# taz.de -- Kliniken an der Belastungsgrenze: Intensivbetten werden rar | |
> Die Pandemie bringt das Gesundheitssystem an den Rand der | |
> Leistungsfähigkeit. Noch sind Intensivbetten in Reserve, doch | |
> Pflegepersonal fehlt. | |
Bild: Intensivpflegerinnen betreuen einen Covid-19-Patienten auf einer Intensiv… | |
Berlin taz | Richtung 5.000 steigt die Zahl der Coronapatient:innen, | |
die auf [1][Intensivstationen] behandelt werden. Das ist eine erschreckend | |
hohe Zahl. Und doch auch eine erstaunlich niedrige, verglichen mit den | |
massiven Konsequenzen, die die Bundes- und Landesregierungen aus ihr | |
ableiten. Wenige Tausend belegte Intensivbetten reichen aus, das | |
Gesundheitssystem der viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt an den Rand | |
der Überlastung zu bringen. | |
Die zunehmende Zahl der belegten Betten auf den Intensivstationen der | |
Krankenhäuser ist eines der zentralen Argumente für die | |
Kontaktbeschränkungen, über deren Verschärfung die Öffentlichkeit nun zum | |
dritten Mal während der Coronapandemie diskutiert. Auf dem Höhepunkte der | |
zweiten Welle im vergangenen Januar behandelten die Mediziner:innen | |
fast 5.800 Covid-19-Schwerkranke. Damit sei die Belastungsgrenze des | |
Systems nahezu erreicht, hieß es. Aktuell warnt die Vereinigung für | |
Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dass diese Linie schon bald | |
überschritten werden könnte. | |
Wäre es dann nicht schlauer, mehr Plätze für intensivmedizinische | |
Behandlung bereitzuhalten? Warum passiert das nicht? Und wäre es bei | |
besserer Versorgung möglich, die Kontaktbeschränkungen zu lockern? | |
Insgesamt gibt es in den bundesdeutschen Krankenhäusern rund 34.000 | |
Intensivbetten. Für knapp 24.000 davon steht Pflegepersonal bereit. Weitere | |
ungefähr 10.000 Betten sind in Reserve. Würden diese ebenfalls gebraucht, | |
müssten die Pfleger:innen aber aus anderen Abteilungen abgezogen werden, | |
was die dortige Versorgung verschlechtert. | |
Unter normalen Umständen reichen diese Kapazitäten aus. Wenn aber Tausende | |
Coronapatient:innen hinzukommen, droht die Zahl der freien Betten so zu | |
sinken, dass möglicherweise auch nicht mehr alle Schwerkranken versorgt | |
werden könnten, die an Herzinfarkt, Krebs oder anderen Krankheiten leiden. | |
Diesen Überlastungszustand wollen die Regierungen vermeiden, indem sie | |
Kontakte und Ansteckungen mit dem Coronavirus zu verringern versuchen. | |
## Überlastung sei politisch erzeugt | |
Allerdings sei die drohende Überlastung des Gesundheitssystems politisch | |
erzeugt, kritisiert die Organisation Attac. „Wir haben zu wenig | |
Krankenhausbetten für den Notfall“, heißt es in ihrem aktuellen Video. | |
„Seit 1991 sind mehr als 20 Prozent der Betten verloren gegangen.“ Dieser | |
Missstand betreffe auch die Intensivmedizin und das dort beschäftigte | |
Personal. Attac-Expertin Dagmar Paternoga bemängelt vor allem das System | |
der sogenannten Fallpauschalen, die die Krankenhäuser zur Finanzierung der | |
Behandlung erhalten. Diese trügen dazu bei, Betten und Personal zu | |
reduzieren, um die Gewinne zu erhöhen. | |
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hält die intensivmedizinische | |
Versorgung dagegen für ausreichend. „Einen grundsätzlichen Mangel an | |
Intensivbetten gibt es im Vergleich zu anderen Staaten hierzulande nicht“, | |
sagt Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß. Mit 34 Betten pro 100.000 Einwohner | |
befinde sich Deutschland in der internationalen Spitzengruppe. Uwe | |
Ostendorff, Experte der Gewerkschaft Verdi, unterstützt diese Sicht: | |
„Deutschland verfügt über deutlich mehr Intensivbetten als vergleichbare | |
