# taz.de -- Literatur-Podcast „Laxbrunch“: Suchen, Fragen, Ringen | |
> Die Hamburger AutorInnen Nefeli Kavouras und Anselm Neft sprechen über | |
> Bücher, die sie beeindruckt haben – fernab von Neuerscheinungen und | |
> Aktualität. | |
Bild: „Die Chemie muss stimmen“: Nefelie Kavouras und Anselm Neft nehmen ih… | |
HAMBURG taz | Um 18 Uhr bimmeln von draußen die Glocken, lärmen sich in | |
Stimmung, halten den Geräuschpegel, klingen dann langsam aus. Da sind | |
Nefeli Kavouras und Anselm Neft schon tief eingetaucht in ihr Gespräch. Vom | |
Rest der Wohnung durch eine flexible Schallschutzwand abgeschirmt, sitzen | |
sie sich gegenüber, vor ihnen je ein Mikrofon, die Kabel auf dem Tisch noch | |
mal extra festgeklebt, damit es nicht unangenehm raschelt, wenn man aus | |
Versehen dagegen kommt. | |
Die beiden produzieren die nächste Folge ihres monatlichen | |
Literatur-Podcasts [1][„Laxbrunch“], der den Untertitel „Der | |
Literatur-Schnack“ trägt. Nur die ersten Minuten sind abgesprochen: der | |
vorproduzierte Jingle, die Begrüßung der Hörerinnen und Hörer, das | |
gegenseitige Abklopfen, wie es einem gerade so geht. Wie ihr Gespräch | |
danach verlaufen wird, welche Schleifen sie drehen werden und ob die Folge | |
heute knapp eine Stunde wird oder die 90 Minuten knackt – mal schauen. | |
Fest steht nur, dass diesmal Anselm Neft das Werk vorgeschlagen hat, das | |
Gegenstand ihrer Debatte werden wird: „Ceremony“ von Leslie Marmon Silko. | |
Ein Roman, 1977 erschienen und seit langem nur noch antiquarisch | |
erhältlich. Zudem wird Neft im Laufe des Gesprächs die amerikanische | |
Originalfassung empfehlen und von der Übersetzung ins Deutsche eher | |
abraten. Niedrigschwellig ist das erst mal nicht. „Ich bin so gespannt, was | |
du erzählen wirst“, sagt Anselm Neft. „Ich war sehr irritiert über das | |
Buch“, antwortet Nefeli Kavouras. | |
Sechs Folgen haben sie so in den vergangenen sechs Monaten produziert und | |
ins Netz gestellt: Die sechste Folge kreiste um den Roman zum gleichnamigen | |
Film „Fight Club“, einst als radikale, ungestüme Konsumkritik gelesen, | |
heute eine Kampfanleitung für militante Maskulinisten. In Folge 5 ging es | |
um den französischen Schriftsteller Édouard Levé, der sich im Alter von 42 | |
Jahren das Leben nahm und der mit „Selbstmord“ ein entsprechendes Prosawerk | |
hinterlassen hat. Folge 4 fragt, ob John Irvings seitenstarker Roman „Hotel | |
New Hampshire“ noch immer so toll ist, wie man ihn damals unbedingt fand. | |
Noch davor sollte geklärt werden, ob Edgar Allen Poe nun ein Feingeist oder | |
doch eher ein Literatur-Macho sei; und in der zweiten Folge war | |
Krimi-Autorin Simone Buchholz zu Gast. | |
Auf der Literaturliste, die zu jeder Folge eigens dazugestellt wird, finden | |
sich die im Gespräch erwähnten Titel wie „Emil und die Detektive“ von Eri… | |
Kästner, „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk, aber auch eine Analyse | |
von Elisabeth Bronfen über Weiblichkeit, Ästhetik und Tod. | |
Auch diesmal wiegt der zu verhandelnde Inhalt schwer: Denn „Ceremony“ | |
erzählt von einem Native American, der im Zweiten Weltkrieg in der | |
amerikanischen Armee in Übersee gegen die Japaner kämpft. Der gefangenen | |
genommen wird, der einen Todesmarsch durch den Dschungel überlebt, der | |
schwer traumatisiert zurückkehrt. Der, Kind einer Indigenen und eines | |
unbekannten weißen Mannes, in keine der jeweiligen Communitys gehört. Der | |
trinkt und trinkt, der sich wie in Rauch aufzulösen scheint – bis er sich | |
einer rettenden Heilungszeremonie überantwortet. Und das einmal nicht | |
europäisch-linear erzählt: „Die große Plot-Maschine ist es nicht“, wie N… | |
mittendrin bekennt. | |
Was auch für den Podcast der beiden gilt, in dem das suchende Sprechen und | |
das gegenseitige Befragen seinen Platz findet. Neft und Kavouras gestehen | |
