# taz.de -- Freiheit für Geimpfte: Gleiches Recht nur für Gleiche | |
> Wer keine Infektionsgefahr darstellt, muss seine Freiheit zurückbekommen. | |
> Letzlich geht es auch um das Signal, dass die Einschränkungen endlich | |
> sind. | |
Bild: Pieks in die Freiheit. Geimpften Grundrechte zu versagen, ist verfassungs… | |
Freiheiten für Covid-19-Geimpfte als „Sonderrechte“ oder „Privilegien“… | |
bezeichnen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht irreführend und falsch. | |
Freiheit stellt den Normalfall dar, Beschränkungen hingegen sind die | |
Ausnahme, die besonders gerechtfertigt werden müssen. | |
Wenn also coronabedingte Beschränkungen aufgehoben und Freiheiten wieder | |
eingeräumt werden, geht es keineswegs darum, „Sonderrechte“ oder | |
„Privilegien“ zu gewähren – und zwar auch dann nicht, wenn diese Freihei… | |
zunächst nur einer einzelnen Personengruppe gewährt werden. Nichts anderes | |
gilt für den Gleichheitssatz in der Verfassung. Dieser verbietet lediglich | |
die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. | |
[1][Geht von Geimpften keine potentielle Gesundheitsgefahr aus], wohl aber | |
von Ungeimpften, sind Geimpfte und Ungeimpfte nicht wesentlich gleich und | |
können deshalb auch ungleich behandelt werden. Anders sieht es aus, wenn | |
Geimpften, Genesenen und negativ Getesteten nicht die gleichen | |
Freiheitsrechte eingeräumt würden. Sie sind wesentlich gleich und für sie | |
müssten deshalb aus gleichheitsrechtlicher Sicht die gleichen Freiheiten | |
gelten. | |
Dies gilt unter dem Vorbehalt, dass wissenschaftlich belegt alle drei | |
Gruppen nicht ansteckend sind und damit keine Gesundheitsgefahr von ihnen | |
ausgeht. Die derzeitigen Debatten über „Sonderrechte“ oder „Privilegien�… | |
für Geimpfte beziehen sich außerdem auf die Kategorien Solidarität und | |
Gerechtigkeit, die wiederum verfassungsrechtlich keine Rolle spielen. Zwar | |
soll das Grundgesetz auch eine gerechte Ordnung sein. | |
## Keine Privilegien | |
Der grundrechtliche Schutz verwirklicht sich allerdings in den Kategorien | |
von Freiheit und Gleichheit. Nicht jede politische Debatte muss zugleich | |
eine verfassungsrechtliche sein. Es kann eine Debatte sogar unnötig hemmen, | |
wenn bei einer Maßnahme vorschnell auf eine nicht eindeutig bestimmbare | |
„Verfassungswidrigkeit“ verwiesen wird, die es zu diskutieren gelte. Ob | |
eine Maßnahme der Verfassung entspricht, ist zudem ohnehin Teil des | |
politischen Prozesses. | |
Spätestens wenn es um die Gesetzgebung geht, muss die staatliche Gewalt ihr | |
Handeln an den verfassungsrechtlichen Vorgaben ausrichten. Die Gerichte | |
kontrollieren, ob diese Verpflichtung eingehalten wird. Sobald eine | |
politische Forderung den Weg in das Gesetzgebungsverfahren findet, werden | |
verfassungsrechtliche Argumente also ohnehin diskutiert. Das Gleiche gilt | |
für freiheitsbeschränkende Gesetze, die bereits in Kraft sind. | |
Sie müssen immer wieder auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin | |
überprüft werden. Ändern sich beispielsweise wissenschaftliche | |
Erkenntnisse, kann eine Aufhebung oder Änderung dieser Gesetze | |
verfassungsrechtlich geboten sein. Das bedeutet: In dem Augenblick, wo | |
wissenschaftlich erwiesen ist, dass Covid-19-Geimpfte andere nicht | |
anstecken können, muss die Einschränkung der Freiheitsrechte auf den | |