Staaten, etwa Österreich, die USA, Belgien, Frankreich und Kanada. Wir | |
haben fast dreimal so viele Betten wie Italien.“ | |
Aber zeigt die aktuelle Lage nicht trotzdem, dass das hiesige | |
Gesundheitssystem, wie auch in anderen Ländern, auf eine Ausnahmesituation | |
schlecht vorbereitet ist? Ja, meint der Arzt Janosch Dahmen. „Die hiesigen | |
Krankenhäuser halten zu wenige Betten und zu wenig Personal für | |
unvorhersehbare Notfälle, Krisen und Pandemien vor.“ Der Gesundheitsexperte | |
der Grünen im Bundestag führt diesen Missstand ebenfalls auf das System der | |
Fallpauschalen zurück. „Die Häuser bekommen Geld, wenn sie Patientinnen und | |
Patienten beispielsweise mit einer Operation behandeln, nicht aber für das | |
Vorhalten von Notfallkapazitäten.“ | |
Die Frage ist, ob und wie sich das ändern ließe. Viele Fachleute stimmen | |
darin überein, dass man zwar die Menge der Intensivbetten und | |
Beatmungsplätze schnell erhöhen könnte, nicht aber die Zahl des zur | |
Betreuung der Patient:innen nötigen Pflegepersonals. Schon jetzt | |
herrscht ein deutlicher Mangel an Pfleger:innen. Viele Stellen sind | |
unbesetzt. | |
## Mangelnde Attraktivität des Pflegeberufs | |
„Während die Zahl der Behandlungen gestiegen ist, haben die Krankenhäuser | |
[2][beim Personal gespart]“, sagt Verdi-Experte Ostendorff. Daraus folgt | |
nun eine permanente Überlastung der Beschäftigten, zu schlechte Bezahlung | |
und die mangelnde Attraktivität des Pflegeberufs. Außerdem fehle „eine | |
übergeordnete Strategie der Regierung oder aller Krankenhausträger, um dem | |
Fachkräftemangel insbesondere in der Pflege entgegenzuwirken“, sagt | |
Grünen-Politiker Dahmen. | |
Höhere Tarifbezahlung, mehr Teilzeitmöglichkeiten, bessere Ausbildung – mit | |
einer solchen Politik sollte es doch möglich sein, die Intensivmedizin | |
wenigstens langfristig auszubauen, um für die nächste Pandemie gewappnet zu | |
sein. Warum peilt die Politik dann nicht beispielsweise 70.000 | |
Intensivbetten mit Personal an? | |
„Wollte man die Zahl der Intensivbetten verdoppeln, würde das außerhalb von | |
Ausnahmesituationen wie der aktuellen Pandemie zu hohen Überkapazitäten | |
führen“, so Krankenhäuservorstand Gaß. „Die müssten dann die Krankenkas… | |
letztlich die Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder der Staat bezahlen.“ Konkret | |
stiegen beispielsweise die Krankenkassenbeiträge, die Beschäftigte und | |
Firmen von den Löhnen abführen. Allerdings hielte sich die Kostensteigerung | |
bei einer Verdoppelung der Betten in Grenzen. Die derzeitige | |
Intensivmedizin beansprucht rund 3 Milliarden Euro pro Jahr, weniger als 1 | |
Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. | |
Würde sich die Gesellschaft diese Kosten nun leisten, könnten die | |
Anticoronamaßnahmen dann weniger harsch ausfallen? Zunächst ja, denn die | |
Belastbarkeitsgrenze würde zeitlich etwas hinausgeschoben. Irgendwann wäre | |
sie aber doch wieder erreicht. Janosch Dahmen: „Eine Aufstockung der | |
Intensivbettenkapazitäten würde Lockdowns und Kontaktbeschränkungen in der | |
Coronapandemie nicht überflüssig machen.“ | |
Sein Argument: Mehr Kontakte im Alltag, in Geschäften und Restaurants | |
führen auch zu mehr Ansteckungen, damit zu mehr schweren Erkrankungen und | |
letztlich zu mehr Todesfällen auf den Intensivstationen. Wer erst mal mit | |
Corona auf der Intensivstation liegt und beamtet wird, hat ein hohes | |
Sterberisiko. Dahmen: „Eine größere Anzahl an Intensivbetten allein | |
verringert die Coronatoten oder Langzeitschäden in Deutschland nicht.“ | |
12 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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