sich ein, nicht alles gleich zu verstehen und zu erfassen, statt lauthals | |
zu verkünden, was man alles weiß, was man alles in seinem Leben schon | |
gelesen und also auf der Pfanne hat und noch mehr, wie schlagfertig man ist | |
und wie lustig im sich gegenseitig Übertrumpfen und ins Wortfallen. | |
Umgekehrt gefällt es, zwei Literatur-Profis bei der Arbeit zuzuhören, wie | |
sie miteinander ringen, die einen in die Welt der Literatur ziehen, statt | |
einen mit den neuesten Neuerscheinungen zu bedrängen. | |
Diesmal werden sie sich nach einer Stunde und zwölf Minuten wieder | |
verabschieden. „Erzählst du noch den Mythos unserer Gründung?“, fragt | |
Nefeli Kavouras. | |
Beide kennen sich privat, sind in einer Schreibgruppe; sind in der | |
Hamburger Lese-Szene unterwegs. Nefeli Kavouras schreibt Prosa, arbeitet im | |
Hamburger Mairisch Verlag, organisiert die mehrsprachige Lesereihe | |
„Hafenlesung“ mit. Vor zwei Jahren gab sie einen Erzählband des so früh | |
verstorbenen Autors Rüdiger Käßner heraus, der sich in seinen Weblesungen | |
um die Werke der anderen kümmerte und sein eigenes hintanstellte. | |
Anselm Neft ist Mitstreiter der Lesebühne „Liebe für alle“; sein nächster | |
Roman, sein fünfter, ist für 2022 angekündigt – alles verschiebt sich ja | |
gerade sehr. | |
Wie es zur Idee mit dem Podcast gekommen ist?„Es war Lockdown im März, | |
April, und ich dachte: Lesungen, das wird erst mal nichts – wie wäre es mit | |
einem Podcast?“, sagt Neft. „So was kann man doch auch selbst machen, nur | |
mit wem?“ Er lotet die Eckpunkte aus: „Die Chemie muss stimmen, die | |
Blickweisen müssen unterschiedlich genug sein, trotzdem muss man sich gut | |
verstehen – und da blieben nicht viele Leute.“ | |
Eine Art Test ergab sich, als es zwischendurch kurz möglich war, sich auf | |
ein Bier in einer Kneipe zu treffen, wo die beiden über Bov Bjergs damals | |
frisch erschienenen Roman „Serpentinen“ sprachen, eine Erzählung über ein… | |
depressiven Vater, der überlegt, sich umzubringen – so wie sich schon sein | |
Vater und auch der Großvater das Leben genommen haben. Und dazu tranken sie | |
eben Bier. | |
„Wir hatten je eine komplett andere Sicht auf den Text, haben uns beide | |
dafür sehr stark gemacht und am Ende verstanden, warum der andere den Text | |
sieht, wie er ihn sieht – das hat viel Spaß gemacht, das hätte man im | |
Nachhinein gesehen auch aufnehmen können“, erzählt Nefeli Kavouras. | |
Jedenfalls: Sie war gerade in Köln, eingeladen von der Plattform Audible, | |
die derzeit sehr erfolgreich Hörbücher und Podcasts vermarktet und per Abo | |
unter die Leute bringt. Es ging um eine Hörproduktion mit Geschichten aus | |
dem eigenen Leben: „Das war mein allererstes Mal in meinem Leben: ich, am | |
Mikrofon.“ Fast eine halbe Stunde sprach sie am Stück, eine Art | |
Aha-Erlebnis: „Ich spreche und lese nicht ab – das hat sich bizarr | |
angefühlt, aber auch mega gut.“ | |
So gestimmt stieg sie in den Zug zurück nach Hamburg, als ihr Handy | |
schnurrte, weil Neft sie per SMS fragt, ob sie nicht mit ihm einen Podcast | |
machen möchte. „Normalerweise wäre ich vorsichtig gewesen, von wegen: Kann | |
ich das? Anselm ist schließlich doppelt so alt, er ist ein gestandener | |
Autor.“ Aber die Euphorie sagte: Na, klar. Und sie machten eine Pause – | |
also sie wollten eine Pause machen. Doch sie sprachen noch mal über das | |
Buch, seinen Inhalt, seinen so ganz anderen Stil. Das sei schon | |
Weltliteratur, sagt Nefeli Kavouras, dieser Roman, den Leslie Marmon Silko | |
schrieb, als sie 29 Jahre alt war. Schullektüre war der Roman zeitweise in | |
den Staaten. Dann fragt sie ihren Podcastpartner: „Hast du eigentlich alles | |
gesagt, was du sagen wolltest?“ | |
26 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.laxbrunch.de/ | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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