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# taz.de -- Truppenabzug aus Afghanistan: Frucht der Scham
> Afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr sollen nach Deutschland kommen
> können. Das ist das Geringste, was die Bundesrepublik noch leisten kann.
Bild: Soldaten und ein Dolmetscher im August 2011 nahe Kundus
Sie standen vor dem Lager und schienen es zu bewachen, sie putzten den
Speisesaal, sie nahmen grinsend die abgefutterten Essenstabletts entgegen.
Sie kreuzten die staubigen Straßen des Lagers, die sie offenbar instand zu
halten hatten. Die am besten Ausgebildeten unter ihnen aber, diejenigen,
mit denen auch JournalistInnen auf Truppenbesuch zu tun bekamen, das waren
die Dolmetscher. Auf Bundeswehrdeutsch hießen sie „Sprachmittler“.
Oft genug waren sie auch Berater und Fremdenführer für die deutschen
Truppen. Weil die Situation im deutschen Außenposten Kundus ja bis etwa
2008 beinahe idyllisch war – im Innenhof der Schlafquartiere wurden Rosen
gezüchtet –, bereiteten die Sprachmittler für manchen kleinen Pressetross
auch mal afghanisches Essen zu. Sie machten sich über die zweitklassigen
importierten Zutaten lustig, die von den Nato-Caterern verwendet wurden.
Der Lohn der afghanischen Ortskräfte war gemessen am Sold beschämend, aber
nach afghanischen Maßstäben fürstlich. Jedenfalls war es ein Vielfaches
dessen, was zum Beispiel ein afghanischer Polizist bekam, was wiederum weit
mehr war, als ein Lehrer hatte. Es könne, so wurde erläutert, natürlich
nicht Zweck eines solchen Auslandseinsatzes sein, die Preise im Land zu
verderben: Die afghanische Ökonomie, hieß es, müsse ja auch ohne die
Nato-Truppen wachsen und gedeihen, logisch.
Es war ein nur mittelfrommer Wunsch. Denn so eine ausländische
Truppenpräsenz verdirbt die Preise vor Ort in jeder Hinsicht, auch die
Preise der Sicherheit von Leib und Leben. Der Schutz für die afghanische
Zivilbevölkerung, von dem in den Parlaments- und Präsidentenansprachen der
Nato-Staaten so viel die Rede war – in den Ohren vieler Afghanen (und
mancher Afghaninnen) war er ein echtes, persönliches, an sie gerichtetes
Versprechen.
Natürlich wussten sie, dass sie für die Taliban zum Feind würden, wenn sie
an der Seite der Briten, Amerikaner oder Deutschen arbeiteten. Natürlich
hofften sie, auch so gut geschützt zu werden wie Briten, Amerikaner und
Deutsche ja immer und überall geschützt werden – tausendfach besser, wenn
man die Todeszahlen in Afghanistan zugrunde legt. X-fach gefährdeter sind
sie nun, da die US-Amerikaner und damit die komplette Nato ihren
[1][Rückzug ohne weitere Bedingungen, also auch ohne Friedensvertrag mit
den Taliban angekündigt haben].
Es ist deshalb erst einmal erleichternd, dass die deutsche
Verteidigungsministerin die sogenannten [2][Ortskräfte nicht vergessen
hat]. „Ich empfinde es als eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik
Deutschland, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen,
nicht schutzlos zurückzulassen“, gab Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
gleich in ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme zum Abzug zu Protokoll.
Das Innenministerium plant laut Welt am Sonntag Anlaufstellen, wo
Ortskräfte die Möglichkeit haben sollen, „auch innerhalb von zwei Jahren
nach Beendigung ihres Dienstes ihre Gefährdung anzuzeigen“.
Das sind immerhin andere Töne als noch 2013. Damals zog der Löwenanteil der
Truppen ab. Während andere Nato-Staaten umstandslos erklärten, sie nähmen
ihre Ortskräfte mit, wenn diese wollten, begann in Deutschland ein
peinliches Gewürge zwischen Verteidigungs- und Innenministerium darum, wer
denn nun als wie gefährdet anzusehen sei, und ob dies dann auch gleich die
ganze Familie beträfe.
Es musste erst ein ehemaliger Sprachmittler in Kundus ermordet werden, bis
politische Bewegung in die Sache kam. 781 Ortskräfte plus Familien seien
seit 2013 in Deutschland aufgenommen worden, gibt das
Verteidigungsministerium an, darunter auch solche, die etwa für das
Entwicklungsministerium gearbeitet hätten. Dies gilt als großzügig. Doch
noch 2018 demonstrierten vor den Toren des deutschen Lagers in
Masar-i-Scharif ehemalige Ortskräfte, die sich zu Unrecht vom
Aufnahmeprogramm ausgeschlossen sahen.
Nun direkt zuzugestehen, dass die Bundesrepublik Verantwortung für ihre
afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort trägt, heißt
übersetzt: Wir gehen, wir hinterlassen das Chaos, das ihr kennt. Aber
wenigstens ein paar Hundert von euch lassen wir nicht im Stich. Alle
anderen bleiben ja wohl da, wo sie sind – egal, was jetzt hier wird.
Es ist eine Frucht der beschämenden Umstände, unter denen die Nato abzieht.
Eine bittere Frucht.
20 Apr 2021
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## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
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