Prüfstand. Einschränkungen der Grundrechte sind zwar erlaubt. | |
Neben der Eindämmung der Pandemie sind beispielsweise auch die Gurtpflicht | |
im Auto oder eine Haftstrafe Eingriffe in das Freiheitsrecht. Allerdings | |
setzt jede Einschränkung voraus, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist, | |
also geeignet, erforderlich und angemessen. Derzeit betreffen die | |
Freiheitsbeschränkungen alle Bürgerinnen und Bürger unterschiedslos. Die | |
Regelung geht davon aus, dass von allen gleichermaßen eine | |
Gesundheitsgefahr ausgehen kann. | |
## Maske sollten alle tragen | |
Aber: Trifft diese Annahme für einzelne Personengruppen – etwa für Geimpfte | |
– nicht mehr zu, sind die Einschränkungen der Freiheit nach | |
verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht mehr erforderlich. Etwas anders | |
verhält es sich mit der [2][Maskenpflicht]. Hier gilt: Die Beschränkungen | |
können bestehen bleiben, wenn andernfalls die Situation nicht oder kaum | |
kontrollierbar wäre. Es wäre in der Realität nicht umsetzbar, jeden zu | |
überprüfen, der keine Maske trägt oder den Mindestabstand nicht einhält. | |
Hinzu kommt, dass es sich hierbei um vergleichsweise geringe | |
Grundrechtseingriffe handelt. Von Geimpften zu verlangen, dass sie sich an | |
die Abstands- und Hygieneregeln halten, ist deshalb verfassungsrechtlich | |
nicht bedenklich. Begriffe wie „Sonderrechte“ und „Privilegien“ sind ni… | |
nur nach verfassungsrechtlichen Maßstäben unangebracht. | |
Damit politische Entscheidungen von der Bevölkerung akzeptiert werden, ist | |
es wichtig, dass schon im Entscheidungsfindungsprozess keine falschen | |
Bezeichnungen verwendet werden. Politische Kommunikation muss gerade in | |
Pandemiezeiten anstreben, dass die in Gesetzesform gegossenen | |
Entscheidungen für die Bevölkerung nachvollziehbar und einleuchtend sind. | |
Diese Kommunikation muss darauf ausgerichtet sein, die Akzeptanz der | |
getroffenen Maßnahmen zu fördern. | |
Akzeptanz ist eine wesentliche Voraussetzung für die Bekämpfung der | |
Pandemie, aber auch für das Vertrauen in den Staat – wobei beide Aspekte | |
durchaus zusammenhängen. Mit dem Argument, den Zusammenhalt der | |
Gesellschaft nicht gefährden zu wollen, wurden die Debatten über die | |
Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte zunächst vertagt oder | |
mit großer Zurückhaltung geführt. | |
Doch seit das Robert-Koch-Institut bestätigt hat, dass von Geimpften keine | |
Gefährdung ausgeht, ist die Debatte unausweichlich. Sie sollte nicht nur, | |
aber auch aus der Perspektive der Verfassungsrechtswissenschaft offen | |
geführt werden. Gerade in einer offenen Debatte dürfen Begriffe wie | |
„Sonderrechte“ oder „Privilegien“ selbstverständlich verwendet werden. | |
## Freiheitsrechte einräumen | |
Es sollte allerdings für alle Beteiligten klar sein, dass sie keineswegs | |
wertneutral sind und einen lösungsorientierten Diskus eher hemmen. Als | |
Argument gegen die Wiedereinräumung von Freiheiten wird vielfach auf die | |
gesellschaftliche Solidarität verwiesen. Diejenigen, die bereits geimpft | |
sind, sollen sich solidarisch zeigen mit denjenigen, die auf die Impfung | |
warten. Mit verfassungsrechtlichen Maßstäben lässt sich diese Solidarität | |
nicht greifen. | |
