsident den Völkermord an. Die Türkei bestellt | |
den Botschafter ein. Trotzdem stehen die Zeichen auf Verständigung. | |
Völkermord an den Armeniern: Große Forschungslücken | |
Die türkische Leugnung des Genozids hat den Zugang zu Archiven und anderen | |
Quellen lange Zeit nahezu unmöglich gemacht. | |
Propaganda in Aserbaidschan: Ausgestellter Hass | |
„Park der Trophäen“ heißt ein neues Freilichtmuseum in der | |
aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Damit soll der Sieg über Armenien | |
zelebriert werden. | |
Sprachpolitik im Kaukasus: Russisch erobert Bergkarabach | |
Neben Armenisch könnte es bald eine zweite Amtssprache geben. Sollte das | |
Gesetz kommen, befürchten Kritiker*innen eine Russifizierung der | |
Region. |