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# taz.de -- Modellprojekte für Corona-Lockerungen: Offen für alles
> Trotz hoher Infektionszahlen starten bundesweit Modellprojekte für
> Öffnungen. Auch das sächsische Augustusburg ist dabei.
Bild: Gäste des Restaurants vom Freizeitzentrum „Rosts Wiesen“ in Augustus…
Augustusburg/Berlin taz | Nach zehn Uhr wächst die Schlange am
[1][Schnelltestzentrum Augustusburg] rapide. Um elf Uhr öffnen die
Gaststätten im Ort, auch das Schloss hat seit Dienstag wieder auf, und rund
30 Personen wollen an diesem Donnerstag keine Minute verpassen. Sie wollen
den QR-Code, der ihnen für einen Tag den negativen Coronatest bescheinigt
und die Türen in der sächsischen Kleinstadt öffnet.
Um den Code zu erlangen, stellt man sich am kleinen Containerdörfchen oben
an der Rodelbahn an. Schon der Blick auf die Autokennzeichen verrät, dass
die wenigsten Einheimische sind: Sie kommen aus der Lausitz, aus Thüringen,
sogar aus Bayern. In der Schlange steht auch ein älteres Paar aus Dresden,
das hier seit Ostern einen Spontanurlaub genießt. Sie sind beide
Wissenschaftler und nehmen das Coronavirus sehr ernst. Das Projekt in
Augustusburg halten sie aber für überaus verlässlich. Der Test am fünften
Urlaubstag in Folge ist für sie schon Routine.
Dieser Test geht wirklich schnell. Wer sich vorab online registriert hat,
zeigt am Empfangscontainer sein Handy vor und erhält daraufhin ein
verschweißtes Testtütchen. Der Abstrich ist am nächsten Container im Nu
erledigt, und maximal eine Viertelstunde später bekommt man per Mail im
vertraulichen „Du“ sein Ergebnis mit einem neuen QR-Code. Damit, und das
ist der Kern des Modellprojekts, darf man Hotels, Gastronomie und das
Schlossmuseum besuchen. Knapp 20 Einrichtungen nehmen an dem Testversuch
teil. Trotz Pandemie gibt es so ein wenig Normalität.
Zwölf Anträge auf Öffnungsexperimente gab es in Sachsen insgesamt. Nur
Augustusburg kam durch und startete am Gründonnerstag sein Modellprojekt –
obwohl die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis derzeit bei 143 liegt. Die Kommune
kam unter anderem deswegen damit durch, weil die sächsische
Gesundheitsministerin Petra Köpping bei rund 4.500 Einwohner*innen von
einer ausreichend „überschaubaren Größe“ ausgeht.
Deutschlandweit ist die Kleinstadt bei Chemnitz aber bei Weitem nicht das
einzige Modellprojekt. Bund und Länder hatten im März vereinbart, in
„einigen ausgewählten Regionen“ zu untersuchen, mit welchen
Schnelltestkonzepten das öffentliche Leben hochgefahren werden könnte.
Eigentlich unter einer Bedingung: Die 7-Tage-Inzidenz sollte unter 100
liegen und nicht steigen.
Manche Verantwortliche halten sich daran. Rheinland-Pfalz, Bayern und
Nordrhein-Westfalen bereiten zwar Modellprojekte vor, starten sie wegen der
Pandemieentwicklung aber doch nicht. Die Stadt Dieburg in Hessen hätte
demnächst beginnen dürfen, zog am Donnerstag aber die Notbremse. Andere
legen trotzdem los. Prominentestes Beispiel: das Saarland. Dort dürfen
Getestete seit dieser Woche ins Kino gehen und auf Restaurantterrassen
sitzen – und zwar landesweit.
Angesichts der dritten Coronawelle ist das umstritten. Die Zahl der
registrierten Neuinfektionen ist wegen der Osterfeiertage zwar noch immer
nicht ganz aussagekräftig. Die bundesweit mehr als 25.000 Neuinfektionen,
die das [2][Robert-Koch-Institut] am Freitag meldete, deuten aber nicht auf
einen Rückgang hin. „Modellprojekte sind gut und wichtig“, sagt
RKI-Präsident Lothar Wieler. Sinnvoll fände er es aber, erst die
Infektionszahlen nach unten zu drücken. „Das ist deutlich effizienter, als
monatelang einen soften Lockdown zu haben.“
## Kritik an Öffnungsexperimenten
Ähnlich sehen es drei wissenschaftliche Fachgesellschaften, die vergangene
Woche eine Stellungnahme veröffentlichten: Niedrige Inzidenz, kleiner
R-Wert und genügend freie Intensivbetten – das sollten die Bedingungen für
Öffnungsexperimente sein. Und: Die Projekte müssten wissenschaftlich
begleitet „evidenzbasierte Schlussfolgerungen zulassen“. Die Gesellschaften
haben eine Liste von Parametern aufgestellt, die beteiligte
Forscher*innen zusammentragen könnten – von der Testzahl über die
regionale Impfrate bis hin zum Freizeitverhalten der Getesteten. „Uns geht
es auch darum, standardisiert Daten zu erheben, um die Effekte der
verschiedenen Maßnahmen sicher zu erkennen“, sagt Eva Grill, Vorsitzende
der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie.