Vor allem aber [3][ist Solidarität – zumal eine erzwungene – keine | |
Rechtfertigung oder akzeptable Begründung dafür, Freiheitsbeschränkungen | |
aufrechtzuerhalten]. Interessanterweise wird von Geimpften vor allem | |
deshalb Solidarität verlangt, weil man annimmt, dass Nichtgeimpfte es als | |
ungerecht empfinden würden, wenn Freiheitsrechte an die Immunisierten | |
zurückgegeben würden. Doch stimmt das überhaupt? | |
Zweifel sind angebracht, und auf jeden Fall wären Missgunst und Neid aus | |
verfassungsrechtlicher Sicht hinzunehmen. Wenn auch Covid-19-Genese oder | |
negativ Getestete in die Wiedereinräumung von Freiheiten einbezogen werden, | |
ist die tatsächliche Ungleichbehandlung ohnehin als marginal anzusehen. | |
Mehr noch: Freiheitsrechte wieder einzuräumen – und sei es zunächst auch | |
nur für Geimpfte –, kann der Gesellschaft sogar wieder Hoffnung geben. | |
Es zeigt auf, dass das eingeschränkte Pandemieleben nicht zum Dauerzustand | |
werden muss. Auf diese Weise kann die Wiedereinräumung von Freiheiten | |
gerade die Akzeptanz von Beschränkungen fördern. Außerdem trägt sie dazu | |
bei, Branchen zu retten, die besonders von den Einschränkungen betroffen | |
sind – Kunstschaffende, Gastronomie, Tourismus zum Beispiel –, und dient | |
damit wiederum einem gesamtgesellschaftlichen Interesse. | |
So gesehen hat Solidarität auch noch andere Aspekte, die ebenfalls in die | |
Debatte hineingehören. Das gebieten nicht zuletzt die | |
verfassungsrechtlichen Direktiven. Denn nicht nur Geimpfte, sondern auch | |
diejenigen, die ihre Arbeit derzeit nicht anbieten dürfen, können sich auf | |
ihre Grundrechte berufen und – auch vor den Gerichten – deren | |
Wiedereinräumung einfordern, sofern die Beschränkungen nicht mehr | |
erforderlich und angemessen sind. | |
Solidarität in der Pandemie setzt in jedem Fall voraus, dass den Menschen | |
im Land bewusst ist: Wenn Freiheitsrechte wieder eingesetzt werden, geht es | |
nicht um „Sonderrechte“ oder „Privilegien“. Bei einem Geimpften besteht… | |
Grund für die Beschränkungen von Verfassungsrechten schlicht nicht mehr. | |
Die Regierenden können nicht rechtfertigen, in die Grundrechte | |
einzugreifen. | |
Deswegen kann es rechtlich betrachtet nicht unsolidarisch sein, wenn ein | |
hohes Gut wie die Freiheit für Geimpfte wieder gilt. Ein Mensch, der | |
nachweislich niemanden mit dem Coronavirus infizieren kann, stellt keine | |
gesundheitliche Gefahr dar. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist es | |
geradezu zwingend, die Beschränkung der Freiheitsrechte aufzuheben. | |
Werden dadurch Ungleichheiten hervorgerufen, die verfassungsrechtlich nicht | |
zu beanstanden sind, aber in der Bevölkerung als ungerecht empfunden | |
werden, stehen die politischen Entscheidungsträger vor einer großen | |
Herausforderung. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die Menschen die | |
Maßnahmen akzeptieren und weder das Vertrauen in den Staat noch der | |
gesellschaftliche Zusammenhalt leidet. Eine einfache Aufgabe ist das nicht. | |
Gelingen kann sie nur, wenn Debatten offen geführt werden und auf die | |
verfassungsrechtlich unzutreffenden sowie stark wertenden Begriffe wie | |
„Sonderrechte“ oder „Privilegien“ verzichtet wird. | |
10 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sina Fontana | |
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