Das Modellprojekt in Augustusburg wird bereits relativ detailliert
ausgewertet. Zuständig ist ein Team der Universität Mainz um den
Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wälde. Seit einem Jahr beschäftigt er sich
mit Corona, im Frühjahr 2020 evaluierte er schon ein Pilotprojekt zur
Maskenpflicht im öffentlichen Raum.
Das Risiko, Öffnungsmodelle auszuprobieren, während die Infektionszahlen
steigen, hält Wälde für vertretbar. „Die Menschen haben sowieso soziale
Kontakte, ob es erlaubt ist oder nicht. In den Modellprojekten treffen sie
sich zumindest kontrolliert“, sagt er. Eine detaillierte Auswertung hält er
aber für elementar. In Augustusburg zum Beispiel werden die Menschen nicht
nur getestet, bevor sie am Projekt teilnehmen, sondern auch in den
Folgetagen. Auch wird protokolliert, wer sich wann wo aufhält. So kann
ausgewertet werden, wo sich Infizierte trotz des Testkonzepts angesteckt
haben könnten.
Aber nicht überall ist die wissenschaftliche Begleitung so eng. Bei dem
schon Mitte März gestarteten Vorreiterprojekt in Tübingen etwa beobachtet
ein Team der Uniklinik, wie viele Schnelltests pro Woche durchgeführt
werden und wie viele Getestete infiziert sind. Diese Positivrate, das ist
die gute Nachricht, blieb laut einem Zwischenbericht zuletzt stabil.
Die Forscher selbst schlagen jetzt aber vor, die Evaluation auszuweiten.
Sie hätten gerne Daten des Gesundheitsamtes, um ähnlich wie in Augustusburg
zu klären, wo sich Menschen trotz des Testkonzepts angesteckt haben
könnten. Und sie wollen 40.000 Euro, um zu überprüfen, wie viele infizierte
Personen bei den Schnelltests unentdeckt bleiben. Beides werde wohl ab
nächster Woche umgesetzt, heißt es von der Stadt Tübingen. Das zuständige
Landessozialministerium prüft eine Budgeterhöhung. Nur das örtliche
Gesundheitsamt weiß nach eigenen Angaben von nichts.
An manch anderem Ort sind zur Evaluation noch nicht einmal Eckpunkte
bekannt. In Hessen, wo drei Städte für Modellprojekte ausgewählt wurden,
heißt es aus dem Haus von Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne): „Eine
wissenschaftliche Begleitung anzustoßen steht im Ermessen der ausgewählten
Kommunen.“ Die Landesregierung selbst führe eine Evaluation durch, konkrete
Parameter dafür nennt das Ministerium nicht.
## Kaum wissenschaftliche Begleitung
Und im Großprojekt Saarland? Für das Monitoring sei die Landesregierung im
Gespräch mit verschiedenen Hochschulen, sagte Ministerpräsident Tobias Hans
(CDU) vor einer Woche im ZDF. Was diese Gespräche ergeben haben, ist
unklar. Auf Anfrage schreibt das Landesgesundheitsministerium zwar, man
analysiere mit Wissenschaftler*innen der Uniklinik des Saarlands die
Lage, um „die Belastungen des Gesundheitswesens wissenschaftlich aktuell
und zentral zu bewerten“.
Von einer gründlichen Evaluation des Modellprojekts ist jedoch nicht die
Rede. Wird ein Projekt aber nicht sorgfältig ausgewertet, kann der Rest des
Landes auch nichts daraus lernen.
In Augustusburg genießen die Menschen derweil die neu gewonnenen
Freiheiten. „Der Versuch läuft sehr gut“, sagt eine Kellnerin des
Ausflugsrestaurants Rost’s Wiesen“ am Rodelhang. Das Schild am Eingang –
„Sie werden platziert“ – erinnert zwar an DDR-Zeiten. Beim Ein- und Ausla…
aber hilft die Kellnerin unerfahrenen Besucher*innen geduldig bei der
Hightech-Akkreditierung. „Endlich wieder Umsatz“, seufzt sie erleichtert.
Die Speisekarte wird ganz hygienisch per QR-Code auf dem Handy aufgerufen.
„Wir können uns vor Anfragen kaum retten“, lobt auch Geschäftsführerin
Christiane Doege im Hotel und Café Friedrich den Öffnungsversuch. „Endlich
mal wieder raus“ sei der Tenor unter den teils weitgereisten Gästen. Die
werden täglich im Haus getestet, ein aufwendiger Service. Nur ein einziger
Arbeiter auf einem Nachbargrundstück stimmt auf Nachfrage nicht in das
allgemeine Lob ein. „Lieber den Lockdown straff durchziehen“, meint er.
Eine Mitarbeiterin des [3][Schlosses] aber verweist auf ihre tägliche
Testung und die Einlasskontrollen für maximal 500 Besucher*innen des
bei Biker*innen beliebten Motorradmuseums oder der Sonderausstellungen.
„Hier kommt kein Infizierter rein.“ Wenn alles klappt, wird in einigen
Wochen die Auswertung der Uni Mainz zeigen, ob sie recht hat.
9 Apr 2021
## LINKS
[1] https://augustusburg.de/schnelltestzentrum
[2] https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html
[3] https://www.die-sehenswerten-drei.de/de/Augustusburg/Schloss-Augustusburg_1…
## AUTOREN
Michael Bartsch
Tobias Schulze
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